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# taz.de -- Zurück in die Mitte
> Das jüdische Zentrum in München soll ein Symbol neuer Normalität werden –
> die Haltung der Anwohner spricht eher dagegen
VON MAX HÄGLER
Es ist eine ungeahnte Geschwindigkeit, die die beiden älteren Damen
plötzlich an den Tag legen. Ob sie dem Reporter vielleicht ihre Meinung zum
neuen Münchner Jüdischen Zentrum sagen wollen, an dessen Bauzaun sie gerade
vorbeiflanieren. „Oh na, vielen Dank“, kommt ihnen über die Lippen, „für
das Thema sind wir die falsche Generation.“ Dann verdoppeln die beiden
Frauen, wohl um die 70, ihr Tempo und entfernen sich eilig vom Ort des
Geschehens, der anscheinend auch Ort des Anstoßes ist: dem neuen Jüdischen
Zentrum auf dem Jakobsplatz.
## Rückkehr nach 68 Jahren
Mit der heutigen Einweihung der Synagoge – in den nächsten Monaten werden
noch das Gemeindezentrum und das Museum fertiggestellt – kehren die Juden
in München nach 68 Jahren wieder zurück in die Mitte der Stadt. Am 9. Juni
1938, noch vor der „Reichskristallnacht“, zerstörten die Nazis die
Hauptsynagoge am Künstlerhaus. Dort – am Treffpunkt von Künstlern,
Literaten und Intellektuellen – hatte Adolf Hitler kurz zuvor den
Entschluss gefasst, das Nachbargebäude möglichst bald dem Erdboden
gleichzumachen. Die Stadt führte das Gebot eilfertig aus, „Ein Schandfleck
verschwindet“, titelte die NS-Zeitung Der Stürmer. Bald darauf wurden im
Rahmen der NS-Vernichtungspolitik 3.000 Münchner Juden ermordet, 8.500
mussten fliehen.
Beinahe 68 Jahre später, in der vergangenen Woche, stellt der Verlag C. H.
Beck an dem geschichtsträchtigen Ort sein Buch „Jüdisches München“ vor, …
wieder ist im Künstlerhaus die Rede von einer Zeitenwende, aber diesmal
einer anderer Art. Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen
Kultusgemeinde München und des Zentralrats der Juden in Deutschland, die
1932 in München geboren wurde, spricht vom früher nie erhofften Ankommen in
ihrer Geburtsstadt. „Jetzt kann ich endlich die Koffer auspacken“ ist der
Satz, mit dem Knobloch den Moment der Grundsteinlegung vor drei Jahren
beschrieb und den sie in diesen Tagen immer wiederholt. Aber da ist auch
Christian Ude, Münchens Oberbürgermeister und Mahner der Festgesellschaft.
Von Desinteresse redet er, von Verdrängen auf beiden Seiten – und von
antisemitischen Ressentiments in der Stadtgesellschaft. „Wenn man dürfte,
hätte man schon Anmerkungen zu machen“, das sei die gegenwärtige
Ausdrucksform, die er bei Bekannten erlebe. „Was devot klingt, ist eine
unglaublich aggressive Behauptung, sie unterstellt, dass uns die jüdische
Meinung beherrscht.“
Claudia Gärtner kennt diese Haltung. „Bevor ich was Falsches sag, sag ich
lieber gar nichts – so was hört man bei dem Thema schon.“ Nur ein paar
Meter von ihrer Schneidereihandlung entfernt liegt das neue Gebäudeensemble
der Jüdischen Gemeinde. Die Synagoge mit meterhoher, nicht durchbrochener
Steinmauer und Drahtverschlag obenauf ist vielen Münchnern ein Dorn im
Auge, genauso wie das Jüdische Museum und das Gemeindezentrum.
„Stilbruch!“, hört man, wenn man sich für einige Augenblicke an den Bauza…
stellt. Oder, begleitet von einem verständnislosen Kopfschütteln: „Nichts
gegen die Juden – aber wie die das genehmigen konnten!“
Aber es gibt natürlich auch Menschen wie Claudia Gärtner. Schon vor
Baubeginn haben sie und ihre Kollegen den Kontakt zur Jüdischen Gemeinde
gesucht – „andersherum war es übrigens genauso“. Ihr Unternehmen hat den
Kindern der Sinai-Schule die Farben finanziert, damit sie den Bauzaun
verschönern konnten, der bis vor kurzem auch noch ein undurchsichtiger
Bretterverschlag war. „Jetzt wird es aber langsam Zeit, dass er wegkommt“,
sagt Gärtner, und sie verbindet damit nicht nur die physische Barriere.
