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# taz.de -- Wiedersehen mit einer alten Geliebten
> Die Kritik war voll des Lobes, das Publikum schmolz dahin: Mit ihren
> tabuarmen und humorvollen Romanen eroberte Rita Mae Brown in den
> achtziger Jahren die Herzen der deutschen Lesben im Sturm. Endlich gab es
> für sie mal was zu lachen. Die mit Unterhaltungsliteratur nicht eben
> gesegnete Frauenszene verschlang fortan Browns Südstaatenromane.
> Mittlerweile ist es etwas stiller geworden um Ms. Brown. Heute schenkt
> sie ihre Aufmerksamkeit vor allem unzähligen Pferden, Hunden und Katzen.
> Jetzt meldet sie sch mit ihren Memoiren auf dem Buchmarkt zurück. Auf
> siebenhundert Seiten erzählt die Farmerin viel, ohne wirklich etwas
> preiszugeben – außer ihre eigene Eitelkeit  ■ Von Klaudia Brunst
Rita Mae Brown war so etwas wie ein Idol. Als ich sechzehn war, behauptete
Anja Meulenbelt, daß die „Scham vorbei“ sei. Judith Offenbach schlug sich
mit der toten „Sonja“ herum und verunsicherte mich mit ihrer
Leidensfähigkeit. Kate Milletts „Sita“ verstörte mich schließlich vollen…
Literarische Vorbilder für ein würdiges Coming-out gab es Anfang der
achtziger Jahre praktisch nicht.
Die Lesbenkrimis aus der Ariadne- Reihe gab es noch nicht, die sogenannte
Frauenliteratur zog ihre Kraft vorwiegend aus der naturgetreuen
Beschreibung manischer Depressionen. Dann fiel mir Rita Mae Browns
„Rubinroter Dschungel“ in die Hände. Plötzlich war klar, daß Lesbischsein
auch anders sein konnte: nicht so missionarisch wie Meulenbelt, nicht so
defensiv wie Offenbach und nicht so selbstzerfleischend wie Millett.
Sondern humorvoll, selbstbewußt, stolz.
Später nannte man das dann „Gay Pride“, Homostolz, aber soweit war man in
meiner Jugend am Niederrhein noch nicht.
Rita Mae Browns Heldin hieß Molly Bolt und wollte etwas vom Leben, unter
anderem mit Frauen schlafen. Ihre Ausgangsbedingungen für ein glückliches
Leben waren beschissen, ihre innere Standfestigkeit war umwerfend: Als
„Bastard“ fehlt dem Adoptivkind ein fester Platz in der Familie, und als
die Eltern nach Florida ziehen, ist die auffallend dunkelhäutige Molly auch
noch dem Rassenhaß der Südstaatler ausgesetzt.
Das alles ficht die halbwüchsige Heldin nicht wirklich an. Inmitten von
Doktorspielen und Dummejungenstreichen fällt ihr schließlich auf, daß es
mehr Spaß macht, Mädchen zu küssen, als unter Jungs zu liegen. Ohne zu
zögern zieht sie aus dieser Erkenntnis ihre handgreiflichen Schlüsse und
läßt sich nun auch noch als „schwul“ beschimpfen. Sie schafft es aufs
College, zur Universität, nach New York. Am Ende des „Rubinroten
Dschungels“ ist Molly fünfundzwanzig, und ihr Leben beginnt.
Rita Mae Browns Erstling mangelt es an jeglichem feministischen
Rechtfertigungszusammenhang. Was ihrer Heldin geschieht, kommt aus dem
Bauch und will ausgelebt werden. Diese Molly Bolt schert sich nicht um
Emanzipation. Sie ist emanzipiert auf die Welt gekommen.
So viel Ichstärke wäre auch schon vor zwanzig Jahren unerträglich gewesen,
würde die Erzählung ihre Erzählerin nicht ständig selbst in Frage stellen.
Ich denke, es war vor allem dieser neue, selbstironische Ton – den sich
heute jeder bessere Lesbenkrimi angeeignet hat –, mit dem Rita Mae Brown in
den verklemmten achtziger Jahren zum Star der westdeutschen Lesbenszene
avancierte.
Auch ihre folgenden Romane fanden sich bald neben jeder lesbischen
Matratze, die etwas auf sich hielt: In „Jacke wie Hose“ und „Wie du mir, …
ich dir“ offeriert Brown ein derart umfassendes Tableau starker und
komischer Frauen, daß man sich fragt, wofür Gott die Männer erschaffen hat.
