# taz.de -- Was sollen die letzten Worte sein | |
> Die in Hamburg geborene Dichterin May Ayim prägte die schwarze Bewegung | |
> in Deutschland. 1996 beging sie Selbstmord. Der neue Film „Hoffnung im | |
> Herz“stellt ihr Leben vor. Ein Porträt ■ Von Silke Mertins | |
In Hamburg kam die afro-deutsche Dichterin May Ayim 1960 zur Welt. Der | |
Vater darf sie nicht mit nach Ghana nehmen. Die Mutter will ihr Kind nicht | |
behalten. Mit zwei Jahren holt eine weiße Pflegefamilie sie aus einem Heim | |
in Barmbek-Uhlenhorst. May erlebt eine bedrückende Kindheit. Später wird | |
sie zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der schwarzen Bewegung in | |
Deutschland. Ihre politische Arbeit und ihre Gedichte finden internationale | |
Beachtung. Nach einer psychischen Erkrankung nimmt sich die 36jährige im | |
August 1996 das Leben. Der soeben fertiggestellte Film „Hoffnung im | |
Herz“von Maria Binder stellt die Lyrikerin vor. | |
May Ayims Muttersprache war nicht Mutters Sprache, denn die Mutter sprach | |
nicht mit ihr. Am Anfang war kein Wort. Auch später hat sie den Kontakt zu | |
der Frau, die sie zur Welt brachte und noch heute in Hamburg lebt, | |
vergeblich gesucht. Dennoch wurden Worte Mays große Leidenschaft. Und kein | |
Erfolg bedeutete ihr soviel wie die Veröffentlichung ihres ersten | |
Gedichtbands blues in schwarz weiss. | |
„An dem Tag, als ich geboren wurde, kamen viele Geschichten meines Lebens | |
zur Welt“, schrieb May Ayim in dem von ihr mitherausgegebenen Buch Farbe | |
bekennen. Für die erste dieser Geschichten braucht die Dichterin nur wenige | |
dürre Worte: „der mann brachte/ die frau zum kind/ die frau brachte das | |
kind/ ins heim.“ | |
Ihr Vater wollte sie gerne zu einer kinderlosen Schwester nach Ghana | |
bringen, durfte seine Tochter jedoch nicht mitnehmen. An seinem | |
nichtehelichen Kind hatte er, zumal als Afrikaner, keine Rechte. Als ein | |
weißes Ehepaar sie aus einem Kinderheim in Barmbek-Uhlenhorst holte, konnte | |
die Zweijährige weder stehen noch sprechen noch feste Nahrung zu sich | |
nehmen. Sie gaben dem Mädchen ihren Familiennamen: Opitz. Erst später nahm | |
May den Namen ihres Vaters Emmanuel Ayim an. | |
Weil sie als „reinrassiger Mischling“- so bezeichnen die Pflegeeltern sie | |
noch heute – ohnehin schon auffalle „wie ein bunter Hund“, sollte das | |
Betragen der kleinen Brigitte Sylvia Gertrud, Rufname May, vorbildlich | |
sein. Mit Strenge wollte die Pflegefamilie aus der Tochter einer in ihren | |
Augen mißratenen Deutschen und eines ghanaischen Medizinstudenten ein | |
Musterkind machen, das alle „rassistischen Vorurteile“Lügen straft. | |
Beklommen denkt May an ihre Kindheit zurück. „Angst gab es genug. | |
Wahrscheinlich Platzangst. Oder Angst zu platzen. Angst, unter Schlägen und | |
Beschimpfungen zu zergehen und sich nicht mehr wiederfinden zu können.“Noch | |
Jahre später, als May längst durch ihre Veröffentlichungen bekannt und | |
international eine gefragte Autorin war, diffamierten die Pflegeeltern ihre | |
wachsende Bedeutung in der „Black Community“als Spätfolgen einer | |
frühkindlichen Störung und krankhaften Drang, ihre Hautfarbe und | |
afro-deutsche Identität zu bewältigen. | |
„Mein Vaterland ist Ghana/ meine Muttersprache ist deutsch, die Heimat | |
trage ich in den Schuhen“, schrieb May. Kategorien lehnte sie mit fast | |
orthodoxer Inbrunst ab. Als Mitbegründerin der „Initiative Schwarze | |
Deutsche“will sie der Blut-und-Boden-orientierten Republik vor allem eines | |
klarmachen: Die Vorstellungen vom „leberwurstgrauen“Deutschland, von einem | |
homogenen, monokulturellen Nationalstaat gehören auf die Müllhalde der | |
Geschichte. | |
Mays erster Besuch bei ihrem Vater, der sie in ihrer Kindheit gelegentlich | |
