# taz.de -- Zum Welttag gegen Kinderarbeit: Brot oder Bildung | |
> 165 Millionen Jungen und Mädchen müssen weltweit arbeiten. Experten | |
> fordern, Bildung so zu gestalten, dass auch arbeitende Kinder teilnehmen | |
> können. | |
Bild: In Indien arbeiten besonders viele Kinder: Wasserverkäufer aus Delhi. | |
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) engagiert sich "für einen | |
Stopp der Kinderarbeit durch den Zugang zu staatlicher Bildung für alle | |
Kinder". So heißt es in einer Pressemitteilung zum heutigen Welttag gegen | |
Kinderarbeit. Der ILO zufolge arbeiten derzeit weltweit 165 Millionen | |
Kinder zwischen 5 und 14 Jahren. Die gleiche Zahl hatte die | |
UNO-Organisation bereits vor zwei Jahren angeführt, als sie verkündete: | |
"Das Ende der Kinderarbeit: Zum Greifen nah." Man ist dem Ziel in den | |
letzen beiden Jahren also nicht näher gekommen. | |
Als Maßnahmen empfiehlt die ILO eine allgemeine Schulpflicht, kostenlosen | |
Schulbesuch und eine Förderung des Bewusstseinswandels, damit auch Mädchen | |
lesen und schreiben lernen. | |
Doch offiziell gibt es das alles in vielen Ländern bereits. In Indien | |
beispielsweise sieht die Verfassung den kostenlosen Schulbesuch für alle | |
Menschen bis zum 14. Lebensjahr vor. Aber zum einen fehlen auf dem | |
Subkontinent fast 100.000 Grundschulen insbesondere in ländlichen Gebieten. | |
Zum anderen können sich viele Kinder den Schulbesuch nicht leisten, weil | |
Uniformen und Hefte zu kaufen sind und sie während der Unterrichtszeit | |
ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Darüber hinaus brechen fast 40 | |
Prozent der indischen Kinder die Ausbildung ab, bevor sie die Primarschule | |
durchlaufen haben. Dabei führen sie sowohl ökonomische Gründe an als auch | |
das Gefühl, dort nichts zu lernen. | |
Tatsächlich sind viele Schulen in Indien katastrophal ausgestattet, wie | |
eine Untersuchung des christlichen Eine-Welt-Instituts Südwind belegt. Bei | |
spontanen Besuchen trafen die Experten nur in 45 Prozent der Fälle | |
überhaupt Lehrer an, die Bücher waren veraltet und die Lerninhalte schlecht | |
aufbereitet. | |
Neben einer besseren Ausstattung der Schulen fordern Experten deshalb auch, | |
den von der ILO proklamierten Gegensatz von Schule und Arbeit infrage zu | |
stellen. "Wenn wir uns die Situation von Kindern in der Landwirtschaft, in | |
Haushalten ohne Erwachsene oder von Kindern als Straßenhändler anschauen, | |
wird deutlich, dass Bildungsmaßnahmen und -programme so gestaltet werden | |
müssen, dass arbeitende Kinder teilnehmen können", sagt Barbara Dünnweiler | |
von der Kindernothilfe. | |
Das fordert auch die Weltbewegung arbeitender Kinder, die sich in den | |
vergangenen Jahren von Lateinamerika ausgehend auch in Afrika und Asien | |
etabliert hat. Aus eigener Erfahrung wissen die dort engagierten Jungen und | |
Mädchen, dass ihre Chefs und Kunden sie übers Ohr hauen, wenn sie das | |
Einmaleins nicht beherrschen. Und nur die Fähigkeit, lesen und schreiben zu | |
können, verspricht die Aussicht auf einen besseren Job. Bildung ist für sie | |
deshalb ein höchst erstrebenswertes Gut. | |
Das zweite traditionelle Heilmittel der ILO gegen Kinderarbeit ist die | |
Forderung, Kinderarbeit generell zu verbieten. Doch wo das geschieht, ist | |
es oft zum Nachteil der Kinder. So berichtet der Verein ProNats, der sich | |
die Unterstützung arbeitender Kinder auf die Fahnen geschrieben hat, dass | |
Kinder im peruanischen Arequipa inhaftiert wurden, weil sie auf der Straße | |
Kunststücke vorführten, um Geld zu verdienen. In Brasilien verprügeln | |
Wachdienste regelmäßig Kinder, die als fliegende Händler in den | |
innerstädtischen Konsumzonen ihre Kundschaft suchen - ohne dass die Polizei | |
oder andere staatliche Stellen eingreifen. "Der Kampf gegen Kinderarbeit | |
wird immer häufiger zum Feigenblatt für die Unterdrückung arbeitender | |
Kinder", heißt es bei ProNats. | |
Aus Sicht der Betroffenen ist deshalb eine andere Strategie wesentlich | |
sinnvoller als ein Verbot: die Stärkung von Kinderrechten, insbesondere in | |
den internationalen Programmen zur Armutsbekämpfung. | |
12 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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