# taz.de -- Zu Besuch bei einer Bodybuilderin: Vom Muskelkostüm | |
> Ingrid Distler war schon Weltmeisterin. Den Zustand ihres Körpers | |
> registriert sie täglich aufs Genaueste. GABRIELE GOETTLE hat sie besucht. | |
Bild: Ingrid Distler | |
Ingrid Distler, Weltmeisterin im Bodybuilding, 1967 Einschulung in die | |
Volksschule Herzoghöhe, Bayreuth. 1977 Beendigung der Schule mit d. | |
Mittleren Reife. Friseurlehre, Hauswirtschaftsschule mit Schwerpunkt | |
Kochen, Ernährungslehre (Abschlussnote "sehr gut"). Sie arbeitete u. a. als | |
Reitlehrerin; Turnierreiterin; im Bereich Textildesign; als Model f. | |
Sportbekleidung u. Dessous; in der Fitnessbranche und als | |
Profi-Bodybuilderin u. Trainerin. Ingrid Distler begann als Achtjährige mit | |
d. Leistungssport und erhielt Urkunden als: Bayrische Jugendmeisterin i. | |
Rückenschwimmen; Bayrische u. deutsche Jugendmeisterin im | |
Vielseitigkeitsreiten, A u. L Springreiten, A u. L Dressurreiten; Bayrische | |
und deutsche Jugendmeisterin im 50- u. 100-Meterlauf, im Weitsprung, in d. | |
800-Meter-Staffel u. im Kugelstoßen. Sie begann 1987 mit dem Kraftsport | |
Bodybuilding u. erreichte bei ihrem 1. Wettkampf 1990 sofort d. 1. Platz, | |
wurde Fränkische Meisterin und gewann danach zahlreiche nationale u. | |
internationale Wettkämpfe, wurde u. a. 1993 in Bayreuth Internationale | |
Deutsche Meisterin u. Gesamtsiegerin aller Gewichtsklassen; 1997 in England | |
Miss Universe, und im Jahr 2000 wurde sie Siegerin d. World Championship | |
und war nun Bodybuilding-Weltmeisterin im Schwergewicht. Ingrid Distler | |
wurde 1961 in Bayreuth geboren, ihr Vater war KFZ-Mechaniker, ihre Mutter | |
Steuerfachfrau. Sie ist verheiratet u. kinderlos, ihr Ehemann ist ebenfalls | |
Bodybuilder. | |
Frau Distler lebt im Fichtelgebirge, in einem kleinen Kurort nahe Bayreuth. | |
Die Begrüßung ist von bayrischer Herzlichkeit. Ihre Stimme ist tief, ihr | |
Händedruck fest und trocken. Sie führt uns ins Haus, in dem sie und ihr | |
Mann zur Miete wohnen und bittet uns, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Der | |
Raum ist weiß tapeziert und wird dominiert von einem großen grünen | |
Kachelofen, zwei wandhohen Spiegeln, einer bronzenen Skulptur, die eine | |
Athletin mit Hanteln übend darstellt, und von kleinen und großen Kakteen in | |
originellen Töpfen. "Ich züchte Kakteen", erklärt unsere Gastgeberin, "das | |
ist eine Leidenschaft, und ich sammle auch gern schöne Steine, den da", sie | |
zeigt auf einen glänzenden braunen, der zwischen anderen Steinen auf dem | |
Tisch liegt, "den hab ich gestern geschenkt bekommen." Beim Einschenken des | |
Kaffees spielen die Muskeln unter der zarten Haut ihres Unterarmes. | |
"Es war eigentlich so, ich war früher zu dünn, hab keine Hüften gehabt, | |
nix, und ganz dünne Oberschenkel. Obwohl ich Leistungssportlerin war, hab | |
ich einfach nix hingekriegt, und durchs Schwimmen nur den Oberkörper. Das | |
hat mir nicht gefallen. Deshalb hab ich damals das Training angefangen in | |
einer Muckibude. Heute habe ich Hüftumfang 85, Taille 60, Oberkörper 106, | |
Waden 40 und Bizeps 49 Zentimeter. Ich habe ja angefangen mit 52 Kilo | |
damals, im Leichtgewicht, zwei, drei Jahre später war ich im Mittelgewicht, | |
bis 57 Kilo. Im Studio habe ich immer gesagt, ich will 60 haben, und wie | |
ich 60 gehabt hab, wollte ich 65 haben. Also Schwergewicht fängt an - heute | |
ab 57 Kilo plus, früher ab 60. Ich bin 1,65 Meter groß. Und ich habe kein | |
fett am Körper. Man darf kein Fett haben, nirgendwo! Der Hintern muss | |
Streifen haben. Momentan ist Wasser drunter", sie zeigt auf ihren Unterarm | |
und zupft an der Haut, "das muss ja weg, es gibt bestimmte | |
Ernährungsprodukte, da muss man dann dauernd aufs Klo. Und das Essen, das | |
