| # taz.de -- Zwei Sachsen in Holzschuhen | |
| > In Dangast am Jadebusen erfanden die Künstler der Brücke den | |
| > Expressionismus. Eine Reise zum Beginn der Moderne vor 100 Jahren – | |
| > Rhabarberkuchen inklusive. Im Landhotel Tepe verdrehten die Künstler den | |
| > Dorfschönen beim Tanz den Kopf. Einzigartige Häufung von Motiven | |
| VON ANNEDORE BEELTE | |
| „Junge, pass auf, wenn Künstler kommen: Du weißt nicht, was aus denen | |
| wird“, sprach Großmutter Tapken zu Karl-August, ihrem Enkel und Nachfolger | |
| als Wirt des Kurhauses in Dangast. Hanny Tapken musste es wissen: Hatte sie | |
| doch mit eigenen Augen erlebt, wie – in den Worten von Bernd Küster vom | |
| Oldenburger Landesmuseum – die „Kunstgeschichte neu geordnet“ wurde und d… | |
| Moderne begann. Hier am Jadebusen, im ältesten Nordseebad Deutschlands, | |
| suchten die Künstler der Brücke sich selbst und fanden den Expressionismus. | |
| Erich Heckel und Karl Schmidt-Rotluff waren auf der Flucht aus Dresden, wo | |
| auf jedem Hügel schon ein Maler saß, um en plein air den Spuren des lange | |
| verblichenen Caspar David Friedrich zu folgen. Die Brücke-Künstler suchten | |
| etwas anderes: „Einen unschuldigen Ort, um die Landschaft neu zu | |
| interpretieren“, beschreibt es Küster. | |
| 1907 sah man sie durch Dangast radeln: Zwei Sachsen, die Plattdeutsch | |
| radebrechten, Holzschuhe trugen und kein dörfliches Tanzvergnügen | |
| ausließen. Hanny lachte schallend: weniger über ihre Pumphosen und | |
| Halstüchlein als über das Bild, das Erich Heckel von seinem schlafend in | |
| einen Liegestuhl gefläzten Künstlerfreund Max Pechstein malte. Dass sie mit | |
| dieser Anekdote in die lokale Geschichtsschreibung einging, war ihr später | |
| rasend peinlich. | |
| Erich Heckel hat sie gezeichnet und für einen Moment allen Innovationsdrang | |
| vergessen: ganz naturalistisch, ein kluges Puppengesicht mit auffallend | |
| unterschiedlichen Augen. War da mehr? „Sexuell lief nichts“, versichert | |
| Urenkelin Maren Tapken, Junior-Wirtin im Kurhaus. | |
| Heckel war im Ort sonst bekannt dafür, nichts anbrennen zu lassen. Dass er | |
| seine Sommeraufenthalte schon 1910 einstellte, während Kollege | |
| Schmidt-Rotluff noch bis 1912 kam, soll mit der unglücklichen Liebe zu | |
| einer Fischerstochter zusammenhängen, munkelt man. | |
| Ihre erste Ausstellung bekamen die Brücke-Künstler 1908 im nahen Oldenburg. | |
| „Die Begeisterung hielt sich in Grenzen“, sagt Küster. Jetzt, zum | |
| hundertsten Jubiläum wird den Expressionisten der rote Teppich ausgerollt: | |
| Das Landesmuseum zeigt ihren Blick auf die Natur, vor allem aus der | |
| Dangaster Zeit. Das Horst-Janssen-Museum widmet sich den Großstadtszenen | |
| und das Staatstheater interpretiert Georg Heym. Familie Tapken tut, was sie | |
| immer tut: Sie bäckt Rhabarberkuchen mit Baiserkruste, noch warm vom Blech | |
| serviert. | |
| „Es ist fast einzigartig in der Kunstgeschichte, dass die Motive so dicht | |
| beieinander erhalten sind“, schwärmt Dunja Cordes vom Landesmuseum. | |
| Schmidt-Rotluff malte das Logierhaus, wo es heute Batikhemden und | |
| Klunkerketten zu kaufen gibt, und knautschte die Perspektive zu einem | |
| zweidimensionalen Häuser-Stapel zusammen. | |
| Wo jetzt ein trister grauer Rückgiebel steht, sah Schmidt-Rotluff rot: | |
| Einem Expressionisten kommt es auf die gefühlte Farbigkeit an. Emma Ritter, | |
| eine Seelenverwandte der Brücke aus Vechta, die später Lyonel Feininger den | |
| Holzschnitt beibrachte, saß mit ihrem Skizzenblock dort, wo man heute den | |
| Campern in die Vorzelte und Raviolidosen guckt. Im Landesmuseum ist zu | |
| bewundern, was Emma Ritter sah: Die gnadenlose Weite des Himmels und des | |
| Wattenmeeres, Spuren menschlichen Lebens am äußersten Rand. | |
| Max Pechstein, dem seine Kollegen bitter vorwarfen, dass er mit seiner | |
| Malerei Geld verdiente, malte natürlich die repräsentative Seite des | |
| Kurhauses. Da linst es über die Mauer, die schon damals vor Sturmfluten | |
| schützte. Der Weg ist das Ziel, wissen Pilger, und wahrscheinlich würden | |
| sie schon die Anfahrt durch Dangastermoor zum Brücke-Prozessionsweg machen. | |
| Hier, ein paar Kilometer weiter im Landesinneren, wohnten die Künstler, | |
| wenn in der Badesaison die Preise stiegen und Meerblick nicht mehr | |
| erschwinglich war. | |
| Man fährt durch die uralten Eichenalleen, die in der „gefühlten Farbigkeit�… | |
| Schmidt-Rotluffs wie ein düster-drohendes Fabeluntier wirken. Im Landhotel | |
| Tepe verdrehten die Künstler den Dorfschönen beim Tanz die Köpfe. Am | |
| nächsten Morgen griff Heckel zum Pinsel und malte ein schwofendes Pärchen | |
| unter den zufriedenen Augen dörflicher Klatschbasen. | |
| Kunst gibt‘s heute an jeder Ecke in Dangast. Im Saal des Kurhauses, | |
| gepäppelt mit Rhabarberkuchen, gedieh in den 70ern die Künstlergruppe | |
| „Freie Akademie Oldenburg“, die es bis auf die Documenta schaffte – mit | |
| einem Boot namens „Tante Olga“. Unnötig zu erwähnen, dass Tante Olga auch | |
| zur Familie Tapken gehörte. | |
| Beuys war hier, doch war das Revier offenbar schon so ausgiebig | |
| künstlerisch markiert, dass er keine überlieferten Spuren hinterließ. Der | |
| Riesenpenis aus Granit, den Eckart Grenzer 1984 auf den Strand pflanzte, | |
| entlockt Touristen noch immer ein verlegenes Kichern. Da fällt es kaum noch | |
| auf, dass alle paar Jahre eine neue Skulptur auf dem Kurhaus-Gelände | |
| hinzukommt. Karl-August Tapken hat sich an den Rat seiner Großmutter Hanny | |
| gehalten. | |
| [1][www.expressionismus-oldenburg.de]. Geführte Touren zu den | |
| Originalschauplätzen in Dangast: 19.9., 26.9., 10.10., jeweils 13 Uhr ab | |
| dem Oldenburger Augusteum, Tel. 0441-2207300 Kunstkurse und Führungen der | |
| Akademie Dangast: www.dangast.de | |
| 17 Sep 2008 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.expressionismus-oldenburg.de | |
| ## AUTOREN | |
| ANNEDORE BEELTE | |
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