| # taz.de -- Zeige deine Vulva und verjage den Teufel | |
| > VULVA-DIALOGE Mithu M. Sanyal unterhielt sich mit Christina von Braun | |
| > über ihr Buch „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ | |
| Die jungen Frauen von heute, heißt es ja manchmal, kümmern sich nur um sich | |
| selbst, um Karriere und Männer, „privatistisch“ sei ihr Zugang, ein | |
| höfliche Umschreibung für „komplett belanglos“. Mithu M. Sanyal, Jahrgang | |
| 1971, kennt diesen Vorwurf: Ihr sei ja bewusst, versichert sie hinter dem | |
| massiven Pult, an dem die Vortragenden im Senatssaal der | |
| Humboldt-Universität sitzen, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich | |
| nur 78 Prozent dessen verdienen, was Männer verdienen. Trotzdem finde sie | |
| die Symbolik weiblicher und männlicher Geschlechtsorgane interessant. | |
| Deshalb hat sie ein Buch über die Kulturgeschichte der Vulva geschrieben, | |
| das im letzten Monat bei Wagenbach erschienen ist („Vulva. Die Enthüllung | |
| des unsichtbaren Geschlechts“). Sanyal hat nämlich festgestellt, dass die | |
| Wörter Vulva und Vagina falsch gebraucht werden: das Wort Vagina, das | |
| allgemein zur Bezeichnung weiblicher Geschlechtsorgane verwendet wird, | |
| meint nämlich nur den inneren, schlauchförmigen Teil der weiblichen | |
| Geschlechtsorgane. Die Vulva dagegen ist das äußere weibliche Genital. | |
| Viele wissen das nicht, und das ist, findet Sanyal, von Bedeutung. „Nicht | |
| nur der gesamte sichtbare Teil des weiblichen Genitals wird sprachlich | |
| unsichtbar gemacht“, schreibt sie, „es hat auch keine eigenständige | |
| Bedeutung mehr, ist nur ein Loch, in das der Mann sein Genital stecken | |
| kann, oder um im Bild zu bleiben: eine Scheide für sein Schwert“. | |
| Aber die Vulva hat dennoch ihren Weg in die Kulturgeschichte gefunden. | |
| Sanyal hat jahrelang recherchiert und berichtet nun von diesen | |
| Darstellungen in Kunst, Literatur und Religion. Es sei ihr wichtig, sagt | |
| sie, keine Leidensgeschichte zu erzählen. In den Mythologien sämtlicher | |
| Kulturkreise findet man immer wieder Geschichten davon, wie das stolze | |
| Enthüllen der Vulva die Welt vor dem Untergang rettet oder den Teufel | |
| verjagt. Die mesopotamische Göttin Ishtar zum Beispiel lehnt an einem | |
| Apfelbaum, als sie „über ihre schön anzusehende Vulva jauchzte und sich | |
| selbst zu ihrer Schönheit beglückwünschte“. In Poitiers gibt es eine | |
| Darstellung aus dem 13. Jahrhundert, eine äußerst realistische Abbildung | |
| der anatomischen Details. Und der schwarze Meteorit an der Kaaba in Mekka, | |
| dem „aus heutiger Sicht männlichsten aller Heiligtümer“, stellt nichts | |
| anderes als eine Vulva dar (die der verehrten Mondgöttin Al’Uzza). Erst die | |
| monotheistischen Religionen haben die Vulva verleugnet. | |
| Christina von Braun, Professorin für Kulturwissenschaften an der | |
| Humboldt-Universität, sitzt auch hinter dem Pult, da sie den Abend | |
| moderiert. Am liebsten aber spricht sie selbst, über den Islam und die | |
| verschleierte Frau und die Erfindung des Kompass. Zwischendurch lobt sie | |
| die Autorin ein bisschen und belehrt, wo sie es für nötig hält. Als Sanyal | |
| von der Bedeutung der Mariendarstellung spricht, unterbricht von Braun sie: | |
| „Na ja, gut, lassen wir das.“ | |
| Indessen gerät die Veranstaltung ein wenig durcheinander. Ein Herr in Anzug | |
| und Krawatte steht auf, stellt sich mit sämtlichen akademischen Titeln dem | |
| Publikum vor und ruft dann quer durch den Raum der Autorin zu: „Vulva, | |
| Vagina, ich verstehe überhaupt nicht, was Ihr Problem ist.“ Eine Nonne aus | |
| Barcelona erzählt ausführlich von der unbefleckten Empfängnis. Mithu Sanyal | |
| lächelt nur freundlich. Sie weiß ja, dass die Frage danach, was weibliche | |
| Selbstbestimmung heute ist, oft hitzig diskutiert wird. ELISABETH RAETHER | |
| 8 May 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| ELISABETH RAETHER | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |