Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum Tod Jörg Haiders: Rechts aus der Bahn geworfen
> Immer wieder hat der Jörg Haider mit Unmenschlichkeit überrascht. Er war
> Volksverhetzer, aber auch ein Clown. Und immer wieder fragte man sich:
> Wie tickt der eigentlich?
Bild: Eine Art James Dean der österreichischen Politik: Jörg Haider
Wo, verdammt noch mal, kommt dieses irre Gefühl her? Dieses, ja, was für
ein Gefühl eigentlich? Erschrecken. Mitgefühl. Fast so etwas wie Trauer.
Ich starre auf den Bildschirm: "Jörg Haider tot", steht da in riesigen
Lettern.
Gut, angesichts des Todes tritt die politische Gegnerschaft zurück und das,
was man so unscharf "das Menschliche" nennt, tritt in die erste Reihe. Als
Mann mit "großen Begabungen und Talenten" würdigt ihn der Bundespräsident,
Noch-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer von den Sozialdemokraten zeigt sich
"tief betroffen". Das ist schon echt. Man wünscht niemandem so ein Ende.
Und außerdem: Die Pietät verlangt solche Sätze.
Andererseits, es haben auch schon mal Menschen so über gerade Verstorbene
gesprochen: Ein "tragischer Vorfall", aber man soll "also nicht dauernd,
also Krokodilstränen für einen, äh, abgeschobenen Drogendealer" vergießen.
So sprach Jörg Haider 1999, nachdem der schwarze Asylbewerber Marcus
Omofuma bei seiner Deportation, zusammengeschnürt und mit Klebeband
geknebelt, gestorben war. Drogendealer war Omofuma natürlich keiner.
Noch vor ein paar Wochen hat Haider im Wahlkampf während einer
TV-Konfrontation einer Frau, deren Mann gerade auf Grund des gnadenlosen
Ausländerrechtes den Ausweisungsbescheid erhalten hat, ins Gesicht gesagt,
es werde wohl schon einen guten Grund geben, warum der Gatte des Landes
verwiesen werde. Krimineller und so.
Bis zuletzt konnte Jörg Haider einen immer wieder mit seiner Fähigkeit zur
Unmenschlichkeit überraschen.
Dennoch, es ist schon recht so, dass man Haiders Ende jetzt mit Erschrecken
aufnimmt. Man kann auch Mitgefühl mit jenen haben, die zum Mitgefühl nicht
fähig sind. Hätte man es nicht, sie hätten gewonnen: Man wäre ihnen
ähnlich. Und ein bisschen bleibt einem auch der Atem weg, wegen der Art
dieses Todes. Weil er irgendwie passt. Nicht wenige hatten erwartet, dass
Jörg Haider einmal so sterben würde.
Denn es war immer zu kurz gegriffen, Haider nur als talentierten
Rechtsaußenpolitiker zu beschreiben. Klar, das war er auch, aber das reicht
nicht aus, um diese Figur, diese Type zu verstehen und auch die
Faszination, die von ihr beinahe eineinhalb Jahrzehnte ausging. Haider war
auch ein Exzentriker, ein politischer Borderliner.
Er war einer, der den alten Nazis, den jungen Dumpfen und den feschen
Yuppies schmeichelte, aber er war dabei auch eine Art James Dean der
österreichischen Innenpolitik. Jetzt starb er wie Dean, nur älter. Ende
einer Dienstfahrt.
58 Jahre war Haider alt, und es schießt einem der Gedanke durch den Kopf:
Er hat es gerade noch geschafft. Haiders Magnetismus verdankte sich nicht
in geringem Maße seiner jungenhaften Rebellenpose. Er wirkt, schrieb
Haider-Biographin Christa Zöchling vor knapp zehn Jahren, in dieser Pose
"tatsächlich alterslos, mit ewiger Jugend ausgestattet". Als verlangsamten
Alten hätte man sich den postmodernen Pop-Politiker, der Haider auch war,
nur schwer vorstellen können.
Er war Volksverhetzer, aber auch ein Clown. Mal war er mehr zum Fürchten,
mal war er mehr zum Lachen. Mal trieb er die gesamte politische Klasse vor
sich her, dann wieder zog er sich als Landeshauptmann nach Kärnten zurück
und musste sich als "König vom Wörthersee" verspotten lassen. Bei kaum
einem Politiker wurde derart oft und derart ratlos gefragt: Wie tickt der
Kerl eigentlich?
Er führte seine Partei in ungeahnte Höhen, scharte ergebene Zöglinge um
sich, nur um sie regelmäßig zu verstoßen. Mal drohte er, seine Partei
aufzulösen, dann wieder mit dem Totalrückzug. Eine ganze
Journalistengeneration war damit beschäftigt, Jörg Haider zu verstehen.
Dem Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung verdanken wir den Hinweis,
dass, "wer nun über die Rationalität von Haiders Handlungsweisen grübelt,
die falsche Frage im Kopf" hat. Er führte durch Unberechenbarkeit. "Je
unergründlicher der einsame Ratschluss des Anführers erscheint, desto
stärker seine Aura."
