# taz.de -- Von Vaterlandsliebe durchglüht | |
> Das „Heranzüchten kerngesunder Körper“ und Propaganda für den | |
> faschistischen Staat waren die Aufgaben des Sports im Nationalsozialismus | |
> ■ Von Gerhard Fischer | |
Am 5. Dezember 1936 teilte ein Reporter des Völkischen Beobachters seinen | |
Lesern mit, welche kraftvollen Eigenschaften ein fußballspielender Mann | |
mitzubringen habe: „Ein ganzer Kerl ist dazu erforderlich“, befand er, | |
„keine weichlichen Schlappschwänze, die wegen jeder Schramme zu Frau Mama | |
laufen, sondern Kerle, die auch einen gehörigen Buff auf Knöchel und | |
Schienbein vertragen können.“ Zudem bedauerte der Schriftleiter, daß sich | |
„in den letzten Jahren die Unsitte eingeschlichen“ habe, daß „solch harte | |
Zweikämpfe von manchen Schiedsrichtern durch unnötiges Pfeifen sofort | |
unterbunden werden“. Dadurch würde das „Fußballspiel verweichlicht und in | |
ganz falsche Bahnen gelenkt“, weg vom „ritterlichen, harten Kampfsport“. | |
Bevor die NSDAP im Januar 1933 an die Macht kam, hatte sie kein besonders | |
ausgeprägtes Verhältnis zum Sport. Auch Adolf Hitler hatte für eine | |
mögliche Organisationsform des Sports keine festen Vorstellungen. In „Mein | |
Kampf“ vertrat er lediglich die Überzeugung, daß ein „Heranzüchten | |
kerngesunder Körper“ notwendig sei. Die internationale Sportbewegung wurde | |
von den Nationalsozialisten zunächst als „pazifistisch“ und | |
„judenfreundlich“ bekämpft. | |
In den ersten Monaten der nationalsozialistischen Regierungszeit gewann der | |
Sport rasant an Bedeutung. Entscheidend für diese rasche | |
Gewichtsverlagerung war der Gedanke, daß große Sportveranstaltungen, | |
insbesondere Fußballspiele und Sportfeste, prächtig als Podium für | |
Propaganda dienen könnten. Auch zur Kriegsvorbereitung könnten die | |
Leibesübungen nutzbringend wirken: „Man gebe der deutschen Nation sechs | |
Millionen sportlich tadellos trainierte Körper“, forderte Hitler, „alle von | |
fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist | |
erzogen, und ein nationaler Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in nicht | |
einmal zwei Jahren eine Armee geschaffen haben.“ Reichssportführer Hans von | |
Tschammer und Osten erklärte, die Sportvereine seien „Pflanzstätten | |
soldatischer Tugenden“. Die Nazis verherrlichten vor allem | |
Mannschaftsspiele. Diese seien, ähnlich dem Militär, | |
„kameradschaftsfördernd“. Der Fußball wurde neben dem Turnen die | |
bedeutendste Sportart. Die Zahl der Kicker und Vereine stieg. | |
Selbstredend wurde der Sport neu organisiert. Dachorganisation war der | |
sogenannte „Reichsbund für Leibesübungen“, der in 15 Fachressorts | |
eingeteilt war. Dem „Fachamt Fußball“ wurden sämtliche bürgerlichen | |
Fußballverbände untergeordnet. Nachdem die Nationalsozialisten alle | |
gewerkschaftlich, parteinah und kirchlich getragenen Vereine in den Jahren | |
1934 und 1935 aufgelöst hatten, kamen auch aus diesen Bereichen zahlreiche | |
Fußballer hinzu. Jüdische Fußballer wurden aus den Vereinen ausgeschlossen, | |
diskriminiert und verfolgt. Bekannt ist das Beispiel György Braunstein. | |
In den dreißiger Jahren war Braunstein ungarischer Nationalspieler, dann | |
geriet er in die Mühlen des nationalsozialistischen Kasernierungs- und | |
Vernichtungsprogramms. Zunächst mußte er in einer sogenannten | |
Schwerarbeiterschaft bei Tabolcza am Balaton Steine schleppen. Über die | |
Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald kam er schließlich nach | |
Dachau, wo er zuletzt nur noch knapp 40 Kilogramm wog. Nach der Befreiung | |
blieb György (Georg) Braunstein in Bayern, arbeitete fortan in einem | |
Krankenhaus und lebte bis zum seinem Tod 1993 in München. | |
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) blieb nach 1933 als Scheininstitution für | |
ein paar Jahre erhalten, Verbands- und Bundestage entfielen jedoch. Der DFB | |