man zu sich nimmt, Kohlehydrate, Eiweiß, Vitamine, das muss perfekt | |
abgestimmt sein auf die Leistung, die man bringen will. Das habe ich alles | |
selbst entwickelt. Ich bin damals nach meiner Friseurlehre - den Beruf habe | |
ich ja aufgegeben wegen der Allergie - erst in die Fitnessbranche als | |
Trainerin, und ab 87 hab ich dann Bodybuilding gemacht. Mein allererster | |
Lehrmeister da war ein Gewichtheber, der hat mir das eigentlich | |
beigebracht, auf dieser Grundlage konnte ich mir dann später alles selbst | |
erarbeiten. Ich probier heute noch aus. | |
Viele denken, man legt sich auf eine Bank und drückt Gewichte. Um einen | |
guten Körper zu kriegen, eine symmetrische Muskulatur, so dass wirklich | |
alles zusammenpasst, muss man sich gut vorbereiten. Weil so ein Training | |
ist erstens sehr anstrengend und zweitens langwierig. Man muss bei jedem | |
Satz den Kopf einschalten und sich konzentrieren. Das heißt, das Ganze ist | |
erst mal Kopfarbeit, bevor der Körper funktioniert. Also der "Satz", das | |
sind die Bewegungsfolgen, wenn ich zum Beispiel für den Bizeps eine Übung | |
mache, dann mach ich vier bis acht Sätze. Und zum Aufwärmen nehme ich eine | |
Übung, die ich eigentlich nicht brauche, zum Beispiel Kabelzug. Ich bin von | |
der Wiederholungszahl her variabel, ich mach teilweise dreißig oder auch | |
fünfundfünfzig Wiederholungen. | |
Und dann ist es üblich, dass man nach jedem Satz dreißig bis sechzig | |
Sekunden Pause macht zur Erholung, die lasse ich weg, denn der Muskel muss | |
ja gereizt werden. Das ist das A und O! Man merkt es an einem Brennen im | |
Muskel, ein angenehmes Brennen. Und ich mache nie schnell. Man sagt immer, | |
man muss schnell drücken oder schnell ziehen zum Aufpumpen. Das stimmt | |
nicht. Also Aufpumpen - den Muskel durchbluten - das mache ich langsam, mit | |
Gefühl und Spannung. Das ist meine Selbstwahrnehmung, ich fühl von innen | |
her, wie der Muskel sich entfaltet, wie das anfängt und dann weitergeht, | |
das ist das Geile dran!" Sie lacht, "die meisten kennen das gar nicht. Ich | |
trainiere ja auch Männer, speziell im Hardcore-Bereich, die machen zwar, | |
was ich sage, die blicken aber nicht durch. Statt dass sie mal auf ihr | |
Gefühl achten. Aber die denken immer nur ans Gewicht. | |
Das Gewicht ist relativ. Man braucht nicht unbedingt viel Gewicht, um einen | |
großen Muskel zu kriegen. Es geht um die genaue Einstellung des Gewichts | |
auf den Muskel, dass nur der dann auch anspricht. Wenn ich jetzt zum | |
Beispiel Brust trainiere. Ich schaffe hundertzehn Kilogramm, die drück ich, | |
wenn jemand bereitsteht. So, aber der Brustmuskel, weil der nie gebraucht | |
wird, der bleibt auf der Strecke, der ist schwer zu trainieren, man muss | |
beim Training aufpassen, dass nicht die Schultern und Arme immer kräftiger | |
werden, aber beim Brustmuskel kommt nichts. Das ist das, was man wissen | |
muss. Wenn ich ne Sechzigerhantel nehme - die nehm ich locker. Es bringt | |
aber nichts, weil ich dann nur wieder mit der vorderen Schulter, mit dem | |
oberen Teil arbeite, indem ich erst mal viele Übungen mache, verschiedene | |
Übungen, indem ich also eng fasse, weit fasse, um das Gewicht anzupassen. | |
Wenn ich das Gewicht nicht genau auf den Muskel einstelle, bekomme ich | |
keine oder falsche Ergebnisse. Das sind alles Erfahrungswerte. Und | |
Erfahrungen mach ich dann, wenn ich auf mein Gefühl achte. Ja, ich bin ein | |
Kopfmensch. Manche denken, Bodybuilder sind doof. Aber ohne Kopf geht | |
nichts. Und ich beobachte jeden Tag meinen Körper neu. Ich merk genau, wenn | |
irgendwas nicht passt. Wenn ich zwei Tage nicht trainiere, merke ich genau, | |
die Spannung ist nicht so, wie sie sein sollte. Dann geh ich zum Spiegel, | |
seh nach, wie es ausschaut mit den Oberschenkeln. Ich sehe zwar keinen | |