Gewiß, die älteren Lesben aus den Frauenzentren fanden das alles „ein Stück
weit“ zu unterhaltend (vulgo: unpolitisch), aber gerade das zeichnete diese
Romane für uns Youngsters ja aus: Rita Mae Brown rechtfertigte sich nicht.
Auch nach der Lektüre ihrer siebenhundert Seiten langen Biographie bin ich
mir immer noch nicht sicher, ob ich mich in Rita Mae Brown seinerzeit
womöglich getäuscht habe. Aus einer Ansammlung wilder Molly-Bolt-
Übertragungen und den mageren Informationen der Klappentexte entstand
damals vor meinem verklärten Auge ein heroisches Bild: Brown war
„nacheinander aktives Mitglied von NOW (,National Organization of Women'),
der ,Furien', der ,Rotstrümpfe' und ,Radicallesbians'“ (so der Rowohlt
Verlag voller Stolz über seine Autorin).
Und selbstverständlich hatte diese Frau ihren Erstlingsroman, „Rubinroter
Dschungel“, im ersten kollektiven Frauenverlag der USA verlegt. Ich
addierte all diese Auskünfte aus dem Klappentext mit einem atemberaubenden
Portraitfoto in meiner Phantasie zu einer ausgesprochen attraktiven und
aktiven Lesbe hoch und verehrte dieses Produkt. Nun stellt sich heraus: Das
Foto entstand mühsam im Windkanal, und das Image der Powerlesbe ist der
Südstaatenlady selbst nicht recht. Weder sexuell noch politisch.
Wer bis zu der Erkenntnis gelangen will, daß Rita Mae Brown eine
konservative Landfrau mit bisexuellen Neigungen ist, muß sich zunächst
durch zweihundert Seiten Kindheitserinnerungen quälen, die vor allem eines
sagen wollen: Dieses Kind ist zwar adoptiert. Aber es ist klug, eigensinnig
und deshalb großartig. Sage noch einer, Ms. Brown habe ihren eigenen
„Bastard-Komplex“ nicht in den Griff gekriegt.
Etliche selbstverliebte Erinnerungsfetzen wie „Ich liebte es, mit der
Sprache zu jonglieren, und machte ständig Witze und Wortspiele“ lassen
einem beim Lesen dann doch den Atem stocken.
Hatte man in der Benimmschule etwa vergessen, der kleinen Rita
beizubringen, daß Eigenlob stinkt? Tröstlich, daß uns in diesen frühen
Kapiteln auch der Urquell Brownscher Inspiration begegnet: Mutter Julia und
ihre Schwester Mimi halten allen Vergleichen mit ihren Heldinnen aus „Jacke
wie Hose“ stand, für die sie die Vorbilder abgaben.
Freilich geht mit diesem partiellen Lesegenuß gleich die erste Enttäuschung
einher: Entweder die Biographin hat ihre Erinnerungen heftig geschönt und
dem wahren Leben manche Pointe hinzugedichtet, oder ihre phantasievollen
Romane waren womöglich nur flüchtig redigierte Notizen aus der
Wirklichkeit.
Sei's drum. Etwas ganz anderes macht die Lektüre von „Rubinrote Rita“ so
desillusionierend: Die Selbstironie, mit der Rita Mae Brown ihre erste
Ich-Erzählung in Buchform zum Schweben brachte, hält sie bei ihrer eigenen
Geschichte nicht einmal ansatzweise durch. Von ihrer eigenen Bedeutung
berauscht, reiht Brown planlos Anekdote an Anekdote, spart nicht mit
Komplimenten in eigener Sache – und damit nicht mit Langeweile.
Wäre diese zähe Vorgeschichte nicht – die eine wohlmeinende Lektorin wohl
beherzt auf ein Normalmaß hätte kürzen müssen –, man würde wohl Browns N…
Yorker Aufbruchzeit 1968 mit naivem Interesse verfolgen. Immerhin muß diese
Frau in stürmischen Zeiten im Herzen des Orkans gewesen sein. So aber hat
sich längst der Stachel des Mißtrauens eingegraben: Kann es wirklich sein,
daß die gesamte US-Frauenbewegung ein Haufen bornierter
Mittelschichtsschranklesben war, die von der Welt nichts verstanden, weil
sie zuviel theoretisch dachten und zuwenig mit den Händen arbeiteten? Wie
schon in den Jahren zuvor, weiß Ms. Brown mal wieder alles besser.
