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# taz.de -- „Wir waren unbequem für die Geschäftsführung“
> Sie erwirtschafteten Profit für den Klinikkonzern und waren trotzdem
> ständig unterbesetzt. Die Hebammen der Asklepios Klinik in Hamburg Altona
> haben deshalb ihr sicheres Angestelltenverhältnis aufgegeben und sich
> selbstständig gemacht
Bild: Ihr Konzept des Beleghebammen-Kreißsaals funktioniert auch in großen Ge…
Interview Marthe Ruddat
taz: Frau Unruh, Frau Bockemühl, warum haben Sie und Ihre Kolleginnen sich
mit dem Hebammenkontor selbst outgesourct?
Judith Bockemühl: Es war die Unzufriedenheit. Wir haben hier im Spätdienst
teilweise zu zweit zehn Frauen betreut. Das hat solch eine Wut und Ohnmacht
erzeugt. Unter diesen Bedingungen konnten wir unserem Anspruch an unseren
Beruf überhaupt nicht mehr gerecht werden.
Und warum dann die Selbstständigkeit?
Claudia Unruh: Ich kannte die Vorteile davon. Große Kliniken, an denen
ausschließlich Beleghebammen arbeiten, gibt es aber sonst nur in München
und Nürnberg. Ich habe deshalb jemanden organisiert, der uns erklärt hat,
wie so ein Modell aussehen könnte. Nach dem ersten Termin stimmten schon
über 80 Prozent der Kolleginnen zu, die anderen zogen dann schnell nach.
Wie genau sieht Ihr Arbeitsmodell jetzt aus?
Unruh: Wir haben eine Partnerschaft gegründet, mit der wir Vertragspartner
von Asklepios sind. Mit der Klinik haben wir eine
Sicherstellungsvereinbarung abgeschlossen, damit haben wir uns
verpflichtet, dass der Betrieb im Kreißsaal reibungslos läuft. Dazu kommen
noch weitere Beleghebammen, die eigene Belegverträge mit dem Haus und
Kooperationsverträge mit unserer Partnerschaft abschließen.
War es schwer, Asklepios von dem neuen Konzept zu überzeugen?
Unruh: Nicht wirklich. Die Verhandlungen waren sehr kooperativ. Die Not hat
uns da sicherlich geholfen. Es gab eine Kündigungswelle und einen hohen
Krankenstand. Die Unzufriedenheit war bei einer immensen Arbeitsbelastung
extrem hoch. Asklepios wollte ja neue Hebammen anstellen, aber niemand
wollte hier arbeiten. Und es war klar: Wenn sich nichts ändert, kündigen
noch mehr.
Bockemühl: Wir waren auch wirklich unbequem. Wir haben konsequent
Gefährdungsanzeigen geschrieben und die Geschäftsführung darauf
hingewiesen, dass wir die Sicherheit der Mütter und Kinder nicht mehr
gewährleisten können.
Ist das Konzept des Beleghebammen-Kreißsaals das Modell der Zukunft?
Bockemühl: Für uns schon. Wenn man uns fragen würde, ob wir nochmal zurück
ins Angestelltenverhältnis möchten, dann würden wir nein sagen.
Warum?
Bockemühl: Es hat so viele Vorteile. Natürlich sind wir an die Qualitäts-
und Sicherheitsstandards der Klinik gebunden. Aber wir haben den Luxus, uns
selbst zu organisieren. Wir können selber bestimmen, mit wie vielen
Hebammen wir im Dienst arbeiten wollen und wie wir unsere Arbeitsprozesse
gestalten.
Wie wirkt sich das neue Modell auf die PatientInnen aus?
Bockemühl: Die Patientenzufriedenheit ist in den letzten eineinhalb Jahren
extrem gestiegen. Manche Frauen, die jetzt ihr zweites Kind bei uns
bekommen, spüren die Veränderung am eigenen Leib. Sie merken ganz deutlich,
dass wir mehr Zeit haben.
Die Freiberuflichkeit bringt aber auch viele Risiken mit sich.
