# taz.de -- Zukunft mit vereinten Schmerzen | |
aus Pyla und Nikosia KLAUS HILLENBRAND | |
Das weiß gestrichene hölzerne Wachhäuschen des Postens „UN-129“ thront �… | |
der griechischen Kneipe. Gelangweilt schiebt ein irischer Blauhelm-Soldat | |
dort Wache und schaut den Backgammon spielenden Besuchern des | |
gegenüberliegenden türkischen Kaffeehauses zu. Auf dem Marktplatz von Pyla | |
scheint Zypern noch so, wie es vor Jahrzehnten fast überall auf der Insel | |
war: Griechische und türkische Einwohner leben nebeneinander, nicht | |
unbedingt als Freunde, aber doch als Nachbarn. Pyla ist einzigartig. Eine | |
Laune der Militärs ist dafür verantwortlich, dass das Dorf im Krieg von | |
1974 nun in der von den Vereinten Nationen kontrollierten Pufferzone liegt. | |
Niemand musste damals fliehen. Deshalb wetteifern der islamische Muezzin | |
und die griechisch-orthodoxen Kirchenglocken hier mit ihrer Phonstärke. | |
Deshalb ist Pyla ein Ort geworden, in dem Inseltürken und -griechen fast | |
ungehindert zusammenkommen können – wenn sie wollen. | |
Wollen sie? Die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die USA, | |
Großbritannien, Griechenland, die Türkei: Alle drängen die Zyprioten dieser | |
Tage auf einen friedlichen Neubeginn in einem neuen Staat. Der Vorschlag | |
von UN-Generalsekretär Kofi Annan liegt auf dem Tisch und soll am Rande des | |
EU-Gipfels in Kopenhagen unterzeichnet werden, rechtzeitig zur Erweiterung | |
der Union, bei der zumindest das griechische Zypern dabei sein will. Hat | |
Pyla wieder eine Chance, von der Ausnahme zum Alltag zu werden? | |
An diesem Abend im Restaurant Pilieves in Pyla ist die Antwort klar. | |
Hunderte sind gekommen, Griechen und Türken. „Ich wurde aus Famagusta | |
vertrieben und lebe jetzt bei Larnaka im Süden“, stellt sich ein hagerer | |
Mann vor. Sein Freund ergänzt: „Und ich komme ursprünglich aus Larnaka, | |
lebe aber heute in Famagusta.“ Sie haben sich schon vor zwei Jahren | |
erstmals getroffen, und für sie und die anderen Friedensfreunde ist es | |
überhaupt keine Frage, ob Griechen und Türken auf Zypern wieder friedlich | |
zusammenleben wollen – aber selbstverständlich! | |
Das Lokal ist überfüllt. Diplomaten aus der geteilten Hauptstadt Nikosia | |
sind gekommen, Fernsehteams haben Kameras aufgebaut. Auf dem Podium sitzen | |
vier Politiker, zwei Griechen und zwei Türken, was auf Zypern etwa so | |
normal ist, als ob eine Sonnen- und eine Mondfinsternis parallel ablaufen. | |
Und doch sind die Herren mit Krawatte nicht die Hauptpersonen, das Publikum | |
ist es. Es schwatzt ununterbrochen auf Englisch, Griechisch, Türkisch oder | |
in einem Gemisch aus allem zusammen. Sie umarmen sich, sie jubeln, wenn | |
einer der vier Herren ihnen aus dem Herzen spricht, so wie Mustafa Akinci | |
von der Opposition im zyperntürkischen Norden. Schluss müsse sein mit den | |
ewigen Verhandlungen ohne Ergebnis, sagt er, und verlangt eine sofortige | |
Zypern-Lösung. Er sagt: „Wir sollten nicht versuchen, eine perfekte Löung | |
zu suchen. Wenn wir das tun, besteht die Gefahr, dass wir eine gute Lösung | |
verpassen.“ Gewaltiger Applaus. Noch größere Zustimmung gibt es, als eine | |
junge Türkin dazu auffordert, überall auf der Insel große Demonstrationen | |
für den UN-Friedensplan abzuhalten. | |
Nun ist es aber so: Das griechische Fernsehen und eine türkische Station | |
