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# taz.de -- Heiliger Hokuspokus
> In Rumänien treibt das orthodoxe Christentum seltsame Blüten. Gegen Geld
> treiben Priester den Teufel aus oder heben einen Fluch auf. Doch der
> Wunderglaube fordert auch Opfer. Beim Versuch eines Exorzismus starb nun
> sogar eine Nonne am Kreuz
VON KENO VERSECK
Sie ist ein Geheimtipp unter manchen Gläubigen, diese unauffällige Kirche
im Zentrum von Bukarest, die Kirche des heiligen Spiridon, an welcher der
Verkehr sich so achtlos vorbeischiebt. Am späten Vormittag kommen die
Gläubigen, meist Frauen über 40, Akademikerinnen, unverheiratet, kinderlos.
So wie Rodica Dumitrescu. „Ich habe die Kirche des heiligen Spiridon
kürzlich entdeckt, sie gefällt mir sehr“, sagt die 33-jährige Lehrerin und
hüllt ihren Kopf in ein Tuch. „Sie hat eine große spirituelle Macht. Und
Vater Ioan ist mit einer göttlichen Gabe gesegnet, mit einer Ausstrahlung,
die ich noch nie irgendwo anders gespürt habe. Er gibt mir Kraft, mein
Leben weiterzuführen.“
Vater Ioan Iordache, 46, der Priester der Kirche des heiligen Spiridon,
steht mit ausgestreckten Händen vor dem Altar, den strengen Blick seiner
kleinen Herde zugewandt, den Frauen, die in Kopftücher vergraben sind und
demütig vor ihm knien. „Ich verfluche dich, Satan“, ruft Vater Ioan mit
einer Stimme wie das Finale einer Orgelsymphonie und legt den Frauen die
Hände auf, „ich verfluche dich, Satan!“
Vater Ioan ist eine machtvolle Erscheinung, wie er so dasteht, streng
blickend, in seinem schwarzen Gewand, groß, breitschultrig, muskulös,
millimeterkurzes Haar, weißer Stoppelbart. Seine tiefe Stimme dringt durch
Mark und Bein. Die knienden Frauen rutschen behutsam ganz dicht an ihn
heran und drängen mit ihren Köpfen unter sein epitrahil, den heiligsten
Teil seines liturgischen Gewandes. Es sieht halb ergreifend aus, halb
anrüchig. „Ich verfluche dich, Satan!“, donnert Vater Ioan. Ermattet
flüstern die Frauen: „Amen!“
## Verzaubert und verwunschen
Vater Ioan zelebriert mehrmals in der Woche Messen gegen das Böse.
Stundenlang sprechen und singen er und seine Besucherinnen Variationen
eines molitfelnic, eines rituellen Gebets zur Austreibung des Bösen, gegen
Flüche, Verwünschungen und Zauberbanne. Gemeinsam versenken sie sich in
einen Zustand intensiver Meditation, den die Orthodoxen in Rumänien mit dem
Wort traire bezeichnen. Am Ende verlassen die Frauen lächelnd die Kirche
des heiligen Spiridon. Es geht ihnen gut. Oder jedenfalls besser.
Was für Außenstehende wie Sekten-Hokuspokus anmutet, ist in den
orthodox-christlichen Kirchen Rumäniens Alltag. Mit ungezählten Bräuchen,
Kniffen und Regeln können Gläubige Missgeschick und Unglück jedweder Art
von sich fern halten, können ihre Gesundheit, den Familienfrieden, ihren
Arbeitsplatz, ihre Angehörigen und natürlich auch ihre eigene Seele vor dem
Teufel retten.
Gegen Bezahlung. Vom geheiligten Wasser über das Segnen des Autos und das
Lösen eines Zauberbanns bis zur Austreibung des Leibhaftigen – alles hat
seinen Preis. Eine Kirchensteuer gibt es in Rumänien nicht. Geistliche
erhalten ein kleines staatliches Gehalt, den größten Teil ihrer Einnahmen
beziehen sie von Gläubigen, die für religiöse Zeremonien bezahlen.
