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# taz.de -- Zum Tod des Regisseurs Eric Rohmer: Im Reich der Alltagslügen
> Er war ein Dialogartist und atmosphärischer Feingeist. Am Montag ist der
> französische Regisseur und Schriftsteller Eric Rohmer im Alter von 89
> Jahren gestorben.
Bild: Rohmer gehörte zu den Mitbegründern der Nouvelle Vague.
Als Eric Rohmer vor einigen Jahren in Venedig das Drama "Die Lady und der
Herzog" (2001) vorstellte, wirkte der über 80-jährige Regisseur
zerbrechlich. In sich zusammengesunken, stellte er sich in einem dunklen,
stickigen Raum des Nobelhotels Baur den Fragen der Journalisten. Dabei
nuschelte er so stark, dass einzelne Sätze auch nach mehrmaligem Abhören
des Tonbandes nicht zu verstehen waren. Wenn er über die Protagonisten
seines Historienfilms sprach, die königstreue Grace Elliott und den Herzog
von Orléans, einen adligen Revolutionär, blitzte in seinen Augen jedoch ein
Feuer auf. Der moralisch-intellektuelle Disput war sein Zuhause.
Die Vorliebe für das gesprochene und geschriebene Wort kam nicht von
ungefähr: Rohmers erste Liebe galt der Literatur. 1920 als Jean-Marie
Maurice Schérer in Tulle geboren, studierte er klassische Literatur und
unterrichtete in Paris. Wie bei seinen Weggefährten, mit denen er die
Nouvelle Vague begründete - Godard, Truffaut, Chabrol und Rivette - führte
der Weg zum eigenen Filmschaffen über die Kritikertätigkeit. 1948
veröffentlichte er seinen ersten Artikel in der Revue du Cinéma, ab 1951
schrieb er regelmäßig für die Cahiers du Cinéma und publizierte dort unter
anderem filmtheoretische Essais wie "Zelluloid und Marmor". 1959 wurde er
Chefredakteur der von André Bazin gegründeten Filmzeitschrift.
Noch bevor sich der Homme de Lettres in den Fünfzigerjahren, in einem Klima
des cineastischen Aufbruchs, mit den Kollegen der Cahiers an die
Realisierung eigener Kurzfilme wagte, hatte er in einer andern Sparte die
Saat für das spätere Oeuvre gelegt. 1946 war bei Gallimard der Roman
"Elisabeth" eines gewissen Gilbert Cordier erschienen - Rohmer benützte
mehrere Pseudonyme -, ein scheinbar unbeschwertes Sommerstück, das auf
frappante Weise das thematische und atmosphärische Spektrum seines
Filmuniversums vorwegnimmt.
Auf einem Landsitz in der französischen Provinz lässt der Autor während des
Sommers 1939 einige Jugendliche aufeinander treffen, die sich in
Freundschaft oder Liebe zugetan sind. Psychologisch versiert beschreibt er
die Annäherungen und Distanzierungen, die Tändeleien, Täuschungsmanöver und
Trennungen, die sich aus den Begegnungen ergeben. Was aus den präzisen
Beobachtungen des Alltags entsteht, ist ein luftiges, filigranes, auch
kapriziöses Beziehungsgeflecht, wie es Rohmers schönste Werke, etwa
"Pauline am Strand" (1982) oder "Herbstgeschichte" (1998), kennzeichnen
wird.
Die Beziehung von Mann und Frau, aber auch der Geschlechtsgenossen
untereinander, die erotische Anziehung, Liebe, Eifersucht und Rivalitäten -
das ist der Stoff, aus dem die feinsinnigen Dramen Rohmers gesponnen sind.
Wie kein anderer Vertreter der Nouvelle Vague legt er den Schwerpunkt der
Auseinandersetzung auf den mündlichen Disput. Egal, ob im berühmten Film
"Meine Nacht bei Maude" (1969) ein Katholik, ein Kommunist und eine blonde
Frau eine Nacht lang über Ehe, Moral, Religion und Pascal debattieren; ob
in der Kriminalkomödie "Die Frau des Fliegers" (1981) ein Student und eine
zufällige Bekannte über eine vermeintliche Ehefrau phantasieren; oder ob
die Antagonisten aus "Die Lady und der Herzog" für und gegen die
Schreckensherrschaft argumentieren: Die Dialoge beherrschen die Szenerie.
Sie sind von einer Schärfe, einem impliziten Humor und einer Brillanz, die
den menschlich und philosophisch geschulten Autor verraten.
Die Liebe zur Sprache hat Rohmer, dessen mehr als fünfzig Filme umfassendes
Oeuvre zum Großteil aus Zyklen - "Moralische Erzählungen", "Komödien und
Sprichwörter", "Erzählungen der vier Jahreszeiten" - besteht, regelmäßig in
Literaturverfilmungen gepflegt. Wechselweise in theatralisch stilisierten,
historisch rekonstruierten oder natürlichen Kulissen entstanden höchst
eigenwillige Adaptionen. So jene der "Marquise von O." (1976) nach Heinrich
von Kleist, die er mit Schauspielern der Berliner Schaubühne drehte, oder
"Perceval le Gallois" (1978) nach Chrétien de Troyes, in der das Ensemble
mittelalterliche Verse spricht.
Die Dialoglastigkeit wurde dem Autor und Regisseur, der gemeinhin als
theoretischer Kopf der Nouvelle Vague gilt, nicht selten als (zu)
intellektueller, auch papierener Umgang mit den Mitteln des Kinos
ausgelegt. Tatsächlich spielt die Handlung in seinen Dreiecks- und
Vierecksgeschichten eine untergeordnete Rolle, und die Kamera übernimmt den
Part eines in jeder Hinsicht unauffälligen Beobachters. Zudem sind die
Inszenierungen von formaler Strenge geprägt. Das schlichte, auf das
Notwendige reduzierte Setting lässt die Schauspieler dafür umso dominanter
ins Licht der Leinwand treten: Jean-Louis Trintignant und Marie-Christine
Barrault in "Meine Nacht bei Maude", Arielle Dombasle und Pascal Greggory
in "Pauline am Strand", Marie Rivière und Béatrice Romand in
"Herbstgeschichte" - das sind Paarungen, deren zugleich vitale und fragile
Beziehungen in der Filmgeschichte einzigartig geblieben sind.
In der Schauspielführung hat dieser Filmemacher, neben seinen
schriftstellerischen Fähigkeiten, eine besondere Virtuosität entfaltet.
Kompromisslos verpflichtete er die Darsteller auf die tragenden Rollen,
indem er ihnen - nach eigenem Bekunden - die Freiheit der Interpretation
überließ. Und er wusste, wieso. In ihrer Macht lag es, auszudrücken, worum
es in den so leicht dahingeworfenen, verspielten Erzählungen geht: Dass
hinter dem, was die Figuren äußern, immer auch das Nichtgesagte,
Verschwiegene oder auch nur Gemeinte lauert. Seine Filme sind Meisterwerke
der Doppelbödigkeit, der Unaufrichtigkeit, der Täuschung.
Kein anderer Regisseur hat den Echoraum der Alltagslügen subtiler
auszuloten verstanden als Eric Rohmer. Darin liegt vermutlich das Geheimnis
seiner seltsam schwebenden Konversationsstücke. Es ist der
verständnisvoll-melancholische Blick auf die Condition humaine.
Leicht dahingeworfen, verspielt wirken Rohmers Filme. Doch hinter dem, was
die Figuren äußern, lauert immer auch das Nichtgesagte, Verschwiegene
11 Jan 2010
## AUTOREN
Nicole Hess
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