# taz.de -- Von wegen neutraler Benutzer | |
> ONLINE-LEXIKON Darf man mit dem Schreiben von Wikipedia-Artikeln Geld | |
> verdienen? Ein Fall in England bringt die Diskussion wieder in Gang | |
Es war ein scheinbar unproblematisches neues Projekt, das die Wikimedia | |
Foundation im Juli ankündigte. „Dank der Bemühungen von Freiwilligen erhält | |
Gibraltar das Recht, sich Wikipedia zu nennen“, heißt es in dem Blog der | |
US-Stiftung, die für den Betrieb der Online-Enzyklopädie Wikipedia | |
verantwortlich ist. | |
„GibraltarpediA“ ist der Name der Zusammenarbeit, die für beide Seiten | |
Vorteile bringen sollte: Wikipedia bekommt mehr hochqualitative Artikel zu | |
einem Thema und die Tourismusindustrie von Gibraltar bekommt internationale | |
Aufmerksamkeit. | |
Kernstück des Projekts sind sogenannte „QR-Codes“, die zum Beispiel | |
Touristen mit ihrem Smartphone einscannen können, um so direkt zum | |
Wikipedia-Artikel über ein Baudenkmal zu kommen. Diese Codes werden von | |
Roger Bamkin erstellt. Dass er die Dienstleistung neben der Schulung von | |
Wikipedia-Autoren Gibraltar in Rechnung stellt, sorgt für Diskussionen. | |
Bezahlte Mitarbeit ist für viele Wikipedianer ein rotes Tuch. Dass sich | |
Firmen, Bands und andere immer wieder im besten Licht darstellen, ist ein | |
fortwährendes Ärgernis für die Administratoren, die sich dem Ideal | |
althergebrachter Enzyklopädien verpflichtet fühlen. Fakten sollen nicht nur | |
angesammelt, sondern in einen informativen und neutralen Kontext gestellt | |
werden. Der „neutrale Benutzerstandpunkt“ ist einer der zentralen | |
Grundsätze von Wikipedia. Wer befangen ist, soll sich laut Wikipedia-Regeln | |
nur auf den Diskussionsseiten äußern. | |
Gleichzeitig bemühen sich die Wikipedianer immer wieder um Kooperationen | |
mit Institutionen, die einen Wissensgewinn versprechen. So hat im Juni der | |
Wikipedianer Markus Cyron seinen Arbeitsplatz als „Wikipedian in Residence“ | |
beim Deutschen Archäologischen Institut bezogen. Dort berät er die | |
Mitarbeiter, wie sie selbst zum Gemeinschaftsprojekt beitragen können. | |
PR-Arbeit in der Wikipedia gehört jedoch nicht zu seinem Aufgabengebiet. | |
Diese Grenze scheint Bamkin überschritten zu haben. Der | |
US-Nachrichtendienst CNet spricht gar von „Korruption“. Den unbezahlten | |
Wikipedia-Mitarbeitern war nämlich aufgefallen, dass Gibraltar auffällig | |
oft auf der Startseite der Wikipedia auftauchte. Bamkin selbst hatte dafür | |
gesorgt, dass die Artikel, die im Rahmen der GibraltarpediA geschaffen | |
wurden, möglichst prominent verlinkt wurden. | |
Er sieht sich zu Unrecht beschuldigt, schließlich werde er nur für die | |
QR-Codes und Schulungen bezahlt, nicht jedoch für das Editieren von | |
Artikeln. Dass er selbst die Vereinbarung mit der Wikimedia Foundation in | |
Gang gebracht hatte, ist für ihn auch kein Problem: Bamkin selbst ist zwar | |
Vorstand der britischen Stiftung Wikimedia UK, hat aber keine Funktion bei | |
der Wikimedia Foundation. | |
Die Organisationen sind freilich auf vielfältige Weise verknüpft, vom | |
Eintreiben der Spendensummen bis hin zur Mitbestimmung des Kurses im | |
Wikimedia-Stiftungsrat. Formell hat Bamkin wohl keine wichtigen Regeln | |
gebrochen: Er selbst sei vom Vorsitz der britischen Stiftung | |
zurückgetreten, habe auch den Rückzug aus dem Vorstand insgesamt angeboten. | |
Im Übrigen sei die Stiftung auch gar nicht an dem Projekt beteiligt und | |
seine Rolle im Projekt habe er in der Projektpräsentation auf der | |
internationalen Wikimedia-Konferenz Wikimania im Juli deutlich | |
dokumentiert. Die Kritiker kann er damit aber nicht ganz beruhigen, denn | |
wenn der Vorstand der britischen Wikimedia-Stiftung seine Dienste anböte, | |
erwarteten die Klienten auch entsprechenden Einfluss auf die Wikipedia. | |
TORSTEN KLEINZ | |
22 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
TORSTEN KLEINZ | |
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