Es gibt solche und solche Dienstleister. Viele Discounter und schwer zu
findende Vertragswerkstätten des Herrn. Vater Ioan, das sagen seine
Besucherinnen, sei einer der wenigen, der seine geistlichen Aufgaben sehr
ernst nehme. Er selbst möchte im Detail weder über Teufelsaustreibung noch
über Tarife sprechen: „Es ist die Ikone des heiligen Spiridon“, sagt Vater
Ioan. „Sie hat eine ganz besondere Macht. Wenn man sie gläubig anbetet,
dann eilt sie einem schnell und unermüdlich zu Hilfe und erfüllt das
Anliegen.“
Camelia Ciobanu, eine 40-jährige Angestellte in einer Werbeagentur, hat die
Wunderwirkung erfahren, eher die von Vater Ioan als die der Ikone. „Vor
anderthalb Jahren, kurz vor Weihnachten, klopfte er an meine Tür und
segnete meine Wohnung“, erzählt die zierliche rothaarige Frau. „Dann hat er
mich angeschaut und mir gesagt, dass meine Seele zerrissen sei. Er sagte,
ich könne einfach keinen Mann neben mir dulden, vermutlich sei ich
verflucht oder mit einem Zauberbann belegt worden. Ich war sehr
überrascht.“
## Gesegnete Wohnung
Tatsächlich, sagt sie, habe sie immer wieder problematische Beziehungen mit
Männern gehabt, die spätestens nach einigen Monaten zu Ende gegangen seien.
Auf den Rat des Priesters hin begann sie, regelmäßig seine Gottesdienste zu
besuchen, vor allem die zur Austreibung des Bösen. „Sechs Monate habe ich
an den rituellen Gebeten teilgenommen“, sagt sie. „Dann habe ich jemanden
kennen gelernt und ihn geheiratet.“ Sie ist keine reiche Frau. Sie hat
keine privaten Séancen mit Vater Ioan abgehalten. Wenn er ihre Wohnung
gesegnet hat, wenn sie in der Kirche war, hat sie verschämt zwei, drei
50.000-Lei-Scheine auf den Altar gelegt, umgerechnet weniger als 5 Euro.
„Jetzt fühle ich mich sehr gut“, sagt Camelia Ciobanu. „Ich habe überha…
keine Probleme gehabt, diesen Mann, der jetzt mein Mann ist, neben mir
auszuhalten.“
Sie ist froh, dass die Vorhersehung Vater Ioan zu ihr geführt hat. „Es gibt
zu viele Pfuscher und Quacksalber und Betrüger“, sagt Ciobanu, „die reden
schmutzig, fahren teure Autos und haben die Taschen voller Mobiltelefone.“
Priester ist ein lukrativer Beruf in Rumänien. Wer es geschafft hat, einen
Kirchensprengel zu ergattern, der ist sozial abgesichert in einer Zeit, in
der fast alles ungewiss ist. Die orthodoxe Kirche ist –zusammen mit dem
Militär – die Institution im Land, der die Rumänen das meiste Vertrauen
entgegenbringen, so besagen es seit Jahren die Umfragen, an letzter Stelle
stehen Parlament, Verwaltung und Justiz. Die Kirchen sind voll, überall im
Land werden neue gebaut, die Gläubigen zahlen gern, der Bedarf an Wundern
und an Austreibungen des Bösen ist groß.
Die Würdenträger der orthodoxen Kirche würden es nicht zugeben. Sie sehen
ihre Kirche – in Abgrenzung zu den Katholiken und Protestanten – als
Bewahrerin ursprünglicher christlicher Traditionen. In orthodoxen
Gottesdiensten, so schwärmen Bischöfe und andere Würdenträger, gebe es
keinen westlich-abendländischen Rationalismus, sondern nur das
religiös-spirituelle, tief emotionale Erleben.
Es ist Dienstag, es ist Wundertag in der Bukarester Kirche des heiligen
Antonius, gleich neben dem Platz der Einheit. Heute, so wie jeden Dienstag,
erfüllt der heilige Antonius die Wünsche der Gläubigen, deshalb ist der
Andrang riesengroß.