bei der Pflegefamilie besuchte und inzwischen als Medizinprofessor in | |
Nairobi, Kenia, arbeitete, legte nicht den Grundstein für eine innige | |
Vater-Tochter-Beziehung. Man hat sich kaum etwas zu sagen, bleibt sich | |
fremd. May bedeutet es viel, daß es ihn gibt, ihre Spurensuche ein | |
konkretes Gesicht hat, aber sie glorifiziert ihn nicht. | |
Erst Jahre später faßte May den Entschluß, sich Ghana, das Heimatland ihres | |
Vaters, anzusehen. Ihr erster Eindruck: laut, heiß, fremd. Auch hier die | |
Frage: „Woher kommst du?“Allerdings ohne den in Deutschland so oft gehörten | |
Zusatz: „Wann gehst du zurück?“Die GhanaerInnen sind dunkler, sie sprach | |
ihre Sprache nicht, kannte die Kultur nicht, man rief ihr „Weiße“hinterher. | |
Daß sie auch hier nicht ganz dazugehörte, machte ihr zu schaffen. | |
Nicht Ghana, sondern Südafrika wird das Land, in dem May sich am wohlsten | |
fühlte und wo sie sich vorstellen konnte, längere Zeit zu leben. Nicht nur, | |
weil es das Herkunfsland ihrer großen Liebe ist, sondern auch, weil sie „in | |
Südafrika überhaupt nicht auffiel“, erinnert sich Mays Freundin, die mit | |
ihr dort unterwegs war. Schwarzsein hat viele Schattierungen in Südafrika; | |
die weniger ethnisch gebundene und stark politisierte urbane „Black | |
Community“kam ihren Bedürfnissen und Lebensvorstellungen sehr nah. | |
May hatte eine „natürliche Autorität“, wußte sehr genau, was sie konnte, | |
und verstand es, „den richtigen Ton zu treffen“, an ihrer Persönlichkeit | |
„kam man einfach nicht vorbei“, erinnern sich ihre Freundinnen und | |
ehemaligen KollegInnen. Nie hätte sie jemanden angeschnauzt. Das wäre nicht | |
ihre Art gewesen. Gelassen, höflich und mit Gedichten hielt sie anderen den | |
Spiegel vor: „exotik. nachdem sie mich erst anschwärzten/ zogen sie mich | |
dann durch den kakao/ um mir anschließend weiß machen zu wollen/ es sei | |
vollkommen unangebracht/ schwarz zu sehen.“ | |
1984 ließ May sich im kosmopolitischen Berlin nieder, wo eine Afro-Deutsche | |
nicht herausstach. Doch als die fallende Mauer Nationalismus aufwirbelte, | |
war es mit der Freiheit der Andersaussehenden vorbei. Gewalt gegen | |
Minderheiten überschattete die viel gefeierte Wende. Mit scharfen Worten | |
begleitete May den Prozeß der deutschen „Sch-Einheit“. Was sie erlebe, sei | |
„deutschland im herbst“, und „mir graut vor dem winter“. | |
Als May anfing, sich mit Rassismus wissenschaftlich zu beschäftigen, war | |
der Begriff noch ein Unwort, das in die Zeit des Nationalsozialismus | |
gehörte. „Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“, lehnte Mays | |
Professor in Regensburg ihr Pädagogik-Diplomthema ab. Sie suchte sich eine | |
willige Prüferin in Berlin. Ihre Forschung, die erste zur schwarzen | |
Geschichte in Deutschland, wurde Grundlage des Buches Farbe bekennen. | |
Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. | |
Ob als Studentin, Lehrbeauftragte oder später als Studienberaterin – fast | |
immer war May die einzige Schwarze. Diskriminierende Begriffe abzulehnen, | |
genüge meist nicht. Von Schwarzen werde „verlangt, daß sie mit Geduld und | |
Diplomatie erklären, warum das so ist, und oftmals müssen sie sich auch | |
dann noch den Vorwurf gefallen lassen, zu 'empfindlich' zu sein“, schrieb | |
sie. | |
Gleichzeitig war sie in der deutschen Öffentlichkeit vor allem als | |
Vertreterin einer unterdrückten Minderheit gefragt. So wichtig es ihr auch | |
war, ihre Stimme gegen rassistische Strukturen, Sprache und Taten zu | |
erheben, so sehr kränkte es sie auch, allzu oft auf Schwarzsein und | |
Identitätssuche reduziert zu werden. Nicht das Universal-Menschliche, die | |
Liebesgedichte, die Alltagsreime wollte man von ihr hören, sondern vielfach | |
