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# taz.de -- „Zu Lasten der Freiheit“
> Niedersachsens Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel hält das geplante
> Polizeigesetz in Teilen für verfassungswidrig und kämpftgegen die
> Ausweitung der Videoüberwachung und die
> Quellentelekommunikationsüberwachung ohne richterliche Überprüfung
Bild: Vorbild Bayern: Niedersachsen will das Pre-Recording bei Bodycams in sein…
Interview Andrea Maestro
taz: Frau Thiel, was halten Sie davon, dass Ministerpräsident Stephan Weil
(SPD) das Polizeigesetz nicht nachbessern will?
Barbara Thiel: Er hat auch gesagt, dass er sich jeder Diskussion stellen
würde. Und eine solche wird sicher stattfinden, bevor der Gesetzesentwurf
in den Landtag geht.
Warum halten Sie den Entwurf für verfassungswidrig?
Nicht das gesamte Gesetz, sondern einige Regelungen halte ich für
verfassungswidrig. Das Pre-Recording bei Bodycams für Polizisten zum
Beispiel.
Die Bodycams filmen die ganze Zeit, aber nur wenn ein Polizist sie aktiv
einschaltet, werden die vorherigen 30 Sekunden zusätzlich gespeichert.
Die Aufnahmen werden sonst immer wieder überschrieben. Aber der
entscheidende Punkt ist, dass die Menschen nicht wissen, dass sie gefilmt
werden und damit ist die Datenerhebung und -verarbeitung jeder
Kontrollmöglichkeit entzogen. Die Aufzeichnung ist nicht erkennbar und das
halte ich für verfassungswidrig. Das Filmen selbst ist schon ein Eingriff
in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht erst dann, wenn
die Aufnahmen auch gespeichert werden.
Also müsste das Pre-Recording aus dem Polizeigesetz gestrichen werden?
Ich halte es zumindest für erforderlich, dass festgelegt wird, wann und
unter welchen Voraussetzungen dieses Pre-Recording zulässig ist. Aber
solche Voraussetzungen sind im Gesetz nicht genannt.
Unter welchen Voraussetzungen wäre das für Sie als Datenschutzbeauftragte
denn annehmbar?
Da ist zunächst der Gesetzgeber gefordert. Ich werde die Formulierung dann
überprüfen.
Gibt es weitere Punkte, die Sie für verfassungswidrig halten?
Es fehlt an einigen Stellen ein Richtervorbehalt. Die Polizei kann zum
Beispiel unter bestimmten Voraussetzungen die Herausgabe von Bild- und
Tonaufzeichnungen von Privatleuten verlangen. Damit erhalten staatliche
Behörden uneingeschränkten Zugriff auf Daten, die für einen ganz anderen
Zweck erhoben wurden. An der Stelle habe ich Bedenken. Es müsste hier eine
unabhängige Stelle entscheiden, ob die Polizei die Daten verlangen darf.
Werden also die Freiheitsrechte aller Bürger durch das Polizeigesetz
beschnitten?
Das ist zu stark formuliert. Trotzdem wäre durch das neue Polizeigesetz
beispielsweise eine nahezu flächendeckende Videoüberwachung möglich. Bisher
waren die Kameras nur zulässig, wenn an den gefilmten Orten Straftaten von
erheblicher Bedeutung befürchtet werden mussten. Jetzt geht es um jede
Straftat.
Das heißt, weil es in einem Wohngebiet zu Einbrüchen kommen könnte, wäre
Videoüberwachung legitim?
Ich möchte da nicht spekulieren. Wichtig ist, dass bei all diesen Maßnahmen
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Hier schlägt das
Pendel klar in Richtung Sicherheit und zu Lasten der Freiheit aus. Man hat
an keiner Stelle begründet, warum die Maßnahmen angemessen sind.
Was für Begründungen hätte die Landesregierung für die Verschärfungen denn
anführen müssen?
Es handelt sich hier um ein niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz. Es
reicht nicht, sich auf eine allgemeine Bedrohungslage durch den Terrorismus
zu beziehen. Natürlich gibt es in Niedersachsen Gefährdungslagen und die
Polizei muss entsprechend ermitteln. Aber in welchem Einzelfall welche
Maßnahme verhältnismäßig ist, muss begründet werden.
Die Landesregierung setzt zur Überwachung von sogenannten Gefährdern auf
Online-Durchsuchungen und Quellentelekommunikationsüberwachung (TKÜ), bei
der die Polizei ein Programm auf einen Computer spielt, den sie überwachen
möchte, um Nachrichten lesen zu können, bevor sie verschlüsselt werden.
Finden Sie das schwierig?
Ich spreche mich nicht grundsätzlich gegen solche Maßnahmen aus, solange
sie verhältnismäßig sind. Aber es ist in der Tat schwierig, dass es bei
Staatstrojanern um das Ausnutzen von Sicherheitslücken in Betriebssystemen
geht. Eine solche Maßnahme greift in das Grundrecht auf Gewährleistung der
Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme ein und
betrifft erst einmal alle Nutzer eines Betriebssystems. Andererseits
erlässt der Staat aber Vorschriften zum Schutz von IT-Systemen. Da besteht
ein Interessensgegensatz.
Bei Gefahr im Verzuge muss die Polizei bei Online-Durchsuchungen und
Quellen-TKÜ keinen Richter fragen. Was sagen Sie zu diesem Schlupfloch für
die Polizei?
Je schwerer der Grundrechtseingriff wiegt, umso höher muss die Messlatte
bei den Anordnungsbefugnissen liegen. Das gilt erst recht für die Polizei.
Es muss gewährleistet sein, dass bei Gefahr im Verzug nur die
Behördenleitung eine Maßnahme anordnen darf und es unverzüglich eine
richterliche Überprüfung gibt.
Im Landtag sind einige Mitglieder der Regierungsfraktionen sauer auf Sie,
weil sie gesagt haben, dass die Freiheitsrechte unter dem Deckmantel des
internationalen Terrorismus bis zur Unkenntlichkeit beschnitten werden.
Ich sehe keinen Grund, von meiner Stellungnahme abzuweichen. Die Anhörung
hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Gesetzentwurf an zahlreichen Stellen
nachgebessert werden muss. Die vorgeschlagenen Regelungen mögen zwar
sicherheitspolitisch notwendig sein. Diese müssen jedoch in vielen Punkten
grundlegend überarbeitet werden, um den verfassungsrechtlichen
Anforderungen und damit den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger zu
genügen.
Glauben Sie, der Terrorismus ist ein vorgeschobener Grund, um die
Befugnisse der Polizei auszuweiten?
Dass meine Äußerung so interpretiert wird, halte ich für eine
Unterstellung. Natürlich ist der Terrorismus eine reale Bedrohung. Aber Sie
können doch nicht jede Verschärfung von Maßnahmen pauschal mit diesem
Begriff ohne Differenzierung begründen. Der Gesetzgeber ist gefordert,
genau darzulegen, warum eine Maßnahme für die Arbeit der Polizei
erforderlich ist.
22 Aug 2018
## AUTOREN
Andrea Scharpen
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