„Überdies“, so Brown grüblerisch, „umweht mich ein Hauch von Charisma. …
weiß nicht, wie ich das gekriegt hab'. Ist es so was wie Schnupfen? Kann
man es sich einfangen, wenn man draußen im Regen steht? Ich weiß nur, daß,
wenn ich aufstehe und rede, die Menschen zuhören. Sie mögen mir nicht
zustimmen. Himmel, das tun sie selten, weil ich ihnen gewöhnlich zwei, drei
Schritte voraus bin – im Gleichschritt hätte ich weit größere Wirkungen
erzielt.“
So hübsch sich das „Who's who“ derer liest, denen die charismatische Rita
in den Politzirkeln New Yorks – oder später in den verschwiegenen
Homozirkeln Hollywoods – immer voraus war, selbst als Klatschroman taugt
„Rubinrote Rita“ nicht. Dazu gibt sich die Südstaatenlady dann doch zu
zugeknöpft.
Auch mit dem Intimleben – letzter verzweifelter Angelpunkt des
Leseinteresses! – will es nicht so recht klappen: Die Männergeschichten
bleiben konsequent namenlos, die Frauenaffären merkwürdig blaß. Natürlich
hat jede ordentliche Lesbe längst Kenntnis von der Anekdote, daß die toughe
Rita Mae Brown ihrer ehemaligen Lebensgefährtin Martina Navratilova zum
Abschied mit einer Pistole das Heckfenster ihres BMW durchschoß.
Aber einer Frau, die ihre Partnerschaften im kernigen Henry-Miller-Ton
beschreibt (“Meine Beziehung mit Elaine war nur von kurzer Dauer, doch ich
war nicht traurig. Das war ich selten, weil ich die romantische Liebe weder
verstand noch verstehen wollte“ oder: „Ich brach die Beziehung ab. Typisch
für mich. Ich faßte den Entschluß, ohne mit Beth darüber zur reden, weil
ich zu wissen glaubte, was für sie und für mich das Beste war“), traut man
so viel heißblütiges Temperament eigentlich gar nicht zu.
Immer wieder hat sich Brown öffentlich dazu bekannt, lesbisch zu sein. Sie
tat dies nie in einfachen Situationen. Man muß anerkennen, daß sie sich um
der Wahrheit willen vom College verweisen ließ und den Mut hatte, in der
traditionell lesbenfeindlichen Frauenbewegung zu ihren Vorlieben zu stehen.
Auch als sie mit Martina Navratilova auf der Bühne des internationalen
Tenniszirkus erschien, war ein lesbisches Paar für die US-Öffentlichkeit
noch keine Selbstverständlichkeit.
Heute lebt die Autorin zurückgezogen auf ihrer Farm in Charlottesville,
Virginia, und pflegt ihren ganz privaten Großgrundbesitzerinnentraum.
Sicher ist da noch etwas geblieben von der radikalen Rita. Die Poloturniere
sind „women only“, die Fuchsjagden überlebt sogar der Fuchs.
Aber längst gilt Rita Mae Browns Liebe allem, was vier Beine hat und nicht
(wider)sprechen kann. Zur Heldenverehrung taugen diese Memoiren wohl nicht
mehr, so wie die Katzenkrimis aus ihrer Feder zwar ein veritabler Kassen-,
aber kein Klassenerfolg mehr sind. Es ist schon ein Treppenwitz der
Geschichte, daß ausgerechnet eine Frau, die sich auf ihre homosexuellen
Neigungen rein gar nichts einbildet, zum Vorbild für viele Lesben werden
konnte.
Bei Lichte betrachtet, hätten wir aber auch selbst drauf kommen können.
Denn wir haben Rita Mae Brown doch gerade dafür geliebt, daß sie so
unideologisch und naturbehauen daherkam und sich ausschließlich ihren
eigenen Gefühlen verpflichtet fühlte. Dann darf man sich auch nicht
wundern, wenn am Ende der hochgekochte homostolze Überbau fehlt. Nein, ich
glaube, ich habe mich nicht in Rita Mae Brown getäuscht. Nur: Im
„Rubinroten Dschungel“ liest es sich viel hübscher.
Klaudia Brunst, 34, Chefredakteurin der taz, hatte ihr lesbisches
Coming-out Weihnachten 1983. 1985 zog sie aus dem Rheinland nach
West-Berlin. Sie lebt heute mit ihrer Freundin samt Hund und Katze in
Kreuzberg
12 Dec 1998
## AUTOREN
Klaudia Brunst
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