Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zur Bedeutungslosigkeit poliert
> Alles schon mal da gewesen, doch es funktioniert: Beim deutschen
> Gastspiel des „Woyzeck“ am Berliner Ensemble beeindruckt die
> Zusammenarbeit des Kältetechnikers Bob Wilson mit dem melancholischen
> Musiker Tom Waits durchaus ein weiteres Mal
von CHRISTIANE KÜHL
Am Anfang ist es wie Weihnachten. Da stehen ein Pferdchen und ein Bettchen
und ein Häuschen, eine kleine Tanne und ein sehr, sehr kleines Riesenrad,
und alle sind sie mit blinkenden Miniaturlichtern behangen. Wie
Schaufensterdekoration in diesen schönen Stadtteilen, wo man auch im
Dezember weiße Lilien und frische Pasta an jeder Ecke kaufen kann. Dann
beginnen sie zu laufen, langsam nach links aus dem Bühnenbild hinaus,
während auf dem Vorhang das Label eingeblendet wird: „Woyzeck“ steht da in
ausgewogen schiefen Großbuchstaben. Ein markanter Schriftzug, der die
Aufführung umgehend mit „The Black Rider“, „The Forest“, „Alice“ u…
„Poetry“ in eine Produktlinie stellt. Robert Wilson lights the lights.
„Dass ihr Kritiker immer was Neues erwartet“, hatte ein Bekannter schon vor
Betreten des Theaters moniert: „Caravaggio hat auch sein Leben lang im
selben Stil gemalt!“ Tom Waits geht sogar noch einen Schritt weiter: „Er
ist wie da Vinci“, wird der New Yorker Musiker im Programmheft über den
New-York-based Jetset-Regisseur zitiert. Schon für sein Musiktheaterstück
„Frank’s Wild Years“ 1986 hatte sich der damals 35-jährige Sänger Robert
Wilson als Regisseur gewünscht, doch er musste warten, bis das Hamburger
Thalia Theater sie in den Neunzigern erst für die – wunderbar gelungene –
„Freischütz“-Bearbeitung „The Black Rider“, später für eine – leid…
außerhalb des Wunderlandes stehende – „Alice“ zusammenbrachte. Waits wird
übrigens, so verriet er dem Rolling Stone Magazine vergangenen Herbst, von
seiner Frau Kathleen Brennan „Plank“ genannt, während er sie „Plink“ r…
Wenn die zwei sich gemeinsam ins Klavierzimmer setzen, „geht es plink,
plank. Und daraus entstehen die Songs.“ Seit 20 Jahren geht es so. Auch
hier im Wesentlichen im selben Stil. Aber was soll man sagen: Sie entstehen
gut.
„If there’s one thing you can say about Mankind / there’s nothing kind
about man“, eröffnet der Ausrufer tröstend den Abend. Dass die
Jahrmarktszene in dieser Anordnung von Büchners „Woyzeck“-Fragment am
Beginn steht, macht Sinn: Volksliedgut, Kabarett- und
schleppend-scheppernde Marschrhythmen bestimmen Waits’ Kompositionen, und
auch Wilson scheint das Drama als eine bunte Geisterbahnfahrt zu begreifen.
Sein Woyzeck ist ein bleicher Marathonläufer, der nicht von der Stelle
kommt, der bis zur Erschöpfung rennt auf immer demselben Flecken Erde,
während um ihn herum die Prospekte wechseln. Gelb, rot, grün. Das Leben ist
eine prächtige Karussellfahrt. Nur einer hat kein Ticket bekommen. Da tut
er, was man tut, wenn man sich fürchtet: Er singt. Von Marie, der einen, so
nah und doch so fern: „She’s a rose / she’s a pearl / she’s my Coney Is…
Girl.“ Bis der Mond herunterkracht.
Robert Wilson, wie immer auch für die Bühne und das Licht verantwortlich,
hat für den Reigen Bilder gefunden, wie er sie so zu finden pflegt: schiefe
Fenster, hohe Stühle, monochrom leuchtende Hintergründe und Figuren, die
sich mit der Eleganz dreidimensionaler Schattenrisse bewegen. Glatt ist
diese Welt, poliert in die Bedeutungslosigkeit, dekoriert mit leeren
Zeichen. „God’s away on business“, singt der Doktor und gibt damit einen
Hinweis auf die Ursache der Seelenlosigkeit dieser Landschaften.
Alles schon mal da gewesen, und doch funktioniert es: Im Zusammenspiel mit
der reich und ungewöhnlich instrumentierten melancholischen Musik von Waits
sind die Tableaus des minimalistischen Kältetechnikers Wilson noch einmal
eindrucksvoll. Das Lagerfeuer im freien Feld, gestapelt wie filigrane
Mikadohölzer, die rote Marie im Ritt auf dem roten Tambourmajor, eine
Umarmung im brennenden Orange der Weltausblendung. Ein schönes
Musiktheater. Büchners „Woyzeck“ geht dabei zwar verloren – was schade i…
denn man hätte das Drama der gehetzten Kreatur sehr schön als ewiges
Abgleiten an den Oberflächen beschreiben können –, doch so etwas muss ein
schönes Musiktheater nicht stören. Wenn der arme Soldat Woyzeck die
leichtsinnige Hure Marie im See ersticht, zirpen die Heuschrecken wie
Kreissägen. Der Mond fährt auf die Erde herab, es geht melodisch zu:
„Misery is the river of the world. Everybody row!“
Die Uraufführung dieser dänischen Produktion fand im November im kleinen
Betty Nansen Teatret in Kopenhagen statt; im Berliner Ensemble finden bis
Samstag die einzigen Deutschlandgastspiele statt. Claus Peymann verriet
nach der Premiere, dass er Wilson gern für eine Büchner-Trilogie
verpflichten würde; einen „Danton“ gibt es bereits, „Woyzeck“ sollte
umbesetzt werden und „Leonce und Lena“ dazukommen. Fest auf der Agenda des
Amerikaners steht bis jetzt allerdings nur eine Inszenierung von „Dr.
Caligari“ am Deutschen Theater. Das mag den Hausherrn sticheln, aber
Schmerzen konnten nicht aufkommen, denn der dänische König hatte für die
Premierenfeier dänischen Weißwein, dänischen Rotwein und 120 Dosen
Faxe-Bier spendiert. Dosenbier vom dänischen König: das war dann doch wie
Weihnachten.
3 Sep 2001
## AUTOREN
CHRISTIANE KÜHL
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.