übertragen die Diskussion von Pyla live nach Athen und Ankara. Aber auf | |
Zypern selbst bringt der griechischsprachige Staatsrundfunk nur | |
Ausschnitte, und Bayrak, der Sender der Zyperntürken, hat gar nicht erst | |
einen Kameramann vorbeigeschickt. So wird kaum etwas von der Begeisterung | |
überspringen. | |
Konstantinos Rologas wäre wohl nicht auf die Idee gekommen, nach Pyla zu | |
fahren, ihn hätte auch kaum jemand zur Veranstaltung im Pilieves | |
eingeladen. Dabei kennt der Mann sich mit Kundgebungen aus: Erst am Vortag | |
hat der zyperngriechische Arzt vor rund 3.000 Menschen bei strömendem Regen | |
in Nikosia gesprochen: für den Frieden, aber gegen den UN-Friedensplan. | |
Jetzt sitzt Rologas vor seinem Schreibtisch in einem engen Büro, das sich | |
in der falschen Stadt, in Nikosia, befindet. Denn der 56-Jährige ist | |
Exil-Bürgermeister von Kyrenia, der Stadt, die die türkische Armee vor 28 | |
Jahren eroberte. Und dorthin will er zurück, doch der UN-Plan lässt ihn | |
nicht. Der sieht einen gemeinsamen Staat vor, der allerdings aus zwei | |
Kantonen mit großer Selbstständigkeit besteht. Im künftigen | |
zyperntürkischen Kanton soll nur eine kleine Minderheit Griechen leben | |
dürfen. Kyrenia gehört auch nicht zu jenen Gebieten, die dem griechischen | |
Kanton zugeschlagen werden sollen und wohin alle Flüchtlinge zurückkehren | |
dürften. | |
„In diesem Plan werden die Menschenrechte mit Füßen getreten“, klagt | |
Rologas: „Europa wird von den Angloamerikanern unter Druck gesetzt, hier | |
Tatsachen einzuführen, die an das Modell Bosnien erinnern.“ Der | |
Bürgermeister ohne Stadt ist gerne zum Zusammenleben mit den Zyperntürken | |
bereit, nicht aber mit den Siedlern, die seit 1974 aus der Türkei auf die | |
Insel gekommen sind. Sie sollen zurück, findet er, und die türkischen | |
Soldaten müssten ohnehin von der Insel verschwinden. Sollte der Plan | |
trotzdem akzeptiert werden, will er bei der Volksabstimmung über den neuen | |
Staat mit Nein stimmen, auch wenn Zypern dann nicht Mitglied der EU wird. | |
Besser keine Lösung, besser die Teilung des Landes als das. | |
Viele im griechischen Zypern denken wie Konstantinos Rologas, denn es ist | |
einfacher Nein zu sagen als 137 Seiten eines komplizierten | |
Verfassungsentwurfs zu akzeptieren, der allen ein bisschen und niemandem | |
alles von dem gibt, was er sich erhofft hat. Es ist leichter vom vorgeblich | |
gerechten Frieden zu träumen als vom schmerzhaften Kompromiss. Die Synode | |
der Kirche zum Beispiel hat sich festgelegt – auf ein Nein. Die kleine | |
Partei der Grünen – lehnt ab. Auch die großen Parteien sind nicht in | |
Begeisterung verfallen, wollen prüfen, verhandeln, abwägen. „Wir können | |
jetzt nicht offen für den UN-Friedensvorschlag demonstrieren“, erklärt ein | |
zyperngriechischer Regierungsvertreter, der den Plan im Stillen vehement | |
unterstützt und Wert auf Anonymität legt. Warum er nicht offen redet: „Ein | |
Politiker, der das täte, könnte als Verräter gebrandmarkt werden.“ | |
Einen Kilometer nördlich des Büros von Bürgermeister Rologas, im türkischen | |
Teil Nikosias, sollen rote Flaggen und Porträts des türkischen | |
Staatsgründers Kemal Atatürk zeigen, dass eine gemeinsame Zukunft von | |
Griechen und Türken auf wenig Gegenliebe stößt. Einige tausend protestieren | |
– gegen den UN-Plan, für die Teilung. „Wollt ihr Glockengeläut statt den | |
