# taz.de -- Zeigen, was möglich ist und was nicht | |
> ■ Was bedeutet die Legalisierung für einen Piraten-Sender, wie kann man | |
> im Legal-Funk weiterhin radikal bleiben und wie verändert sich das | |
> Verhältnis zur Betroffenenberichterstattung, fragen sich die MacherInnen | |
> von Radio Dreyeckland in Freiburg, das nach langer Illegalität Ende Juli | |
> den regulären Sendebetrieb aufnahm | |
Als vor elf Jahren im Widerstand gegen das AKW Fessenheim ein einfaches | |
Sendegerät auftauchte, war die Idee geboren, Radio zu machen. Von nun an | |
meldete sich der illegale Piratensender „Radio Verte Fessenheim“ regelmäß… | |
über den Äther. Nach dem Radio-Frühling '85 - RDL sendete eine Woche lang | |
trotz massiver Polizeieinsätze aus versteckten Studios in Freiburg - nahmen | |
die Radiomacher erfolgreich den Kampf um die Legalisierung auf. Seit dem | |
24.Juli ist Radio Dreyeckland auf Sendung. Ziel des freien und nicht | |
-kommerziellen Radios bleibt weiterhin, für sich eine ganze Frequenz | |
durchzusetzen. Derzeit wird täglich von 20 bis 24 Uhr gefunkt, am | |
Wochenende gibt es noch einen Zuschlag von 10 bis 14 Uhr. Der Sender | |
finanziert sich ausschließlich über die 1.200 Fördermitglieder - zum | |
Überleben müssen es 5.000 werden. Die taz hat Ursi Kollert, Sprecherin des | |
RDL -Freundeskreises und Redakteurin, Bertram Rothermund, Mitarbeiter der | |
Medienwerkstatt Freiburg, Michael Menzel, Redaktion, Markus Barnay, | |
Programmkoordinator und Redakteur, und Frank Scheer, Musik-Redaktion zu | |
ersten Erfahrungen, Perspektiven und Schwierigkeiten befragt. | |
taz: Radio Dreyeckland sendet seit ein paar Tagen legal auf der Frequenz | |
100,7 (UKW). Hättet Ihr Euch das träumen lassen? | |
Michael: Es existiert bis heute eine Skepsis, ob es selbst wenn wir eine | |
ganze Frequenz bekommen - nicht ein Pyrrhussieg ist. Es war sowohl intern | |
als auch im Unterstützerkreis strittig, überhaupt Lizenzanträge zu stellen. | |
Was gab es denn für Gründe, einer Legalisierung kritisch entgegenzublicken? | |
Ursi: Wir wissen - und das ist auch die Erfahrung von Radio Lora in Zürich | |
-, daß der Kampf um freie Meinungsäußerung nie aufhören wird. Aber | |
andererseits muß man fragen: Was kann ein Radio überhaupt leisten, wenn es | |
nicht öffentlich, frei zugänglich und nicht verfolgt ist? | |
Michael: Es gab die Befürchtung, eine Legalisierung würde bedeuten, daß das | |
Radio nicht radikal sein kann. Was wir bisher gesendet haben, war so | |
super-radikal nun wirklich nicht. Andere hegen Zweifel, weil die | |
Rahmenbedingungen beschissen sind. Allein die Post kassiert monatlich | |
unverschämte 6.000 Mark. | |
Ursi: Wir brauchen Geld. Und weil wir Geld brauchen, passiert es, daß es | |
gleich als Negativwerbung ausgelegt wird, wenn jemand sagt, wir wollen ein | |
linkes Radio sein. Man könnte ja Leute damit verschrecken, Mitglied im | |
Freundeskreis zu werden. Es ist schon klar, daß es durch die Finanzierung | |
von vielen einzelnen keine Abhängigkeit von einzelnen gibt. Weil wir | |
gezwungen sind, hohe Geldbeträge zu beschaffen, sind wir eben in dem Sinn | |
kein freies Radio mit einem eigenen Sender. | |
Bertram: Hinzu kommt das Problem der inneren Zensur. Jetzt ist für jede | |
Sendung ein Redakteur oder eine Redakteurin haftbar zu machen. | |
Markus: Und trotzdem wird es auch weiterhin Inhalte geben, die so | |
stehenbleiben müssen, selbst wenn wir in Kauf nehmen, irgendwelche | |
gerichtlichen Verfahren in Gang zu setzen. | |
Bertram: Wie andere alternative Medien muß auch das Radio schauen, daß es | |
den Rahmen der Pressefreiheit ausschöpft und sogar erweitert, statt von | |
vornherein zurückzustecken. | |
Ursi: Je mehr Gruppen mitmachen, desto vielfältiger wird das Programm und | |
um so größer wird das Meinungsspektrum. Das wird uns sicher neue Probleme | |
machen. Geld kann man mit diesem Radio sowieso nicht machen. Wir möchten, | |
daß die Leute ihre Interessen möglichst gut darstellen, so daß man zuhören | |
kann. Dieser Anspruch setzt für uns ganz klar einen Schwerpunkt unserer | |
Arbeit: Gruppen befähigen, Radio zu machen. | |
Sowohl die Redaktion als auch das Hörerpublikum hegen den Anspruch, bessere | |
Qualität zu produzieren beziehungsweise serviert zu bekommen. Gleichzeitig | |
aber wird das Radio als Medium immer mehr zur bloßen Berieselung benutzt. | |
Wie wollt Ihr solche Hörergewohnheiten aufbrechen? | |
Markus: Es gibt natürlich auch den umgekehrten Effekt, daß den Leuten diese | |