„Ich hoffe, dass damit auch die Juden selbst lernen, offener zu sein.“ Ihr
ist es „schnuppe“, ob ein Münchner ein Jude, ein Muslim oder ein Christ
ist, aber trotz allen Gesprächen mit der Jüdischen Gemeinde hat sie doch
auch immer wieder eine gewisse Scheu gespürt. „Deswegen ist es auch gut,
dass wohl wenig Polizei am Platz sein wird. Mit MG vor der Synagoge, das
fänd ich schon unangenehm.“
Bis gestern beteten die Gläubigen der 9.000 Münchner Juden genau so. In
einem Hinterhof in der Reichenbachstraße. Auf der Straße stets ein
Polizeiauto, dazu ein Wachhäuschen. Im ersten Stock dieses abschreckenden
Gebäudes mit verdunkelter Scheibe war bis vor einigen Monaten auch noch das
Jüdische Museum beherbergt.
## Vom Trend her abweisend
„Das war bisher nicht unbedingt kommunikationsfördernd“, sagt Rudolf Kraus,
Hausmeister und Bewohner im Alten- und Servicezentrum Altstadt, einem
generationenübergreifenden Wohnprojekt, dessen Nordseite direkt an das neue
Jüdische Zentrum grenzt. Seine Klientel besteht aus zumeist gebrechlichen
älteren Menschen. „Vom Trend her sind die abweisend, ganz klar – genauso
wie es ja auch am Bauzaun knüppelhart zugeht.“ Eine eigene, objektive
Meinung zum Gemeindezentrum habe er deshalb gar nicht entwickeln können.
„Ich wurde von Anfang an reingedrängt in eine Abwehrhaltung.“ Muss das
sein, die Juden hier mittendrin?, würden die Alten fragen. Und dann bauen
die noch so groß! „Seit die Planungen begonnen hatten und auch jetzt beim
Bau wiederhole ich ständig: Jetzt regt’s euch ned auf. Die hatten einmal
eine Synagoge, die wurde abgerissen. Jetzt bekommen sie eine neue.“ Wenn es
zu extrem werde und manchmal einer mit Nazi-Ideen daherkomme, dann bricht
Kraus das Gespräch ab. „Über die Architektur kann man gerne streiten, aber
auf der Ebene rede ich dann nicht weiter.“ Und auch von Angst würden viele
reden, von Bombengefahr oder Anschlägen. „Ich glaube aber, das ist nur
vorgeschoben, um ihre Antihaltung zu rechtfertigen“, meint Kraus.
Die Angst und die Sicherheit, das sind die schwierigen Punkte, die auch
heute noch im Raum stehen, 68 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge und
dem Beginn des Pogroms. Zur Grundsteinlegung 2003 konnte die Polizei knapp
einen Sprengstoffanschlag des Neonazi-Führers Martin Wiese verhindern – 14
Kilo Sprengstoff wurden bei ihm gefunden. Zwei Jahrzehnte zuvor starben
sieben Holocaust-Überlebende bei einem wohl palästinensisch motivierten
Brandanschlag auf das jüdische Altersheim in der Reichenbachstraße. Und
1972, während der Olympischen Spiele in München, wurde die israelische
Mannschaft in Geiselhaft genommen.
Die Münchner Juden müssen sich schützen, die Beweise sind erbracht. Und so
wurde ein beachtlicher Teil der 72 Millionen Euro, die ihr Gemeindezentrum
gekostet hat, in Schutzmaßnahmen investiert. Die Anwohner wurden überprüft,
bombensicher sind die Gebäude, mit geheimen Fluchtwegen und
Überwachungsanlagen ausgestattet. Sicherheit, die aber kaum sichtbar wird
für die Menschen. Kein Streifenwagen wird mehr Wache halten – mit dem neuen
Jüdischen Gemeindezentrum soll ein Stück mehr Normalität einkehren.
Nur heute, zur Eröffnung, greift noch einmal das große Konzept. Dazu
gehört, dass das Stadtcafé heute schließt. Die Schaufenster des Lokals, in
dem die Münchner Mitte gern ein Glas Wein trinkt, eröffnen den Blick auf
den gesamten Platz, das ist den Behörden dann doch zu heikel. Oder
andersherum: „Wir sind so nah dran, dass man wohl was abkriegt“, meint
Geschäftsführer Wolfgang Köck, der selbst hinter der Bar steht, trocken.
„Des wird schon nix sein, wenn man sich so einsperrt“, schimpfte manch
einer beim Gang durch die zwei Meter breite Gasse zwischen Köcks
Schaufenster und dem Bauzaun. Für den Gastronomen nur dummes Gerede.
„Soweit ich weiß, ist das Betreten von Baustellen allgemein verboten, also
was soll das?“
Mit den Mitarbeitern übte er sich bislang ein wenig in Galgenhumor, nachdem
Wieses Terrorplan aufgeflogen war. Was, wenn nun einer dasitzt, der nach
Neonazi ausschaut und vielleicht das Treiben auf der anderen Seite der
Scheibe beobachtet? „Wenn’s klar ist, würd ich sagen: Schleich di, ich hab
keine Lust, solche Arschlöcher zu bedienen.“
9 Nov 2006
## AUTOREN
MAX HÄGLER
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