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# taz.de -- Waffenverbot auf der Reeperbahn: Ohne Butterfly auf dem Kiez
> Hamburg hat Angst vor den "gefährlichen Klassen": Auf der Reeperbahn wird
> ein rigoroses Waffenverbot durchgesetzt. Dem ungetrübten Konsum zuliebe.
Bild: Wer auffällt, wird ausgesiebt und gefilzt.
Wer in der jüngsten Zeit an Wochenendnächten die Reeperbahn aufsucht, kann
Szenen beobachten, die es sonst nicht mal anlässlich des jährlichen
Lokalderbys von HSV und FC St. Pauli zu sehen gibt. An jeder Straßenecke
werden Gruppen junger Männer von blau uniformierten Ordnungshütern in
Schach gehalten und mit Metalldetektoren abgesucht. Musical- und
Schmidt-Theater-Besucher werfen verstohlene Blicke und huschen schnell
weiter. "Hier wird nach Waffen gesucht", tuschelt man sich aufgeregt zu.
Lange vor den jüngsten Jugendgewalt-Diskussionsexzessen, in deren Verlauf
erst Hessens Ministerpräsident Roland Koch eine sich fürchtende schweigende
Mehrheit ausmachte und zuletzt Frank Schirrmacher in der Frankfurter
Allgemeinen antideutsch eingestellte "Jugendliche mit
Migrationshintergrund" als eigentliche Bedrohung der Deutschen
identifizierte, begann Hamburgs regierende CDU leise zuzupacken: Bereits
seit Anfang Dezember adressieren Warnschilder im aufdringlichen
Schwarz-Gelb US-amerikanischer Gefahrenzeichen rund um die Reeperbahn zwei
verschiedene Gruppen von Landeseinwohnern, die Gefährlichen und ihre
potenziellen Opfer. "Waffen verboten", informiert die obere Hälfte der
Schilder den einen, gefährlichen Bevölkerungsteil - ergänzt durch vier
Piktogramme. Allen anderen verheißt die untere Hälfte der Schilder: "Zu
Ihrer Sicherheit wird dieser Bereich videoüberwacht". Nun ist es nicht etwa
auf der Vergnügungsmeile extra doll verboten, Waffen mit sich zu führen.
Vielmehr hat Udo Nagel, ehemals Schill-Partei und heute parteiloser
Innensenator, kurzerhand alles Erdenkliche zur Waffe erklärt,
eingeschlossen das Schweizer Taschenmesser oder die Schreckschusspistole.
Wer von der Polizei seiner Gangart oder dunklen Haarfarbe wegen als jemand
ausgemacht wird, der dies Erdenkliche mit sich führen könnte, mithin für
kontrollwürdig befunden wird, den lässt er nun mit Platzverweisen aus der
Verbotszone scheuchen und mit Bußgeldern überziehen. Nicht wenige der
Betroffenen wohnen im die Reeperbahn umgebenden Stadtteil St. Pauli.
Die Gewerbetreibenden fordern ein derartiges Verbot zum Schutz der jährlich
2,5 Millionen Besucher ihrer sündhaft teuren Meile bereits seit Jahren,
angeführt von Schmidt-Theater-Besitzer und Vereinspräsident des FC St.
Pauli Corny Littmann, der längst auch über den anliegenden Spielbudenplatz
privat herrscht und vergangenes Jahr vorschlug, die dort neu errichteten
Bühnen via Sprinkleranlage vom Schmutz darauf pennender Punks befreien zu
lassen. Inzwischen dienen die meist unbespielten überdachten Klötze als
Freiluftbars. "Für die Außengastronomie ist die Benutzung von Speisemessern
zulässig", amüsiert ein Polizeiflyer zum neuen Waffenverbot die Gastwirte
des Viertels.
Gar nicht amüsiert sind die Wirte hingegen darüber, dass der Geist, den sie
gerufen haben, nun ein Verbot von Glasflaschen im Außenbereich des
Kontrolldistrikts anstrebt. Auch Bierflaschen zählen nämlich zu Udo Nagels
Erdenklichem. Sehen Kneipiers sowie Kiosk- und Tankstellenbesitzer nicht
freiwillig davon ab, die potenziellen Waffen unters Volk zu bringen, plant
Nagel für den Mai, mit drei Monaten Abstand zu den Hamburger Senatswahlen
im Februar, ein entsprechendes Gesetz. Auch über ein Alkoholverbot wird
bereits debattiert. Man darf gespannt sein, welch prohibitionistische
Formen die Angst vor den gefährlichen Klassen in Hamburg noch annehmen
wird.
"Ein weiterer Baustein für die Sicherheit der Menschen in unserer Stadt"
seien die geplanten Maßnahmen, brüstete sich der Innensenator im September,
nachdem er diese vom Bundesrat durch eine Änderung des Waffengesetzes hatte
absegnen lassen. Vier Monate später lässt sich die Hamburger
Staatsanwaltschaft dabei ertappen, wie sie konfiszierte Messer über die
Internetseite des Zolls wieder an den Jungmann bringt.
Das dürfte allerdings den Blogger beruhigen, der sich mit anderen im
Internet ernsthaft ums Wochenendvergnügen sorgt und sein Taschenmesser
bisher immer am Gürtel mit sich trug: "So kann man auch am Einlass eines
Punkkonzerts das Messer abgeben. Dann suchen die Einlassgorilladeppen nicht
weiter und man kann problemlos seine Suchtmittel durch die Kontrolle
bringen." An Taschenmessern wird es auf der Reeperbahn wohl weiterhin nicht
mangeln.
CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
22 Jan 2008
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
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