Unterschied, aber das Gefühl ist nicht da, das Supergefühl, dass ich jedes | |
Mal durch das Training habe. Es ist genau so, wie wenn jemand Drogen nimmt | |
und dann zwei Tage nicht. So etwa kann man sich das vorstellen. | |
Man lernt eben, dass man gut mit seinem Körper umgeht. Ich achte sogar beim | |
Training auf 'kosmetische Richtlinien'", sie lacht, "ich achte zum Beispiel | |
auf die Haut. Ich habe eine sehr schöne Haut, nicht nur am Körper, auch an | |
den Händen." Sie reicht uns ihre Handinnenfläche, sie ist zart und ohne | |
Schwielen. "Ich trage keine Handschuhe. Das ist alles eine Frage der | |
Technik. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Stange nehme, dann richte ich | |
meine Hand so lange aus, bis sie glatt aufliegt. Mich haben schon viele | |
angesprochen darauf. Viele haben zum Beispiel auch Dehnungsstreifen in | |
ihrer Haut. Ich hab keinen einzigen. Und das liegt daran, dass ich schon so | |
viele Jahre trainiere und langsam aufgebaut habe. Viele haben teilweise in | |
zwei Jahren zwanzig bis dreißig Kilo mit Doping drauf, anders geht es gar | |
nicht in der kurzen Zeit. Die Haut wächst da nicht mit in der | |
Geschwindigkeit. Manche Männer machen ja teilweise Mastkuren vor dem | |
Wettkampf, wiegen hundertfünfzig Kilo, und gehen dann dreißig Kilo wieder | |
runter für die Bühne. Und da hängt die Haut dann eben einfach weg, wenn sie | |
das ein paarmal machen, das ist dann Labber. Viele haben überhaupt keinen | |
Überblick mehr über ihren Körper. Die merken auch nicht, wenn sie krank | |
sind. Also ich hab durch die Selbstwahrnehmung schon viele Vorwarnungen von | |
Krankheiten erfahren, die der Arzt dann praktisch unterbunden hat, | |
rechtzeitig. Durch den Sport muss ich auch wissen, wie der Zuckerspiegel | |
ist. Ich fühle das genau. Durch den Kopf, mit den Augen und dem Bauch. Vom | |
Kopf gehts in den Bauch, so ein richtig unwohles, flaues Gefühl. Ähnlich | |
wie das Angstgefühl. Vom Kopf über die Augen in den Bauch. Die Augen sehen | |
schlechter. Wenn ich das Gefühl spüre, dann trink ich erst mal einen | |
Schluck und sehe zu, dass ich was esse. | |
Wenn ich trainiere, mag ichs nicht, dass mich jemand anspricht. Davon werd | |
ich nervös, dann steigt das Adrenalin, es wird zu viel verbraucht, also der | |
Ofen brennt schneller und der Zuckerspiegel geht runter. Ich brauche meine | |
Ruhe beim Training. Es ist ein bisschen wie eine Trance. Man ist eins - | |
sonst ist man ja verschiedene Personen, manchmal jedenfalls. Man braucht so | |
eine halbe Stunde, bis man in dem Zustand drin ist. Wenn das Gewicht dann | |
in der Hand liegt, empfindet man das nicht als störend, dass man was | |
Schweres in der Hand hat. Es wirkt so, wie wenns dazugehört. Es gibt nicht | |
mehr den Körper, die Arme, das Gewicht, drei Dinge, das ist alles eins. Das | |
Gewicht ist kein Fremdkörper. Der Kopf leitet es, der Körper machts. Egal, | |
wie viel Gewicht in der Hand ist. Ist wurscht!" Sie lacht. "Alles, was | |
draußen ist, ist weg für die Zeit. Das ist die einzige Situation, wo ich | |
einen Raster krieg, wenn einer daherkommt und das stört, weil er ne Übung | |
gezeigt kriegen will oder was. Es ist ja auch gefährlich. Da kann ja sonst | |
was passieren, wenn man erschrickt. Also dieser Zustand, der ist mir sehr | |
wichtig. Sonst würde ich das tägliche Training gar nicht auf mich nehmen. | |
Den würde ich am liebsten den ganzen Tag lang haben, aber er verfliegt | |
wieder." | |
Auf die Frage, wie lange sie trainiert, erklärt sie: "Unterschiedlich. | |
Mindestens zwei bis drei Stunden, darunter geht gar nichts. Nur am Gerät. | |
Nur Hanteltraining. Also ich schau dann auch wirklich schlecht aus im | |
Gesicht. Teilweise. Weil sich das Gesicht ja dabei anspannt. Ich hab sogar | |
eine Spange, weil man durch das Training auch die Kaumuskeln mittrainiert | |