## Antrag auf Austreibung
Die Leute hier sind keine Akademiker, sie kommen in Plastiklatschen, sie
sehen müde aus und riechen nach Schweiß. In einer langen Schlange drängen
sie zu den Priestern. Hier und da klingelt ein Mobiltelefon. Die Priester
schauen milde strafend in Richtung des schrillen Geräusches.
Sie stehen an leicht erhöhten Pulten. Bei ihnen geben die Gläubigen von
Hand beschriebene Zettel und Geldscheine ab. Auf den Zetteln steht groß:
acatist. Ein acatist ist so etwas Ähnliches wie ein Antrag. Es ist eine
Namensliste mit einem Wunschgebet, das orthodoxe Gläubige den Priester
verrichten lassen. Die Priester werfen die Geldscheine mit gespielter
Verachtung in einen Pappkarton. Dann murmeln sie die Wünsche der Gläubigen.
Vater Gheorghe Pavel, 47, legt einer älteren Gläubigen das epitrahil über
den Kopf. Eintönig raunt er ihren Antrag an den heiligen Antonius: „Ich
bete für Marius, damit er ein Stipendium im Ausland bekommt, für Ion, damit
er die Prüfungen an der Fakultät besteht, für Gheorghe und Ana, damit ihre
Ehe gut läuft. Und ich bete für Maria, damit sie von ihren Flüchen und
Verwünschungen befreit wird.“ Er legt den Zettel auf einen dicken Stapel.
„Kommen Sie Dienstag in einer Woche wieder“, befielt er. Die Frau küsst
seine Hand.
Jetzt, gegen neun Uhr, ist Stoßzeit. Die Schlange reicht bis vors
Kirchenportal. Nichts kann Vater Gheorghe an seinem Pult aus der Ruhe
bringen. Sein grau meliertes Haar ist ordentlich gekämmt. Er trägt eine
Brille mit dezentem Silberrand. Ruhig streicht er den Stapel der
abgearbeiteten Wunschgebete glatt und presst die Geldscheine tiefer in den
halb vollen Pappkarton. Er ist ein erfahrener Sachbearbeiter.
Neun Dienstage hintereinander müssen Gläubige kommen, damit ihr Wunschgebet
in Erfüllung geht. „Dass der heilige Antonius etwas nicht erhört, gibt es
gar nicht“, sagt Vater Gheorghe inbrünstig. „Er hat große Macht. 99 Proze…
der Fälle sind so, dass die Leute neunmal herkommen, und beim zehnten Mal
sagen sie mir, Vater, das Problem, das ich hatte, ist gelöst.“
Genauso erging es Cornel Zarafu, einem 39-jährigen Armeeoffizier. Er kommt
regelmäßig in die Antoniuskirche und gibt hier sein acatist zusammen mit
ein paar Geldscheinen ab, umgerechnet 1 Euro. „Ich bete seit einiger Zeit
für meine Gesundheit und dafür, dass wir eine Wohnung bekommen“, sagt er
und fügt hinzu: „Die Wohnung haben wir inzwischen.“
## Seelenruhe als Endziel
Die 32-jährige Versicherungsagentin Carmen Ionescu ist noch etwas entfernt
von der Erfüllung ihrer Wünsche: „Ich komme für meine Seelenruhe und damit
meine Probleme am Arbeitsplatz sich lösen, denn auf dem Weg der Justiz
läuft es bei uns nicht. Deshalb ist Gott die einzige Hoffnung.“
Es sind die einfachen Fälle für Vater Gheorghe. Aber auch die komplizierten
löst er ohne zu zögern. „Einmal kam eine Frau zu mir, die vom Teufel
besessen war“, erzählt er lächelnd. „Sie kam und schrie, ich legte ihr me…
Gewand über den Kopf. Daraufhin sprach sie mit tiefer Stimme und hatte
Schmerzen. Ich habe drei Stunden lang Gebete gelesen, ich habe den Teufel
verflucht im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, es war
schlimm, sogar mein kleines Holzkreuz ist bei der Zeremonie zerbrochen.
Nach drei Stunden kam der Frau eine weiße Materie aus dem Mund, eine ganzer
Becher voll. Ich habe gesagt: Weiche, Satan! Und die Frau ist dem Teufel
entkommen.“
30 Jun 2005
## AUTOREN
KENO VERSECK
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