| # taz.de -- crime scene: Qualitätsware | |
| Unter den Neuerscheinungen gibt es wirklich eine ganze Menge handwerklich | |
| schlecht gemachter Krimis. Gelegentlich greift man darum gern nach einem | |
| der großen Namen, die zwar nicht für die Revolution des Genres stehen, aber | |
| immerhin eine unterhaltsame Lektüre garantieren und einen über einen | |
| verkaterten Sonntagnachmittag retten können. | |
| Der amerikanische Autor Michael Connelly gehört seit seinem Debüt „Das | |
| schwarze Echo“ von 1992 definitiv dazu. Seine Reihe um den ehemaligen | |
| LAPD-Ermittler und Privatdetektiv Harry Bosch ist wirklich nicht schlecht, | |
| und mit eigenständigen Romanen wie „Das zweite Herz“, der mit Clint | |
| Eastwood unter dem Titel „Blood Work“ verfilmt wurde, hat sie Connellys Ruf | |
| gefestigt, zuverlässig spannende und meist recht raffinierte Thriller | |
| abzuliefern. | |
| Der „neue Connelly“, da sollte also wenig schief gehen. „Unbekannt | |
| verzogen“ beginnt auch recht interessant. Henry Pierce, der mit seiner | |
| kalifornischen Firma im Bereich der Bioinformatik forscht, muss sich eine | |
| neue Wohnung suchen und übernimmt aus Bequemlichkeit den Anschluss der | |
| Vormieterin. Die Nummer steht jedoch auf der Website eines wenig seriösen | |
| Escort Services, und als ständig verschüchterte Anfragen nach einer | |
| gewissen Lily auf seiner Leitung eingehen, versucht Pierce die Betreiber | |
| der Site aufzuspüren. Das ist keine gute Idee. Lily ist nicht nur | |
| umgezogen, sondern gleich umgebracht worden, und weil Pierce es genauer | |
| wissen will, bekommt er zunächst einmal Besuch von zwei Schlägern. | |
| So richtig packend ist der kalifornische Kontrast zwischen dem strahlenden | |
| High-Tech-Business und dem schmuddeligen Sexgeschäft allerdings nicht. Auch | |
| die Faszination, die der Geschäftsmann und Wissenschaftler Pierce für die | |
| verschwundene Prostituierte empfindet, ist nur schwer nachzuvollziehen, | |
| selbst wenn er sich gelegentlich im Aufzug „über den Unterschied zwischen | |
| Neugier und Obsession klar zu werden“ versucht. Leidenschaft ist etwas | |
| anderes, und spätestens nach etwa 100 Seiten ist der Punkt erreicht, an dem | |
| „Unbekannt verzogen“ langweilt. | |
| Also muss Val McDermid den verkaterten Sonntag retten. Ihr neuer Roman | |
| „Echo einer Winternacht“ beginnt im Jahre 1978 mit einem brutalen Mord an | |
| einer jungen Frau, der niemals aufgeklärt wird. 25 Jahre später soll der | |
| Fall mit den inzwischen verbesserten Methoden der Kriminalistik neu | |
| bearbeitet werden– und nur kurze Zeit später kommen zwei der Mitglieder der | |
| kleinen Clique von Studenten um, die damals in einer kalten Dezembernacht | |
| die Leiche gefunden haben. Obwohl die deutsche Übersetzung einige dämliche | |
| Übersetzungsfehler enthält – etwa „das wird ihn suspekt machen“ statt �… | |
| einem Verdächtigen machen“ –, ist „Echo einer Winternacht“ ein | |
| ausgezeichnetes Beispiel für einen soliden und bis zur letzten Seite | |
| packenden Thriller. | |
| Ziggy, Gilly und Weird, die ihre Spitznamen einst nach den Charakteren aus | |
| David Bowies „Ziggy Stardust“ ausgesucht haben, werden von den | |
| spinnenbeinigen Dämonen ihrer Vergangenheit eingeholt. Val McDermid erzählt | |
| davon mit einem liebevollen Sinn für Einzelheiten, ohne sich dabei in die | |
| neuerdings so beliebten kriminaltechnischen Details zu verlieren. Hier geht | |
| es nicht um die Frage, ob DNA-Analysen nach einem Vierteljahrhundert neue | |
| Ergebnisse bringen, sondern um die Halbwertszeiten von großen Gefühlen wie | |
| Freundschaft und Schuld, Vergebung und Hass. „Du solltest nicht | |
| unterschätzen, wie dünn die Fäden sind, die uns an das Leben binden“, | |
| ermahnt der erwachsene Gilly zuletzt seinen Jugendfreund Weird, und es ist | |
| Val McDermids große Leistung, diese für einen Krimi verhältnismäßig banale | |
| Feststellung in den Rang eines Schlussworts zu erheben, mit dem auch ein | |
| Shakespeare-Drama enden könnte. KOLJA MENSING | |
| Val McDermid: „Echo einer Winternacht“. Aus dem Englischen von Doris | |
| Styron. Droemer, München 2004. 553 S., 21 €ĽMichael Connelly: „Unbekannt | |
| verzogen“. Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb. Heyne. München 2004. 399 | |
| S., 19,90 € | |
| 9 Oct 2004 | |
| ## AUTOREN | |
| KOLJA MENSING | |
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