und alles, unbewusst. Die nimmt man in den Mund und beim Zusammenbeißen | |
merkt man das dann. Das sollte ja alles ein bisschen weicher bleiben im | |
Gesicht. Aber ich trainiere eigentlich immer auf Höchstleistung und danach | |
bin ich fertig. Ich muss schon sagen, ich quäl bei jedem Training meinen | |
Körper. Aber ein bissl schmerzhaft soll es eigentlich schon werden. Wenn | |
ich jetzt nur acht Wiederholungen mache mit dem Höchstgewicht, dann merke | |
ich nichts. Das ist für die Katz. Ich muss weitergehen, es langsam | |
steigern. Ein Beispiel, Kurzhantel, zwölfeinhalb Kilo, ich mache jetzt eine | |
Übung und aus der Übung mach ich einen Satz, und zwar so lange, bis ich | |
merke, dass das Brennen anfängt in der Muskulatur, das strebe ich an. Es | |
soll sich voll steigern. Und dann gehe ich über die Schmerzgrenze, schön | |
langsam, damit es keine Muskelfaserrisse gibt. Es muss schmerzhaft werden | |
und es muss brennen, sonst wird das mit dem Muskel nichts. Also der Muskel | |
erfährt beim Training, dass er jetzt überfordert wird, als Erstes mal mit | |
Gewalt, und darauf reagiert er dann mit Wachstum. Das kann man eben alles | |
steuern. | |
Aber für mich ist das keine Überwindung, keine Folter - so wie viele das | |
von sich sagen. Es wird ja Endorphin ausgeschüttet, immer so im zweiten | |
Drittel des Trainings. Und mit diesem eigentlichen Moment, der Grenze, da | |
ist es dann so. Sagen wir, man hat dreißig Wiederholungen gemacht, müsste | |
die Hanteln jetzt eigentlich ablegen, es geht nix mehr - DA dann | |
weiterzumachen, das ist es! Ich lieg auf dem Rücken, hab die Hanteln in der | |
Hand. Man kanns gar nicht nach unten sinken lassen, sie können gar nicht | |
nach unten sinken. Weil die Hanteln so schwer sind, weil die Spannung so | |
groß ist im Muskel. Meistens kann man die Hanteln am Ende gar nicht mehr | |
selber ablegen, weils nicht mehr geht, man schaut dann, dass man jemanden | |
herkriegt Ja, das ist das Notprogramm, das der Körper einschaltet. Das die | |
Menschheit hat zum Überleben, genau wie die Tiere auch. Aber ich will es so | |
haben. Das ist halt die Grenze, die gefährlich ist: Entweder man verletzt | |
sich, oder es kommt der Anreiz zum Muskelaufbau. Der Normalmensch, der | |
macht im Training halt seine Übungen und Wiederholungen, der hat keine | |
Ahnung. Die meisten hören einfach auf, weils so auf dem Zettel steht. | |
Ich bin ja teilweise auch selber mit im Wettkampfgericht, da seh ich dann | |
auch ne Menge. Also man kann nur dann einen guten Körper kriegen, wenn man | |
seinen Körper das ganze Jahr unter Beobachtung hat - und wenn man sich | |
wirklich die Zeit nimmt, das nicht künstlich beschleunigt. Wenn ich das | |
Gewicht nicht so hochpusche. Was hab ich von so einem massiven Arm, wenn | |
ich unter dem Fett die Form des Muskels nicht sehe und nicht weiß, was ich | |
trainieren muss? Was soll ich mit Hügeln? Ich will mein Schlüsselbein | |
sehen, das sehen die auch nicht. Sie trainieren blind darauflos, ohne zu | |
sehen, obs harmonisch ausschaut. Und wenn sie das Fett dann runterhaben, | |
schon viele Wochen vor dem Wettkampf, müssen sie das ja runterhaben, dann | |
zeigt sich auf einmal, drunter ist eine eckige Schulter! Und was machen die | |
dann, denn so können sie ja nicht auf die Bühne gehen? Es gibt da so | |
Mittel, Kurzzeitdinger, die haun sich das in den Muskel rein, mit der | |
Spritze. Und weils dann im Muskel eine Entzündung gibt, wird er rund. Sie | |
stehen auf der Bühne und haben eine runde Schulter. Es gibt verschiedene | |
Dinger zum Nachhelfen. Um eine Schulter rund zu trainieren, brauchst du | |
aber Jahre, es ist einfach so!" Sie lacht. "Also ich muss sagen, es sind | |
Welten zwischen denen und mir. Echt, das ist so! Die Einstellung zum Sport | |
