Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wir sind Punks, wir sind schwul
> CLUBKULTUR Sven Marquardt ist Türsteher des Berliner Technoclubs
> Berghain. In seiner Autobiografie erzählt er nun spannende Geschichten
> aus Ostberlin
VON ULRICH GUTMAIR
Ins Berghain kommst du eh nicht rein“, so steht es Gelb auf Schwarz auf
Plakaten, die in Berlin dieser Tage an jeder Straßenecke hängen. Sie werben
für eine Smartphone-App, mit deren Hilfe man sich Tickets bestellen kann.
Für Orte und Abende, an denen der Türsteher des Berghain, Sven Marquardt,
nicht das Sagen hat.
Das Berghain ist zum Mythos geworden, und nun auch zum Synonym für
Vergnügungen, an denen Normalsterbliche nicht teilnehmen dürfen. Dass das
Gegenteil der Fall ist, weiß jeder, der schon mal da war. Aber aus eigener
Anschauung kennen die meisten das Berghain nicht. Für Leute, die schon eine
Weile in Berlin ausgehen, hat der jüngste Hype um das Berghain daher etwas
Surreales. Ganz abgesehen davon, dass es merkwürdig ist, Abgesänge auf den
Club von Leuten zu lesen, die nie drin waren.
Das Berghain ist ein toller Club, das ist gar keine Frage. Es gibt
vielleicht keinen anderen Ort, an dem der Geist der Berliner Nachwende so
konsequent weitergetragen wird. Was damals überall in der Stadtmitte zu
spüren war, wird nun hier konserviert, zwischen den Stahlbetonwänden eines
mächtigen ehemaligen Heizkraftwerks, 1953 im Stil des sozialistischen
Neoklassizismus erbaut. Hier wird kein Unterschied zwischen den Feiernden
gemacht, Geschlecht, Hautfarbe, Alter, sexuelle Orientierung spielen keine
Rolle. Das ist in Berlin nicht außergewöhnlich. Aber das Berghain hat sich
den Ruf des besten Clubs der Welt erarbeitet, und wer auf House und Techno
steht, will dort mal tanzen. In der Schlange vor der Tür sind alle
erdenklichen Sprachen zu hören, viel Englisch, Spanisch und Französisch.
Weil er als Einlasser der entscheidende Mann ist, der die Schwelle zwischen
draußen und drinnen hütet, weil im Berghain wie seit eh und je in den
großen Berliner Clubs Fotografierverbot herrscht und weil seine beiden
Betreiber keine Interviews geben, ist Sven Marquardt über die Jahre zum
Gesicht des Berghain geworden, zu dem Piercings in Mund und Nase und
Tattoos auf Stirn und Wange gehören. Insofern ist es kein Wunder, dass nun,
pünktlich zum zehnjährigen Bestehen des Clubs, Marquardts Autobiografie
erschienen ist, die er zusammen mit Judka Strittmatter geschrieben hat.
## Das Leben in der DDR
Wer nun erwartet, in diesem Buch würden die Geheimnisse des Clubs gelüftet,
wird enttäuscht. Denn „Die Nacht ist Leben“ ist tatsächlich eine
Autobiografie, aus der die Nachgeborenen vor allem viel über das Leben in
der DDR lernen können, aber auch darüber, was es heißt, sich dem Rausch zu
verschreiben. Marquardt erzählt, wie das war, als junger Punk in Ostberlin
zu leben. Er kommt aus einer in mancher Hinsicht typischen Familie. Die
Eltern heiraten früh, nach ein paar Jahren verlässt der Vater die Familie
und gründet eine neue. Als er sich auch aus der zweiten Ehe verabschiedet,
hat Sven Marquardt genug von ihm. Besser kommt er mit seinem Stiefvater
klar. Es gibt Momente, da will seine Mutter ihn nicht kennen, als sie sich
in der U-Bahn begegnen, zu sehr fällt er aus dem Rahmen der sozialistischen
Ordnung mit seinem Iro. Der Sohn nimmt es ihr nicht übel, er hat der
Familie auch viel Toleranz abverlangt.
Spannend ist auch, was Marquardt über die Ostberliner Schwulenszene
berichtet, die sich am Alex, im Volkspark Friedrichshain und in einigen
Bars in Prenzlauer Berg trifft. Zuerst ist er als junger Neuankömmling
wohlgelitten, dann wird auch hier über ihn getuschelt. Der Iro, die
Sicherheitsnadel durchs Ohr, das ist auch für viele Ostberliner Schwule in
den frühen Achtzigern zu viel des Guten. Es gibt einen wunderbaren Satz,
der recht früh fällt und den Außenseiterstatus des jungen Wilden und seiner
Freunde zusammenfasst: „Wir sind Punks, wir sind schwul, wir gehen keiner
geregelten Arbeit nach. Wir sehnen uns nach Liebe, Anerkennung,
Selbstverwirklichung. Und wir leben in einem Staat, dem Leute wie wir nicht
schmecken, der Leute wie uns weghaben will.“
Marquardt lässt ein differenziertes Bild entstehen. Als Schwuler, schreibt
er, wird niemand in der DDR verfolgt. Doch als Außenseiter muss er es
hinnehmen, dass die Stasi in seine Wohnung einbricht, um herauszufinden,
wie gefährlich dieser Marquardt ist, der unter anderem für Sibylle, das
avancierte Modemagazin der DDR, fotografiert. Weil er nicht zur NVA will,
landet er in einer Modellklinik der DDR für stationäre Psychotherapie, wo
er seine erste kleine Ausstellung von Fotos zeigt. Ein Jahr später hilft
vor der Einberufung nur noch die Einweisung in die Psychiatrie. Als er nach
der Wende seine Stasi-Akte liest, beschert ihm das nur eine schlaflose
Nacht: „Andere haben viel schlimmere Sachen erlebt.“
Sven Marquardt erzählt von MDMA und Speed, die er nach der Wende im Planet
und im E-Werk einwirft, vom Tanzen, von Alkohol und Sex und schließlich
auch davon, wie es ist, Einlasser des Berghain zu sein: „Natürlich ist es
bitter, nach zwei Stunden Anstehen in der Kälte ein ‚Nein‘ zu hören, aber
jeder weiß, worauf er oder sie sich einlässt, wenn er oder sie das Berghain
anstrebt.“ Sven Marquardt siezt die Leute. Er versteht sich selbst als
Gästebetreuer. „Und deswegen geht es auch nicht, nebenbei in eine Stulle zu
beißen, wenn ich jemanden in die Nacht zurückschicke.“
■ Sven Marquardt: „Die Nacht ist Leben“. Ullstein, Berlin 2014, 224 Seite…
14,99 Euro
23 Aug 2014
## AUTOREN
ULRICH GUTMAIR
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.