Der Irrlauf war Erfolgsrezept, aber er war keineswegs Taktik. Eine
verletzliche Diva hat man ihn auch genannt, "maßlose Selbstüberschätzung",
bei gleichzeitig "extrem hoher Kränkbarkeit" attestierte der Wiener
Psychoanalytiker August Ruhs, der alle Jahre befragt wurde, wenn die
Kommentatoren in Hinblick auf die frühere Zentralfigur der österreichischen
Innenpolitik wieder einmal mit ihrem Latein am Ende waren.
Manche nannten das Charisma. Manche eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung.
Und er war ein Winner-Typ, der beinahe besessen davon schien, sich immer
auch alles kaputt zu machen. Bei vier Prozent lag die rechtsnationale
Honoratiorenpartei FPÖ gerade, als Haider sie 1986 putschartig übernahm. 27
Prozent der Wählerstimmen holte er am Höhepunkt seines Triumphes, bei den
Nationalratswahlen 1999. Damit hatte seine Partei die
christlich-konservative Volkspartei auf Platz drei verwiesen und Haider
machte, gewissermaßen als Entrée zu hohen Ministerehren, deren Chef
Wolfgang Schüssel zum Bundeskanzler.
Haider selbst aber zauderte plötzlich. Er blieb in Kärnten und überließ
seinen Zöglingen die Transformation der brachialen Oppositionspartei in
eine Regierungspartei. Kaum folgte eine Identitätskrise der Partei, fiel er
ihnen in den Rücken. Als der ultrarechte Flügel der Partei gegen die
Regierungsfraktion putschte, blieb Haider aber wieder auf Seiten der
Realisten-Fraktion. Und es geschah, was er wohl nicht für möglich gehalten
hatte: Die Partei, die er groß gemacht hatte, wandte sich von ihm ab.
Die FPÖ führt seither der rechte Haider-Klon Heinz-Christan Strache. Haider
gründete sein "Bündnis Zukunft Österreich" und galt als Gescheiterter, bis
er bei den Nationalratswahlen am vorvergangenen Sonntag überraschend elf
Prozent der Stimmen holte.
Es war ein letzter Triumph.
Er war als Politiker immer ein Gambler und er liebte es, wenn die Dinge auf
des Messers Schneide stehen. Vielleicht war es die Lust am Thrill,
vielleicht hielt er sich in seiner Ich-Fixiertheit auch für unverwundbar.
Auch wenn er immer wieder Gefolgsleute um sich scharte, die ihm schier
grenzenlos ergeben waren, war seine politische Karriere doch auch und vor
allem Egotrip.
Das Showmanhafte war seine Stärke, gegen die sich seine Konkurrenten nicht
zu helfen wussten. Seine Macken, seine Sucht nach Aufmerksamkeit, seine
Respektlosigkeit, sein Vorwitz, seine Ignoranz gegenüber Gepflogenheiten
und Realitäten, mit einem Wort, all jene Charaktereigenschaften, in denen
sich seine Exzentrik erwies, hoben ihn auch immer vom Typus des politischen
Funktionärs ab - von den "Altparteien", wie er die Etablierten verächtlich
hieß.
Er war nicht der einzige jener rechten Parteiführer, die gleichzeitig auch
Rappelköpfe sind oder waren - Berlusconi, Fortuyn, Bossi, Schill. Dabei war
er ein Mensch, "der kleiner wirkt, je näher man ihm kommt", wie eine
Reporterin einmal beobachtete. Er war ein Showpolitiker, und gingen die
Scheinwerfer aus, wirkte auch Haider wie abgedreht.
Vor fünfzehn Jahren waren wir einmal gemeinsam in einer deutschen Talk-Show
zu Gast. Nach dem Gespräch hing er sich regelrecht an mich und ein paar
andere Österreicher an. Wir waren für ihn unter all den Deutschen fast
Vertraute. Er fühlte sich unsicher, nach dem Ende der Show. Es war gar
nicht so leicht, seine Verbrüderungsversuche abzuwehren.
Er war inkohärent bis zum Erratischen. Ein Risikotyp, den immer wieder in
entscheidenden Momenten der Mut verließ, ein harter Rechter, der
ideologischen Ballast ohne viel Federlesens über Bord warf, wenn er ihm
nichts mehr nützte, einer, der wahrscheinlich viel weniger ernst meinte,
als viele glauben, der aber doch immer authentisch zu meinen schien, was er
gerade sagte - selbst wenn es die größte Obskurität war.
Maß kannte er keines. Dass er je vor einer Gemeinheit zurückgeschreckt
wäre, ist nicht bekannt. Jetzt fand er, wie man so sagt, den Tod. Nicht,
dass er ihn gesucht hätte. Aber gespielt hat er ein wenig mit ihm. Er
hatte, wohl mit überhöhter Geschwindigkeit, links überholt und sich rechts
eingereiht, dann warf es ihn aus der Bahn.
Vielleicht macht da mal jemand eine Metapher daraus.
13 Oct 2008
## AUTOREN
Robert Misik
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.