und besonders halt die Einstellung zum Körper. Viele Frauen zum Beispiel | |
tragen Brustimplantate, die lassen sich fast alle operieren. Ich selbst bin | |
auch schon angesprochen worden. Sie haben gemeint, ich soll mir doch | |
Implantate reinmachen lassen, sonst werd ich den Punkt nie kriegen. Ich hab | |
gesagt: Niemals! Nicht mal, wenn sie es mir zahlen. Ich hab schon immer | |
kleine gehabt, und außerdem trainieren wir ja auf Gewebe mit geringem | |
Fettanteil. Die Brust ist aber ein Fettgewebe, und das geht natürlich | |
zurück. | |
Der Sport heißt ja Bodybuilding, Körperformung, eigentlich. Es geht um die | |
Formung der Muskulatur und nicht um die Bewertung von künstlichen Einlagen | |
mit einem Punkt. Und außerdem, wenn ich solche Dinges vorn hab, da geht ja | |
die ganze Harmonie von dem Körper vollkommen flöten. Aber mir kann es ja | |
egal sein, ich hab ja alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Ich | |
kann vollkommen entspannt sein. Ich mach mein Training und schau in den | |
Spiegel, täglich, oft", sie lacht, "von hinten, von vorne, von der Seite, | |
mach bestimmte Posen, überprüfe, wies ausschaut. Dann nehme ich mir vor, na | |
ja, machst vielleicht da noch was dazu, das willste noch ein wenig wachsen | |
lassen, ein wenig runder haben. | |
Ich bin nie zufrieden! Also ich hab mir eigentlich ein bestimmtes | |
Gewichtslimit selber gesetzt. Nur", sie lacht, "bei mir gilt auch: Sag | |
niemals nie. Es würd mich schon interessieren, wie ich ausschau mit achtzig | |
Kilo. Mich würds sehr interessieren, muss ich ehrlich sagen. Stimmt schon, | |
ich bin eigentlich zu klein für achtzig Kilo." Auf die Frage, wo denn noch | |
was wachsen könnte, sagt sie freudig: "Rücken, Oberschenkel." Sie steht auf | |
und macht eine kleine Pantomime, sagt: "So geh ich dann - und hol mir einen | |
Wolf. Aber trotzdem! Ich möchte einmal, für eine Woche nur, achtzig Kilo | |
wiegen. Mal sehen. Allerdings, wer kauft mir dann die Klamotten? Ich habe | |
ja jetzt schon Probleme, alles was ich habe, besitze ich in dreifacher | |
Ausführung, für die verschiedenen Phasen bis zum Wettkampf dann. Und ab | |
achtzig Kilo aufwärts, wer bringt mir da einen Schneider? | |
Aber im Grunde bin ich zuerst mal zufrieden mit dem, was ich bin, | |
körperlich, geistig, psychisch. Ich bin mit mir zufrieden, dass ich das | |
Trainingsprogramm gut durchgezogen habe, dass ich das Gewicht geschafft | |
hab, und dass ich im Spiegel jetzt so ausschau, nach dem Training, wie ich | |
ausschaun wollte. Die Muskulatur ist bis in die kleinste Muskelfaser | |
durchtrainiert, das nennen wir aufgepumpt, und wenn man keine Fettschicht | |
hat, dann spannt sich die Haut eben richtig drüber und man sieht diese | |
einzelnen - wir sagen: Streifen. Die sieht man dann genau, und die will ich | |
auch sehen." Wie bei einem anatomischen Modell eigentlich, bemerke ich. "Ja | |
genau, könnte man sagen. Meistens geh ich dann herum und schau jemandem | |
beim Training zu. Das genieße ich, wenn jemand einigermaßen gut trainiert. | |
Und es ist ja so, der Körper braucht nach dem Training Ruhe, eine Stunde | |
mindestens. Man muss trinken, nur Wasser. Nix essen, gar nix. Ich geh nicht | |
mal duschen, weil ich nicht stinke. Ich lass den Körper einfach eine Stunde | |
lang in seinem Schweiß in Ruhe. Und dann sieht man, die Haut ist richtig | |
rosig, viel weicher. Das Gesicht vor allem. Weil beim Training, wie gesagt, | |
da schau ich echt schlimm aus. Richtig hart im Gesicht, o ja! Aber wenn man | |
diese Stunde Ruhe gibt, wird alles weicher. Danach kann man dann auch was | |
zu essen machen und das Essen richtig genießen. | |
Also ich mach das nicht so, wie es die anderen machen. Die nehmen sich alle | |
ihren Pott mit, sind gerade erst vom Training weg, stehen auf, rennen an | |
die Theke, hocken sich vor ihren Pott und schaufeln das rein. Also die tun | |