Muezzin hören?“, beschwört ein Redner die grausige Zukunft herauf. „Wollt | |
ihr eure Heimat verlassen?“ | |
Die Plakate sehen vorfabriziert aus. Und ein über den Köpfen im Tiefflug | |
knatternder Hubschrauber der türkischen Armee wird bei jedem Überflug | |
jubelnd begrüßt. Alles wirkt seltsam geplant, so dass man daran zweifelt, | |
ob diese Veranstaltung Repräsentativität für die Meinung der türkischen | |
Zyprioten beanspruchen darf. | |
„Sie haben Soldaten in Zivilkleidung gesteckt und an der Demonstration | |
teilnehmen lassen“, sagt Mehmet Ali Talat, Chef der linken | |
Türkisch-Republikanischen Partei. „Sie verlangten von den | |
Staatsangestellten die Teilnahme und machten Druck auf die Studenten. Das | |
ist kein Vergleich zu unserer Demonstration.“ Damals, Ende November, waren | |
über 15.000 Zyperntürken, fast jeder zehnte Einwohner Nordzyperns, für ein | |
Zusammenleben mit den Inselgriechen und die EU-Mitgliedschaft auf die | |
Straße gegangen. Heute reagiert die Staatsmacht. Ihre Vertreter, so scheint | |
es, verhandeln nur über den UN-Friedensplan, weil sie die im Herbst neu | |
gewählte Regierung in Ankara dazu zwingt. | |
Mehmet Ali Talat sieht sich und die Opposition im Aufwind und glaubt an ein | |
Zusammenleben mit den griechischen Zyprioten. Aber er macht auch klar, dass | |
ein Teil der türkischen Armee bleiben müsse: „Auch wenn es in der Realität | |
vielleicht gar nicht notwendig sein mag – es ist emotional wichtig.“ Die | |
Macht der Regierung basiere auf der Propaganda, dass nach einer | |
Konfliktlösung die Sicherheit der Türken in Gefahr sei. „Sie sagen: Was, | |
wenn eine Lösung am Ende das Massengrab für uns bringt?“ Doch Angstmache | |
komme nicht mehr an. Tatsächlich zeigen Umfragen unter den türkischen | |
Zyprioten, dass eine große Mehrheit den Friedensplan will, auch weil die | |
damit verbundene EU-Mitgliedschaft die wirtschaftliche Misere des | |
international geächteten Landes beenden würde. Im Süden, unter den | |
griechischen Zyprioten, sind die Ergebnisse längst nicht so klar. | |
Zwei Bürgerkriege, ein griechischer Militärputsch, die türkische Invasion, | |
Flüchtlingsströme, unzählige Tote: Kann es da eine gemeinsame Zukunft | |
geben? Hoch oben, im elften Stockwerk sitzt in einem luxuriösen Büro | |
Zyperns EU-Chefunterhändler George Vassiliou. Der Blick reicht nach Norden | |
bis weit in die Kyrenia-Berge, dem Ziel von Exil-Bürgermeister Rologas. | |
Irgendwo im Süden liegt das kleine gemischte Dorf Pyla, unter ihm die | |
geteilte Haupstadt Nikosia. Vassiliou, der in Kopenhagen seine jahrelangen | |
Verhandlungen mit der EU-Einladung für Zypern krönen kann, spricht von | |
Brüssel, von den EU-Kommissaren. Der Manager, der den Regierungsjob nicht | |
nötig hätte, räumt Bedenken gegen den Friedensplan präzise aus. Die Gegner | |
unter den Griechen? Eine nationalistische Minderheit, die schon immer gegen | |
eine bundesstaatliche Lösung war. Schwierigkeiten bei einer EU-Integration | |
Nordzyperns? Alles schon mit der EU-Kommission besprochen. | |
Flüchtlingsrückkehr? Faktisch bekommt jeder das Recht dazu, wenn auch mit | |
zeitlicher Verspätung. Der internationale Rahmen für eine Zypern-Lösung? | |
„Wir haben jetzt eine Idealsituation.“ | |
Manche Probleme lassen sich von oben bisweilen besser beurteilen. | |
12 Dec 2002 | |
## AUTOREN | |
KLAUS HILLENBRAND | |
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