Bockemühl: Klar. Wenn ich krank oder im Urlaub bin, dann bekomme ich kein
Geld. Man muss auch für sich selbst gut in die Zukunft planen, damit man
solche Phasen puffern kann.
Woran krankt es denn im System, dass Sie bereit waren, dieses Risiko auf
sich zu nehmen?
Unruh: Es gibt beispielsweise eine neue gesetzliche Regelung, die
vorschreibt, dass Beleghebammen nur zwei Frauen gleichzeitig während der
Geburt betreuen dürfen. Für angestellte Hebammen gilt das nicht. Wenn auch
Kliniken als Arbeitgeber gezwungen wären, so viele Hebammen vorzuhalten,
dass eine Eins-zu-Zwei-Betreuung gewährleistet ist, dann müssten sie mehr
Hebammen einstellen. Es sollte in den wenigen großen Geburtskliniken ein
breiteres Angebot für die Schwangeren und die Hebammen geben, vom
Geburtshaus bis zum Level eins Perinatalzentrum. Das würde eine
menschenwürdige Geburtshilfe bedeuten, die allen gerecht wird.
Wie soll das gehen? Es gibt doch einen Hebammenmangel.
Unruh: Nein, die Hebammen arbeiten einfach nicht mehr in ihrem Beruf.
Bockemühl: Es hat sich ja kein Loch aufgetan, in dem sie einfach
verschwunden sind. Die Arbeitsbedingungen sind einfach so schlecht
geworden, dass nicht mehr viele in dem Beruf arbeiten oder ihn wählen. Wenn
wir da nicht gegensteuern, wird es in zehn Jahren einen Hebammenmangel
geben.
Krankenhauskonzerne argumentieren oft, dass sie einfach nicht genug Geld
hätten, um mehr Personal zu beschäftigen.
Bockemühl: Das haben wir in unseren Verhandlungen auch immer wieder gehört
und das war das Frustrierendste. Uns wurde gesagt, dass unsere Abteilung
die einzige sei, die überhaupt noch ein Plus macht. Aber man müsse das
Gesamtpaket beachten.
Mit Ihrem Modell können Sie jetzt eine Eins-zu-Zwei-Betreuung
gewährleisten. Am Geld kann es also nicht gelegen haben.
Unruh: So einfach ist die Rechnung nicht. Die Kliniken bekommen Pauschalen
pro Geburt, da ist das Personal inklusive. Deshalb ist es für die Kliniken
ja so gut, wenn sie wenige Hebammen und viele Geburten haben: Sie bekommen
oft die Pauschale, müssen sie aber nur an wenige ausschütten. Und solange
zwei Hebammen zehn Frauen versorgen und alles gut geht, hat das Haus gut
verdient. Mit unserer jetzigen Arbeitsweise bekommt die Klinik eine
reduzierte Pauschale. Wir rechnen unsere Leistungen direkt mit der
Krankenkasse ab.
Wenn die Klinik eine geringere Pauschale bekommt, warum macht sie das mit?
Bockemühl: Das kann man sich schon fragen. Man muss aber gegenrechnen, dass
die Klinik ein riesiges Team losgeworden ist. Die Personalkosten, die
Verwaltungskosten, all das fällt für sie damit weg.
Also ist vereinfacht gesagt insgesamt mehr Geld im Topf?
Unruh: Genau.
Profitieren auch Sie finanziell?
Bockemühl: Wir verdienen besser. Wir müssen zwar mögliche Ausfallzeiten
kompensieren, aber ich finde, dass unsere Arbeit endlich angemessen bezahlt
wird.
Trotzdem: Wäre nicht eine politische Lösung für alle Hebammen
wünschenswert?
Bockemühl: Natürlich wäre es schön, wenn der Hebammenberuf im
Angestelltenverhältnis wieder attraktiver würde, auch aufgrund der
genannten Risiken der Freiberuflichkeit. Aber die Frage ist, wie lang der
Atem eines Teams ist, das durchzukämpfen. Wir waren wirklich sehr unbequem
für die Geschäftsführung, haben viel kritisiert, oft um Gespräche gebeten.
Und es hat sich trotzdem nichts verändert.
14 Mar 2019
## AUTOREN
Marthe Ruddat
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