ihrem Körper nichts Gutes. Das ist körperliche Belästigung - eine Belastung | |
hoch zehn. Oft gehe ich auch nach Hause, mach mit den Hunden einen | |
Spaziergang bei uns oben, das ist auch Ruhe. Ich esse abends ziemlich spät | |
noch mal, normalerweise so um halb elf. Also Kohlehydrate, Ballaststoffe, | |
Vitamine, Mineralien, Eiweiß, zum Beispiel gemischtes Gemüse mit Ei und | |
Ziegenkäs, oder Fleisch natürlich, unpaniert, dazu Reis, ist egal. Fisch | |
mit Zitronensaft und Gemüse. So was essen wir abends. Ich rauche nicht. Und | |
ich trinke keinen Alkohol, auch deshalb, weil Alkohol den Magnesiumspiegel | |
beeinflusst, und den brauch ich ja wirklich, sonst krieg ich Krämpfe. Und | |
wenn ich schlaf, dann immer auf dem Bauch, und leider etwas wenig, im | |
Mittelmaß so fünf Stunden. Tagsüber kann ich nicht schlafen und einfach mal | |
nur so rumsitzen, gar nichts machen, dazu bin ich nicht der Typ, leider, | |
denn manchmal bin ich dann doch etwas schlapp." | |
Auf die Frage, wie es ist, wenn man so von der Norm abweicht, sagt sie | |
entschieden: "Ich finde nicht, dass ich von der Norm abweiche, und wenn, | |
dann mit meiner Einstellung, die ich hab. Und ansonsten also kleine Kinder, | |
bis zur ersten Klasse oder so, hab ich festgestellt, die sagen: Schau mal | |
Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?", sie lacht, "oder im Sommer sind | |
wir mal rausgefahren zum See. Jugendliche haben mich laufen sehn im | |
Badeanzug, sind aus dem Weiher raus und haben gerufen: Hallo, hallo, Sie | |
machen doch Bodybuilding?! Die sind mir nach und wollten unbedingt | |
Armdrücken machen. Haben wir gemacht - ich hab sie auch mal gewinnen | |
lassen. Oder die Jugendlichen im Studio, so zwischen elf und fünfzehn, die | |
umringen mich manchmal und gucken, wie ich trainiere. Ich mach meine | |
Übungen ja immer ganz intensiv, mit Konzentration und Ruhe, lass mich nicht | |
aufhalten und nix. Das imponiert ihnen, das wollen sie auch so machen. | |
Aber es gibt natürlich auch die bösen Zungen. Im Studio wird manchmal | |
getuschelt. Oft merk ichs. Oder so ein Pärchen kommt, Allgemeinbürger sag | |
ich dazu. Da schaut sie erst ihn an, dann er sie, es wird gegrinst und | |
getuschelt. Danach glotzen sie mir beim Training zu. Neulich hat mich mal | |
eine Frau angemacht, das war der Hammer! Ich bin ins Studio rein, sie war | |
schon da. Ich kenn die nicht, die ist neu, so ein junges Mädel, gut gebaut. | |
Wie ich mit dem Training angefangen hab, da hat sie auf einmal aufgehört. | |
Ich denk noch, was will die, weil sie hat dauernd hergeschaut. Die sitzt | |
auf ihrem Gerät und hat eine Dreiviertelstunde nur hergeschaut, zu mir und | |
meinem Mann. Der ist ja auch Athlet - wir haben sogar mal gleich | |
ausgeschaut, er ist einmal mit siebzig Kilo auf die Bühne, ich hatte damals | |
auch siebzig gehabt. | |
Na jedenfalls, das Mädel hat uns beobachtet, die ganze Zeit. Ganz komisch | |
geschaut. Mein Mann hat gesagt: Du wärst schon lange gestorben, wenn Blicke | |
töten könnten! Und wie ich dann fertig war mit dem Training, spricht sie | |
mich an, vorn an der Theke: SagenS mal?! Wie kommt man zu solchen Muskeln. | |
Was muss man da so alles nehmen?! Und ob ich mich weiblich fühle, meint sie | |
zu mir. So richtig abfällig! Aber ich bin ja nicht verrückt, dass ich mich | |
rechtfertige. Ich stelle Gegenfragen. Wie stellt sie sich denn Weiblichkeit | |
vor? Darauf weiß sie nichts zu sagen, fragt mich aber, wie alt ich | |
eigentlich bin. Ich sag, rechnen Sie halt nach, Baujahr 1961. Da hat sie | |
zwei Minuten gebraucht und dann die Nase gerümpft. Und ich hab | |
Konfektionsgröße 32/34, Taille unter sechzig, also zeigen Sie mir mal eine | |
in dem Alter, die das hat! Da hat sie nichts drauf zu sagen gewusst. Und | |