lieber die Verletzungen, Probleme und Diskriminierungen. Nicht in | |
Deutschland, sondern in Südafrika wurde sie nach ihrem Selbstverständnis | |
zurDichterin. | |
Dabei gehörten gerade auch die Liebesgedichte zu Mays großen Stärken. Mit | |
den Versen „(...)ich küsse mich/ nicht mehr deinen körper entlang/ durch | |
deinen nabel hindurch/ in deine träume hinein/ (...) ich träume nicht mehr/ | |
in einsamen stunden/ dein Gesicht in die zeit (...)“betrauerte sie ihre | |
Liebe. | |
Immer wieder nahm May sich vor: Ich warte nicht mehr, bis er das nächste | |
Mal kommt. Ich teile ihn nicht mehr mit einer anderen Frau. Ich weine ihm | |
nicht nach. Doch der Kummer rührte auch an alte Wunden. Ausgerechnet mit | |
einer weißen Frau um einen schwarzen Mann konkurrieren zu müssen, bedrückte | |
May. Hatte sie nicht viel mehr als sie mit ihm gemeinsam? Stimmte es nicht, | |
daß viele Erklärungen zwischen ihnen überflüssig waren? Was hatte die | |
andere, was er bei ihr nicht finden konnte? | |
Daß May die Existenz der anderen im Leben des Geliebten und die Demütigung | |
der Dreiecksbeziehung irgendwann zu akzeptieren begann, bestürzte manche | |
ihrer Vertrauten. Es komme ihr vor, erzählt eine Freundin im Rückblick, als | |
habe May sich nicht das Recht herausnehmen wollen, jemanden ganz für sich | |
allein zu beanspruchen. Als stünde ihr ein ganzer Mensch und seine | |
ungeteilte Liebe gar nicht zu. | |
In den letzten Monaten ihres Lebens arbeitete May wie besessen. Essen, | |
Trinken, Schlafen? Das hatte Zeit. Tage- und nächtelang beschäftigte sie | |
sich fast nur mit der Organisation des jährlich in Berlin stattfindenden | |
„Black History Month“. Ein euphorischer Höhenflug, der sie in ein tiefes | |
Loch fallen ließ. Ihre FreundInnen fühlten sich hilflos. Was sollten sie | |
tun? Sie in die Psychiatrie, von der May selbst sagte, daß es kein Ort frei | |
von Rassismus sei, einweisen lassen? „Die Psychose war wie ein Vulkan“, | |
erinnert sich eine. Alles brach plötzlich aus ihr heraus, auch die Schreie. | |
Es blieb nur die stationäre Behandlung. | |
Weil sie über frühere Sehstörungen berichtete, wurde sie in die Neurologie | |
verlegt und auf multiple Sklerose untersucht. Aus unerklärlichen Gründen | |
hatte man die Medikamente gegen ihre Psychose, Neuroleptika, abrupt | |
abgesetzt. Als die Ärzte ihr die Diagnose MS mitteilten, stand ihr keine | |
psychologische Unterstützung zur Seite. Mit dem Wissen um eine unheilbare | |
Krankheit ließ man die psychisch kranke May nach Hause gehen. | |
Sieben Monate Seelenqualen, ein Selbstmordversuch mit Tabletten, ein | |
weiterer Psychiatrieaufenthalt – Mays Lebenswille war gebrochen. Nichts | |
konnte ihren Fall in die Tiefe bremsen. Sie fürchtete, daß sie den Weg zur | |
ihrer Persönlichkeit nicht mehr würde zurückfinden können. „was sollen die | |
letzten worte sein“, schrieb sie in dem in dieser Zeit entstandenen Gedicht | |
„abschied“. | |
Zu vieles kam zusammen, als sie sich am 9. August 1996 entschloß, ihrem | |
Leben mit einem Sprung aus dem 13. Stock ein Ende zu bereiten: Die schwere | |
Krankheit, Erinnerungen, eine unendliche Traurigkeit, eine unglückliche | |
Liebe und eine deprimierende deutsche Gegenwart. | |
May Ayim, Werke: blues in schwarz-weiss – Gedichte (1995), nachtgesang – | |
Gedichte (1997), Farbe bekennen – Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer | |
Geschichte (1986), Grenzenlos und unverschämt – politische Texte (1997); | |
Alle beim Orlanda Frauenverlag in Berlin erschienen. | |
Hoffnung im Herz – ein Film von Maria Binder über May Ayim, 1997, zu kaufen | |
(ab 70 Mark) oder zu leihen (ab 35 Mark) bei Orlanda (Tel.: 030/2163696) | |
23 Dec 1997 | |
## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
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