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# taz.de -- War Gott ein Bildhauer?
> Tanzspuren in Gips und auf Papier: Das Essener Folkwang Museum will mit
> „Die Maler und ihre Skulpturen“ den Streit um die Vormacht eines Mediums
> beilegen  ■ Von Stefan Koldehoff
Der Streit der Gattungen ist noch älter als die moderne Kunstgeschichte.
Bis weit ins Mittelalter hinein läßt sich der „Paragone“ genannte Disput …
die Frage verfolgen, ob die Bildhauerei oder die Malerei künstlerisch höher
zu bewerten sei. Raum, Wolken, Licht – alles Immaterielle lasse sich nicht
in der Skulptur festhalten, lautete ein Hauptargument für die malende
Zunft. Gott selbst sei der erste Bildhauer gewesen, hielten dem seine
vermeintlichen NachfolgerInnen entgegen, die um die eigene Position
fürchteten. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts fand der Streit um die
Rangordnung ein Ende: Théodore Géricault schuf für sein monumentales „Floß
der Medusa“ ein kleines plastisches Modell, Honoré Daumier formte
Terracottaköpfe als Vorstudien zu den Karikaturen der „Parlamentarier“.
Beide nutzten die dreidimensionale Skulptur zur Erprobung von Lichtwirkung
und Plastizität der später nur noch zweidimensionalen Bilddarstellung.
Die Frage nach der wiedererkennbaren Handschrift wichtiger Künstler der
klassischen Moderne in deren Skulpturen steht nun im Zentrum einer
Ausstellung im Essener Folkwang Museum, die erstaunlicherweise die erste
umfassende Werkschau zu diesem naheliegenden Thema ist. Ausstellungsleiter
Gerhard Finckh konzentrierte sich dabei bewußt auf solche Künstler, die
ihren eigenen Schwerpunkt in der Malerei sehen und nur gelegentlich auch
als Bildhauer tätig waren. Joseph Beuys und Alberto Giacometti fehlen
deshalb – sie verstanden sich selbst als Bildhauer. Von den rund 200
ausgestellten Werken von 50 Künstlern stammt auch keines von einer Frau:
Käthe Kollwitz und Meret Oppenheim fielen durchs Raster.
Trotzdem funktioniert die Essener Ausstellung: Ausgehend von Edgar Degas,
der als erster Maler die Skulptur nach deren Nutzbarmachung im 19.
Jahrhundert von ihrer Zweckgebundenheit befreite, hat Finckh einen Parcours
durch die Kunst der Moderne entwickelt, der spannende Wechselbeziehungen
aufzeigt. So kann man in Essen beispielsweise das plastische Werk von
Edvard Munch, Egon Schiele, Ferdinand Hodler oder Franz Marc entdecken.
Hodlers Gipsbüste der kranken Valentine Darel etwa wirkt wie die kongeniale
Fortschreibung der Gemäldereihe zum selben Thema mit anderen künstlerischen
Mitteln.
Überzeugen kann die Ausstellungsidee allerdings nur dort, wo sich zwischen
den ausgestellten Skulpturen und den jeweils dazugehängten Gemälden auch
tatsächlich inhaltliche Bezüge herstellen lassen. Das ist bei Edvard Munch
der Fall, der sein „Weinendes Mädchen“ von 1907 oder die „Arbeiter im
Schnee“ von 1910 im jeweils selben Jahr, in dem die Gemälde entstanden,
auch noch einmal plastisch modellierte.
Daß auch der Weg hin zur Abstraktion nicht gegen die Parallelität von
Malerei und Bildhauerei spricht, belegen Arbeiten von Yves Klein, Willem de
Kooning, Cy Twombly, Lucio Fontana und vor allem von Jackson Pollock, der
in Essen leider nur mit zwei gegenständlichen Skulpturen vertreten ist.
Sinnvoll wäre die Präsentation seiner nur im Katalog abgebildeten Bronze
„Untitled“ gewesen, die die Strukturen seiner Drip- paintings in der
dritten Dimension fortsetzt.
Ohnehin ist die wesentliche Schwäche der Folkwang-Ausstellung die zu starke
Beschränkung auf die eigene Sammlung. Allzu vielen der ausgestellten
Plastiken hängen Gemälde aus Essen gegenüber, die trotz aller Versuche, in
den Katalogtexten keinerlei inhaltliche Bezüge aufweisen. Renoirs Bronze
einer stillenden Mutter etwa hängt aus eigenem Hause neben der
hingeschmierten Ölskizze „Stilleben mit Äpfeln“ das langweilige „Portra…
der Frau Osthaus“ zur Seite; die Hängung dieser unbedeutenden Massenware
kann bestenfalls als ironischer Kommentar zur bloßgelegten Oberweite der
stillenden Mutter gemeint sein. Ähnlich zusammenhang- und belanglos wurden
Matisses Rückenakt-Reliefs mit einem Blumenstilleben oder Dalis Dante-Kopf
von 1964 zusammengezwungen. Auf diese Weise hat das Museum zwar Transport-
und Versicherungskosten gespart; die Ausstellung ist damit aber auch
inhaltlich billiger geworden.
Der italienische Futurismus mit Boccionis zentraler Skulptur „Einzigartige
Formen der Kontinuität im Raum“ findet in Essen ebensowenig statt wie die
von Robert Rauschenberg endlich auch formal vollzogene Synthese der
Gattungen: Seine „Combine paintings“ brachten plastische Objekte direkt auf
die Leinwand und Gemälde in die Skulptur. Statt Rauschenberg zeigt die
Ausstellung die Skulpturparodien Andy Warhols und Sigmar Polkes und führt
vorbei an Baselitz und Immendorff schließlich hin zu Gerhard Richter.
Bei ihm scheint sich der Kreis zu schließen. Sein „Spiegel“ (1986), vor
allem aber die „12 Röhren“ von 1965/68 markieren – wie schon zu Beginn b…
Géricault und Daumier – den Versuch, malerische Probleme in der dritten
Dimension zu lösen, um sie dann auf die Malerei rückzuübertragen. Richter
malte den jeweils 170 Zentimeter hohen grauen Plastikröhren Schatten auf
und gibt auf diese Weise die eigentlich auszuprobierende Lichtwirkung
selbst vor. Die greifbare Realität der Plastik und die malerische Illusion
sind nun endgültig zur Einheit verschmolzen.
„Die Maler und ihre Skulpturen – Von Edgar Degas bis Gerhard Richter“.
Museum Folkwang, Essen, bis 4.1. 1998. Katalog: DuMont Verlag, Köln, 312
S., 48 DM
29 Oct 1997
## AUTOREN
Stefan Koldehoff
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