ich hab ihr auch erklärt, was weiblich ist: Also Weiblichkeit geht vom Kopf | |
aus, von der Einstellung her, von den Bewegungen her, vom Ganzen her, wie | |
man sich gibt. Wenn jetzt eine Oberweite hat und die Hosen hier unten, dass | |
der Speck rausschaut, das heißt noch gar nichts, das heißt nicht, dass die | |
Frau auch weiblich ist. Ob sie die Einstellung hat. Schauen Sie sich mal | |
die Fußballerinnen an, wie die laufen, mit solchen Muskeln, was ist denn da | |
weiblich?! Da war sie fertig und hat nichts mehr gesagt. Es ist doch wahr! | |
Oder auch bei Ihnen, Entschuldigung, der Bart", sie fasst mich freundlich | |
ins Auge, "was hat denn das mit dem zu tun, das hat doch auch nichts mit | |
männlich und weiblich zu tun?! Das ist eine Einstellungssache!" "Außerdem | |
ein Damenbart!", sage ich und alle lachen. "Ja eben", sagt sie, "einer hat | |
auch mal zu mir gesagt: 'An deinem Arsch, da holt man sich blaue Flecken.' | |
Was soll denn das, er meint, da hat er nichts zum Greifen! Hat er | |
tatsächlich nicht, den würd ich nicht mal in meine Nähe lassen! Aber das | |
geht nicht rein in diese Köpfe." | |
Auf die Frage, ob sie schon einmal gewalttätig geworden sei, sagt sie | |
energisch: "Nein, nein, nie! Die Kraft hätte ich schon, klar, aber das | |
liegt mir nicht. Mir geht es ja um ganz was anderes, ich bin kein | |
aggressiver, brutaler Mensch, im Gegenteil. Mir geht es um den Wettkampf, | |
um die Rangfolge, ich möchte die Beste sein. Und die bin ich ja auch. Wir | |
können mal eben nebenan ins Büro gehen." Das kleine Büro beherbergt ihre | |
Pokale. Groß, goldglänzend stehen sie auf ihren Marmorsockeln. "Das war | |
eine besondere Serie, da darf nicht jeder teilnehmen, am Wettkampf um die | |
Miss Universe. Der ist in England, das ist der berühmte Wettkampf, wo der | |
Schwarzenegger damals Mister Universe wurde. Die Weltmeisterschaft hab ich | |
danach gewonnen. Also in den USA oder so, da könnte ich mit dem, was ich | |
kann und erreicht habe, richtig Kohle machen, ohne dass ich mich groß | |
anstrengen müsste. In Deutschland kann man im Bodybuilding kein Geld | |
verdienen. Und die Sponsoren, die wollen das Mittelmaß, weil sich das am | |
bestern verkauft, weil sich jeder danach richten kann und sagen, na gut, so | |
wie die ausschaut, das könnte ich auch schaffen, geh ich doch einfach in | |
den Verein usw." | |
An der Wand hängen gut gemachte Bilder und Zeichnungen von Pferden. Von ihr | |
selbst, sagt sie mit Stolz. Im Keller zeigt sie uns einen Ständer mit | |
winzig kleiner Wettkampfbekleidung, den Posing-Bikinis. Wieder oben am | |
Tisch sagt sie: "Ich wollte schon immer die Beste sein. Und überall auf der | |
Bühne, wo ich starte, bin ich die Beste. Das ist einfach so. Die Leute | |
denken immer, Bodybuilding ist eine Sparte. Es gibt aber so viel | |
verschiedene Kategorien, und in jeder Teilkategorie gibts halt 'die Beste'. | |
Und wie gesagt, die Rangordnung ist mir sehr wichtig, sonst würde ich das | |
nicht machen. Ich starte ja für verschiedene Verbände. Ich mache immer | |
solche Wettkämpfe aus, wo ich denke, dass es echt einen Reiz gibt. Der | |
letzte in Frankreich war super. Im Herbst 2007 hab ich was abgesagt, weil | |
die Richtlinien nicht feststanden. Da kommen halt die Athleten und die | |
Richtlinien werden nachgereicht. Man bereitet sich ja vor. Was soll ich | |
da?!" | |
Nun möchten wir noch ein bisschen was zur Biografie wissen. "Was ist mit | |
Mana und Papa, haben die das noch erlebt?" "Die sind tot. Mein Vater, der | |
hat noch die Anfänge erlebt. Der war stolz. Er hat sich die Bilder ins | |
Wohnzimmer gehängt, von den Wettkämpfen. Da haben wir ihm so ein bissl eine | |
Collage gemacht, in Riesenrahmen, mit allen möglichen Posing-Bildern, | |
Wettkampfbildern, halt so gemischt. Er war ja KFZ-Mechaniker, meine Mutter | |
