# taz.de -- ZWISCHEN DEN RILLEN: Mehr Krautrock für Japan | |
> Like A Stuntman: „YOY“ (Bureau B/Indigo) Agitation Free: „Shibuya Nights | |
> – live in Tokyo“ (Esoteric/Rough Trade) | |
Wer sehen will, wie leidenschaftlich aus Deutschland kommende Popmusik | |
anderswo verehrt wird, muss bei seinem nächsten Besuch in Tokio einfach in | |
das „Tokyo Tower Wax Museum“ gehen, das in einem stählernem Turm | |
untergebracht ist, der dem Eiffelturm täuschend ähnlich sieht. Dort nämlich | |
finden sich – in bester Nachbarschaft zu Frank Zappa – die Wachsebenbilder | |
von gleich mehreren hierzulande mäßig bekannten deutschen Musikern. Von | |
Lutz „Lüül“ Ulbrich beispielsweise, den man derzeit vielleicht als einen | |
der 17 Hippies kennt. In Tokio aber steht der Berliner Gitarrist natürlich | |
wegen seiner Verdienste um eine Musik, mit der man Ende der sechziger, | |
Anfang der siebziger Jahre einen eigenen Anschluss an Rockmusik suchte in | |
Deutschland, meist in langen Improvisationen mit Bezügen zur Minimal Music, | |
Psychedelic, elektronischen Experimenten und sonstigen musikalischen | |
Bewusstseinserweiterungen. Krautrock wurde das damals mit einem noch | |
spöttischen Zungenschlag benannt. | |
## Späte Rekonstruktion | |
Als dann 2007 im Tokioter Wachsmuseum auch noch das Konterfei von Ulbrichs | |
Kollege Michael Hoenig von Agitation Free dazugestellt wurde, nahm das die | |
Band zum Anlass, nach über 30 Jahren wieder gemeinsam auf der Bühne zu | |
stehen bei einer Reihe von Konzerten in Tokio. Es müssen erinnerungsselige | |
Nächte gewesen sein, wie man auf dem damals eingespielten und jetzt | |
veröffentlichten Livealbum „Shibuya Nights“ hören kann. Eigentlich jeder | |
Titel präsentiert sich als ein musikalischer Wärmestrom mit lang | |
ausgespielten Melodiebögen, wobei die wiedervereinigten Agitation Free | |
vornehmlich ihre alten Songs rekonstruierten, die dann kaum anders klingen | |
als auf den Originalalben. Etwas ausgereifter vielleicht und auch | |
gefälliger. | |
Was allemal für ein wohliges kleines Trancegefühl sorgen kann, so auf dem | |
Sofa sitzend und in der Erinnerung an Visionen aus einer fernen Zeit, die | |
in der bloßen Nacharbeitung aber halt so visionär nicht mehr sind. Fürs | |
erste haben sich Agitation Free mit „Shibuya Nights“ in ihrem eigenen | |
Museum eingerichtet. Ein hübsch möblierter Parkplatz neben der Zeit. | |
Dass der Krautrock aber gerade wieder erhöhte Aufmerksamkeit genießt, kann | |
kaum mit Wiederaufführungen einer historischen Leistung allein zu tun | |
haben. Eher möchte man von einem Revival des krautigen Prinzips sprechen, | |
mit dem in Zeiten der digitalen Allgegenwärtigkeit von eigentlich allen | |
musikalischen Moden und Modellen die Popgeschichte durchwühlt wird. Ein | |
Probieren. Ein Experimentieren. Auch mit dem Mumm, selbst Disparates | |
wenigstens versuchsweise in eine Form zu zwängen. | |
Und deswegen passt das Krautrock-Etikett durchaus zu Like A Stuntman. Das | |
wurde der zwischen Hamburg und Frankfurt agierenden Bandgemeinschaft | |
bereits mindestens genauso oft angepappt wie der hübsche Vergleich, dass | |
man es bei dem Quartett mit „Deutschlands Antwort auf Animal Collective“ zu | |
tun habe. So weit ist beides in diesem Experimentierfeld auch gar nicht | |
voneinander entfernt, wobei Like A Stuntman noch haufenweise weitere | |
musikalische Methoden in ihrem Musterkoffer haben. | |
Glamrock ist hier zu hören mit der Lust an Euphorie und | |
Verkleidungsspielen. Die Freude an der schieren Schönheit der Beach Boys, | |
die noch durch die Beach-Boys-Würdigungen der High Llamas gefiltert ist. | |
Und die motorischen Fußstapfen der Krautrockikonen von Can. Clubmusik. | |
Canterbury-Jazzrock. Eine höhergelegte David-Bowie-Stimme. | |
So steckt „YOY“, das neue, wieder bei Bureau B, dem Hamburger Fachlabel für | |
alten und aktuellen Krautrock erschienene Album von Like A Stuntman voller | |
Verweise, Fußnoten und musikalischer abstracts. Viele Schnipsel, die sich | |
statt zu Seminararbeiten dann eben doch zu Popsongs sammeln. Kunstvoll. | |
Verzwirbelt. Und immer schlau genug, dass so eine Komplexität hörbar | |
gemacht wird, ohne dass die sich selbst im Weg herumsteht oder gar | |
Ausflüchte in den Progrock gesucht werden. | |
Kann man Krautrock dazu sagen. Oder einfach Pop in seinen gegenwärtigen | |
Bedingungen. In Japan wird es bestimmt wieder seine leidenschaftlichen Fans | |
finden. THOMAS MAUCH | |
■ Like A Stuntman. Live: 21. 11., Mainz; 23. 11., Düsseldorf; 24. 11., | |
Dresden; 25. 11., Berlin; 26. 11., Hamburg | |
18 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
THOMAS MAUCH | |
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