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# taz.de -- Was passiert mit Türkiyemspor?: Pleite als Chance
> Der Fußballclub ist insolvent, verlässt die Oberliga und kehrt nach
> Kreuzberg zurück. Für den Nachwuchs des Multikulti-Clubs könnte sich das
> auszahlen.
Bild: Brücken bauen als Aufgabe: Der Club verkaufte während der WM 2008 deuts…
Im Januar 2012 kapitulierte Türkiyemspor. Der Kreuzberger Fußballclub, 1978
gegründet, Symbol einer im Sport geglückten Integration, reichte den
Insolvenzantrag ein, weil die Schulden ihn zu erdrücken drohten. Aber die
Hiobsbotschaft war erwartet worden: Der Verein, der einst Tausende Türken
und Deutsche ins Katzbachstadion lockte, war ein Schatten seiner selbst.
Zuschauer und Sponsoren machten sich rar, „Liebling Kreuzberg“ hatte
abgewirtschaftet.
Der vorläufige Insolvenzverwalter Stefan Laboga hat Türkiyems Männer vom
Spielbetrieb abgemeldet: „Der Rückzug der ersten Mannschaft aus der
Oberliga sorgt für eine dringend benötigte finanzielle Entlastung. Die
Ausgaben für Fahrtkosten, Stadionmiete und Gehälter waren für den Verein
existenzbedrohend.“ Bleibt die Frage, ob Berlin den Vorzeigeclub überhaupt
noch braucht. Zuletzt schien es, als genieße die Kreuzberger Kickergilde
überregional, ja international einen besseren Ruf als in der Heimatstadt.
Anders als etwa beim 1. FC Union („Bluten für Union“) oder Tennis Borussia
(„We save TeBe“), die um ihre Existenz kämpften, fehlten bei Türkiyemspor
die Fan-Initiativen zur Rettung.
Murat Dogan gewinnt dem Insolvenzverfahren sogar Positives ab. „Wir sehen
es als Riesenchance, dass man sich auf die Basis besinnt“, sagt der
Vorsitzende des Fördervereins von Türkiyemspor. Der Leiter der
Frauenabteilung, die einen rasanten Aufschwung nimmt und wie die Jugend
trotz Insolvenzverfahrens am Spielbetrieb teilnimmt, würde Türkiyemspor am
liebsten auf eine andere Existenzgrundlage stellen. „Wir sind vom
Massenanziehungspunkt für türkische Fans eher zu einem sozialen Verein
geworden“, glaubt er.
Längst kümmere man sich verstärkt um Probleme von Kindern und Jugendlichen,
von der Hausaufgabenhilfe bis zur Freizeitgestaltung. „Türkiyemspor“, so
Dogan, „ist ein gesellschaftlicher Faktor geworden. Deshalb sind wir
wichtig für Berlin.“
Rund 500 aktive sowie 100 passive Mitglieder zählt der Club. Über ein Büro
verfüge man erst seit ein paar Wochen wieder, sagt Robert Claus vom
Förderverein. „Unser Büro waren der Kofferraum des Autos und ein Handy“, …
Dogans Stellvertreter. Claus weiß um das Dilemma des Vereins: „Türkiyem hat
strukturelle Probleme. Ein Verein, der eine Infrastruktur hat, kann das
leichter auffangen.“ Der Förderkreis hat sich deshalb vorgenommen, ein
Netzwerk zu knüpfen, in das Behörden und Politik stärker eingebunden werden
sollen. Zuletzt hat es Türkiyem den Sportämtern nicht leicht gemacht mit
seiner schwindelerregenden Rotation in der Führungsetage.
Jetzt geht es notgedrungen vom Jahnsportpark, wo die Oberliga-Herren
antraten, zurück nach Kreuzberg. Zwischenzeitlich trainierten
Türkiyemspor-Teams auf der Willi-Sänger-Anlage in Treptow oder in der
Neuköllner Hasenheide. Der Förderverein sucht neben Sponsoren auch Leute,
die sich auf Vereinsmeierei verstehen. „Wir haben auf politischer Ebene
schlecht kommuniziert“, sagt Dogan.
Das überrascht – wurde Türkiyemspor doch als Aushängeschild für
Multikulturelles mit Integrationspreisen überschüttet, sogar vom DFB. Doch
im Alltag musste der junge Club feststellen, dass viele ältere Spreevereine
in der sportpolitischen Landschaft fester verwurzelt sind. Das Networking,
etwa um an Fördertöpfe heranzukommen, wollen die Kreuzberger jetzt
forcieren.
Bei Türkiyemspor hofft man auf einen guten Ausgang des Insolvenzverfahrens,
das sich vermutlich noch bis zum Winter zieht. Am liebsten sähe der
Förderverein einen sportlichen Neuanfang mit der ersten Männermannschaft in
der Berlin-Liga, eine Klasse unter der Oberliga. Allerdings sollten dort
vermehrt Eigengewächse aus der Nachwuchsarbeit eingesetzt werden und nicht
kostspielige Verstärkungen von außerhalb. „Unsere Zukunft wird sein, dass
der Schwerpunkt auf die Jugend gesetzt wird“, sagt Dogan. Jetzt warten sie
bei Türkiyem, dass diese Zukunft losgehen kann.
28 Mar 2012
## AUTOREN
Jürgen Schulz
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