war später beim Finanzamt. Ich hab noch eine Schwester, die ist ganz | |
anders. Aufgewachsen bin ich ja in Bayreuth, aufgewachsen und in die Schule | |
gegangen. Bin teilweise bei den Großeltern gewesen. Die Oma war Metzger, | |
hat aber viel genäht, und der Opa beim Kurier. Und ich hab dann ja den | |
ganzen Leistungssport gemacht als Kind und Jugendliche, aber ich hab auch | |
gern Musik gemacht, hab Gitarre gespielt, Trompete, Flöte und | |
Mundharmonika, nur Schlagzeug durfte ich nicht. Ach, ich hab so viel | |
gemacht, war als Schülerin bei den Bayreuther Festspielen, als Statist zum | |
Geldverdienen. Ich wäre vielleicht gerne Sportlehrerin geworden, aber zur | |
Sportlehrerausbildung, da brauchte man Mathe. Und Mathe, das wollte ich | |
absolut nicht. Obwohl ich gute Noten sonst hatte, also nix schlechter als | |
drei. Aber ich hab mich halt lieber bewegt, draußen, hab lieber da mit | |
Buben gespielt, bin auf die Bäume gestiegen, im Bach herum. | |
Dann war ich viel bei den Pferden. Ich hab mir die Reitstunden selbst | |
verdient - ich war immer sehr selbstständig. Ich habe den Stall | |
ausgemistet, Feldarbeit gemacht, die Strohballen auf den Hänger geworfen, | |
das ist eine Heidenarbeit früher noch gewesen. Aber ich durfte reiten, die | |
Pferde von den Geschäftsleuten, weil ich eine gute Reiterin war. Damals | |
schon. Sieben Jahre war ich in dem Reitstall. Bin Turniere geritten, alles. | |
Dann war ich ein einem Privatstall, hab für den Besitzer Pferde | |
eingeritten, die der gekauft hat. Dort hab ich auch alles gemacht, sogar | |
Kutschen eingefahren. Das erste Mal, wie ich eingespannt hab, als | |
Zweiergespann, da sind die mir durchgegangen", sie lacht, "ich habs aber | |
hingekriegt. Mit Pferden muss man ruhig reden, ich hatte auch nie beim | |
Einreiten eine Peitsche oder irgendwas, ich hab immer nur mit einer ruhigen | |
Stimme gearbeitet. Ich hätte ja Jockey werden können. Ich hatte 52 Kilo, | |
bis 55 darf man. Der Reitlehrer hatte das vorgeschlagen. Die Ausbildung | |
dazu war aber auswärts und deshalb durfte ich leider nicht. | |
Ich habe dann mal kurz im Auge gehabt, einen Friseurladen aufzumachen, | |
zusammen mit meinen Kumpels, die auch Friseur gelernt hatten. Die waren in | |
derselben Klasse wie ich und mit im Reitstall. Wir haben überlegt, aber | |
wegen der Allergie bei mir und überhaupt, haben wir dann doch mehr zum | |
Sport tendiert. Ich hab ja viel ausprobiert, Schwimmen, Reiten, Rollschuh- | |
und Eiskunstlauf, Boxen mal so nebenbei, oder ich hab auch in einer Näherei | |
gearbeitet für Sportklamotten, da habe ich ruckzuck Sachen genäht, und am | |
Wochenende war ich als Model auf der Modenschau für Sportsachen. Aber ich | |
musste dann dort weg, weils böses Blut gab. Ich habe gekündigt. Ja und dann | |
bin ich in die Fitnessbranche als Trainerin - heute übernimmt so was ja das | |
Arbeitsamt, damals noch nicht. Und seit 1987 mache ich eben Bodybuilding, | |
so ist das alles gekommen. Auf meiner Internetseite kann man sich dazu auch | |
noch was angucken. | |
Ich hab mir meinen Tag jetzt so eingeteilt, dass ich trainiere, | |
Trainingsstunden gebe und nebenbei eben schreibe, also das sind so | |
Geschichten, die ich im Lauf der Zeit so beobachte, auch was mich betrifft. | |
Ich habe ja schon ein Buch geschrieben über Ernährung, das ist aber nicht | |
mehr lieferbar. Ich hab meine Hunde, meinen Haushalt, ich hab viele | |
Interessen. Also ich hab mir vorgenommen, Wettkampfbodybuilding werde ich | |
in dem Moment aufgeben, wo das mit der Platzierung nicht mehr stimmt. | |
Trainieren kann ich ja bis ich 70 bin, mindestens. Das Schlimmste wäre, | |
wenn ich nicht mehr trainieren könnte aus irgendwelchen gesundheitlichen | |
Gründen." | |
28 Jan 2008 | |
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