tägliche und dauernde Dudelei auf die Nerven geht und sie froh sind, wenn | |
mal Inhalte aus dem Apparat herauskommen. Ich sehe die Chance, in die | |
Lücken reinzustoßen, wo die anderen - gerade die öffentlich -rechtlichen | |
Rundfunkanstalten - aufgeben. | |
Bertram: Es gibt das Bedürfnis nach parteilicher, inhaltlicher, | |
strukturierter Sendung. Das aber beißt sich doch in den Schwanz mit der von | |
uns praktizierten Betroffenenberichterstattung. Es erstaunt mich, daß RDL | |
die Betroffenenberichterstattung immer noch stolz auf seine Fahnen | |
schreibt. | |
Ursi: Da wird sehr viel mißverstanden. Wir wollen nicht, daß Gruppen hier | |
nur ihre Kassetten abgeben oder auch Flugblätter, die dann jemand verlesen | |
soll. Ich kann mich da gar nicht ausnehmen. Ich hab auch mal gedacht, es | |
sei einfach wichtig, daß Leute zum Beispiel ihr eigenes Flugblatt | |
schreiben, egal wie blöd oder dumm es ist. Das meine ich so nicht mehr. | |
Aber es ist ein unheimlicher Kampf mit Widersprüchen, darüber debattieren | |
wir auch ständig. Aber anstatt zu diskutieren, möchte ich jetzt lieber | |
Radio machen und durch die Praxis zeigen, was möglich ist und was nicht. | |
Markus: Wir wollen die Leute nicht einfach vor sich hinwurschteln lassen, | |
sondern uns mit ihnen beschäftigen und ihnen was beibringen. Die Gruppen | |
sollen mit der Zeit lernen, mit dem Medium umzugehen und was draus zu | |
machen. | |
Bertram: Ein Betroffenen-Radio birgt doch immer die Gefahr, daß sich die | |
Produzenten im besten Licht darstellen wollen und deshalb die | |
selbstkritische Tiefe fehlt. Die These hieß immer: Betroffene können ihre | |
Sache am besten darstellen, weil sie am meisten darüber wissen. Ich möchte | |
das mittlerweile bestreiten. Jemand von außen kann zum Beispiel | |
Widersprüche entdecken, die von Betroffenen selbst gar nicht wahrgenommen | |
werden. Ich finde, das Radio nimmt die Rolle eines Kritikers zu wenig wahr. | |
Man ist so froh über Leute, die kommen, ist solidarisch mit ihnen und | |
verpaßt darüber die Chance, diese Leute auch zu fordern. Das Radio ist eine | |
Chance, vielleicht eine neue Form zu entwickeln. | |
Frank: Wir müssen weg vom Mythos. Bis jetzt besteht Radio Dreyeckland quasi | |
nur als Mythos. Als wir illegal gesendet haben, haben uns nur wenige | |
gehört. Jetzt können uns die Leute an dem messen, was wir senden. Ich spüre | |
schon ganz gewaltige Unterschiede zu früher: Damals war's den Leuten genug, | |
daß überhaupt was rauskam. Da war RDL-Hören mindestens so abenteuerlich wie | |
Radiomachen. Weil es verboten war zu machen, war es ja fast schon verboten, | |
zuzuhören. Viele hatten Radio Dreyeckland nur eingeschaltet, weil sie | |
darauf warteten, daß Zoff abgeht. | |
Die Illegalität hinterläßt nun also ein Vakuum? | |
Markus: So stimmt es nicht. Wir sind mit unseren Ansprüchen schon lange und | |
schon weit darüber hinausgegangen, was reines Piraten- oder illegales | |
Senden ist. Aber selbstverständlich war die Illegalität für viele ein | |
wichtiger Aspekt. Vielleicht werden wir als legales Radio auch Hörer | |
verlieren, denen es jetzt einfach zu langweilig ist. Radio Dreyeckland wird | |
vermutlich nicht so werden, daß man das Programm den ganzen Tag nebenher | |
laufen lassen kann. Man muß zwangsläufig zu- und hinhören. Deshalb nehmen | |
wir auch in Kauf, daß die Leute ab und zu mal umschalten. Manche meinen, | |
daß wir Propagandaradio machen, das sich an Insider wendet, die eh schon | |
die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Und es gibt andere, die den | |
Anspruch haben, auch solche Hörer zu erreichen, die erst mal aktiviert | |
werden müssen. Denen muß man Inhalte in einer anderen Form nahebringen. Das | |
heißt aber noch lange nicht, daß wir uns auf die vermeintlichen Bedürfnisse | |
einstellen, die da sind: Unterhaltung und Ablenkung und sonst gar nichts. | |
Ursi: Wir sagen klar und deutlich: Wir sind ein linkes Radio, das unsere | |
Hörer in Besitz nehmen sollen. | |
Interview: Andrea Hösch | |
Spendenkonto des Freundeskreises Radio Dreyeckland e.V. (Adlerstraße 12, | |
7800 Freiburg): Konto 9320202, Volksbank Freiburg | |
Außerdem gibt's über den Radio-Frühling ein Video: „Wir bitten nicht läng… | |
um Erlaubnis“, Verleih über die Medienwerkstatt Freiburg, Konradstraße 20, | |
sowie das Buch „Z.B. Radio Dreyeckland“, Dreisam-Verlag | |
19 Aug 1988 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |