| # taz.de -- Zu Michael Sontheimers 60. Geburtstag: Anarchie und Selbstironie | |
| > Michael Sontheimer, Mitbegründer und Exchefredakteur der taz – ein | |
| > Kollege für alle publizistischen Ernstfälle. | |
| Bild: Michael Sontheimer begutachtet die verwüstete Berlinredaktion in der Wed… | |
| „Es war in der Wattstraße im tristen Berliner Wedding.” Einen Tag vor dem | |
| realen Start sollte „der Ernstfall simuliert werden. Doch in dem Raum, in | |
| dem mehr als zehn Schreibtische standen und theoretisch drei Ressorts | |
| arbeiten sollten, fand ich mich allein mit einem einzigen weiteren | |
| Redakteur in spe, mit Max Thomas Mehr. Das Wetter war wunderschön, und | |
| unsere lieben Kolleginnen und Kollegen hatten es offensichtlich vorgezogen, | |
| sich im Grünen zu entspannen. ,Glaubst du, dass man mit diesem Haufen eine | |
| Tageszeitung machen kann?' Max antwortete: ,Ich weiß nicht.' Wir waren | |
| einigermaßen verzagt.” Das ist nun knapp 36 Jahre her. | |
| ## Mehr Familie als Firma | |
| Das Zitat von Michael Sontheimer entstammt dem Buch von Jörg Magenau, „Die | |
| taz. Eine Zeitung als Lebensform”. Längst ist das Projekt Gegenstand der | |
| Geschichtsschreibung; die subjektive Reflexion auf seine Historie ist | |
| beinahe von Anfang an Teil seiner Identität gewesen, darin eher einer | |
| Familie als einer Firma vergleichbar: Denn jenseits der objektiven Daten | |
| hängt alles davon ab, wer sich erinnert, wer wem eine Stimme gibt, um das | |
| realistische Bild zu zeichnen. Was natürlich niemals gelingt. | |
| ## Mit Anarchie und Selbstironie | |
| Der Historiker Michael Sontheimer gehörte zu der Truppe mehr oder – siehe | |
| oben – minder entschlossener linker, spontaneistischer Frauen und Männer, | |
| die auf den neuen Ernstfall deutscher Geschichte praktisch antworten | |
| wollten: Im Deutschen Herbst der späten siebziger Jahre, im grauen Klima | |
| der RAF-Attentate sowie der „unterdrückten Nachrichten”, im Licht des | |
| Regenbogens von Öko-, Frauen- und internationalen Solidaritätsbewegungen | |
| mit einer Zeitung, die eben auch Lebensform war – ein selbstbestimmtes | |
| Projekt. Mit all dem Pathos, das für die Energieversorgung nötig ist, und, | |
| glücklicherweise, auch mit Anarchie und Selbstironie. | |
| ## Auf Kriegsfuß mit der Antifa | |
| Michael Sontheimer blieb vier Jahre dabei, bis er, einigermaßen zermürbt, | |
| das Kollektiv 1983 verließ. Er hatte wesentlich dafür gesorgt, dass | |
| Wirtschaft und Ökologie künftig zusammengedacht werden konnten, er hatte | |
| über die Revolutionen in Asien und Lateinamerika kundig geschrieben und in | |
| den Berliner Korruptionssümpfen wirkungsvoll recherchiert. | |
| Aber er hatte sich auch Haltungen erlaubt, die der radikalen Antifaszene so | |
| wenig passten, dass deren Anhänger seinen Redaktionsraum verwüsteten. Die | |
| Solidarität der Redaktion hielt sich in überschaubaren Grenzen. | |
| ## Die zweite taz-Zeit | |
| Er ging zur Zeit, brachte dort die fälligen Modernisierungsschübe voran – | |
| und kam 1992 Jahre später zurück, als der erste verantwortliche | |
| Chefredakteur in der Geschichte des Projekts. Er kam ohne Harm, ohne Pathos | |
| und ohne eine Geste des Triumphs. Die Treue zu dem, was er wichtig fand, | |
| überwog – eine sachliche Liebe zur Welt. | |
| Nach nicht einmal drei Jahren war diese zweite journalistische taz-Zeit | |
| vorbei. (Woran es lag, habe ich bis heute nicht verstanden, was sicher | |
| damit zu tun hat, dass ich Beteiligte war.) | |
| ## Förderung des kritischen Journalismus | |
| Sontheimer ging zum Spiegel, wo er aktuell vor allem mit Wikileaks und den | |
| Snowden-Dokumenten beschäftigt ist: unterdrückte Nachrichten, zweiter Teil. | |
| 2008 hat er die [1][Panter-Stiftung] der taz mitbegründet, und als Mitglied | |
| des Kuratoriums initiiert er Workshops für Journalisten aus Krisengebieten | |
| sowie den „[2][Mittwochsclub]”, ein Diskussionsforum für junge KollegInnen | |
| aus allen Zeitungen Berlins. Das Credo der Stiftung ist die Förderung des | |
| kritischen Journalismus – „er hat es nötig”, wie er sagt. Und danach | |
| handelt. | |
| Danke dafür, und – im Namen auch Deiner taz – herzlichen Glückwunsch! | |
| ELKE SCHMITTER | |
| 16 Feb 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Elke Schmitter | |
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