marschierte bereitwillig in die faschistische Diktatur. Eine seiner letzten | |
innerdeutschen Aktionen war eine amtliche Bekanntmachung im Kicker. Dort | |
hieß es am 19. April 1933: „Der Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes und | |
der Vorstand der Deutschen Sport- Behörde halten Angehörige der jüdischen | |
Rasse, ebenso auch Personen, die sich als Mitglieder der marxistischen | |
Bewegung herausgestellt haben, in führenden Stellungen der Landesverbände | |
und Vereine nicht für tragbar.“ Der Präsident des DFB, Felix Linnemann, | |
blieb als „Fachamtsleiter Fußball“ im Amt. Er berief die meisten seiner | |
bisherigen Mitarbeiter aus den Verbänden als „Fachwarte“ für Fußball. | |
Der Fußballsport wurde nicht nur neu organisiert, sondern fürderhin mächtig | |
gefördert. An der Reichsakademie für Leibesübungen war Fußball Hauptfach. | |
Reichstrainer Otto Nerz war dort Direktor der sportpraktischen Abteilung. | |
Die Zahl der Fußball-Länderspiele und der internationalen Begegnungen der | |
Vereine wurde erheblich angehoben. Durch sportliche Erfolge (gegen oftmals | |
zweitklassige Kontrahenten) sollte das marode Selbstbewußtsein des | |
deutschen Volkes aufpoliert werden, zudem Friedenswille demonstriert | |
werden, nach der scheinheiligen Devise: Wer Sport treibt mit dem Nachbarn, | |
der fängt nimmer einen Krieg an. | |
Als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zum ersten Länderspiel nach der | |
Machtübernahme Hitlers antrat – am 19. März 1933 in Berlin gegen Frankreich | |
–, da hatte es den Anschein, als hätten sich die Elite-Kicker umgehend den | |
neuen politischen Verhältnissen angepaßt: Alle elf Spieler hoben den | |
rechten Arm zum Führergruß. „Von den etwa 25 Mann, die zu meiner Zeit zum | |
Nationalkader zählten, waren acht in der NSDAP, der Rest hat sich um die | |
Partei überhaupt nicht gekümmert“, erklärte später der mittlerweile | |
verstorbene Tormann Hans Jakob, der zwischen 1930 und 1938 in 38 Spielen | |
den deutschen Kasten gehütet hatte. Reichstrainer Otto Nerz war Mitglied | |
der SA, sein Nachfolger Sepp Herberger gehörte keiner | |
nationalsozialistischen Organisation an, sei jedoch, so Kicker-Herausgeber | |
Karl- Heinz Heimann, ein „sehr nationalbewußter Mann“ gewesen. | |
Nennenswerter Widerstand gegen das Nazi-Regime regte sich nirgendwo in den | |
Reihen der Fußballer. Dafür stand einer der sogenannten Stars stramm zum | |
NS-Regime: Tull Harder, Mittelstürmer des Hamburger SV und der deutschen | |
Nationalmannschaft, war in der SS und beim Wachpersonal im | |
Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg – zuletzt als Hauptscharführer. | |
Generell waren die Fußballer keine exponierten Günstlinge der | |
Nationalsozialisten. Gleichwohl genossen einige Kicker, die im übrigen | |
keine Profis waren, Privilegien, insbesondere nach Ausbruch des Krieges. | |
„Die Sportler unter den Soldaten bekamen leichter Urlaub“, erinnerte sich | |
Karl-Heinz Heimann. Fritz Walter, damals Nationalspieler, bestätigte: | |
„Jeder strengte sich im Training an, damit der Einsatz im nächsten | |
Länderspiel und damit der nächste Urlaub gesichert war.“ Der Reichstrainer | |
mußte Listen aufstellen, welche Spieler wertvoll sind. „Viele Fußballer | |
haben die Härte des Krieges bis 1944 gar nicht richtig gespürt“, sagte | |
Heimann, „aber nach 1944 waren alle gleich.“ | |
Fritz Walter, Weltmeister von 1954, war im Krieg Mitglied der | |
Militärmannschaft „Die Roten Jäger“. Fußballbegeisterte Offiziere hatten | |
diese Mannschaften ins Leben gerufen. Vorteil für die Kicker: Ihnen blieb | |
im günstigen Fall ein frühzeitiger Fronteinsatz erspart. Der | |
Luftwaffen-Sportverein (LSV) Hamburg drang 1944 sogar ins Finale der | |
Deutschen Meisterschaft vor und unterlag dort dem Dresdner SC mit 0:4. Bald | |
danach wurde der Spielbetrieb gänzlich eingestellt. | |
In die gräßliche Zeit des Nationalsozialismus fiel die große Ära des FC | |
Schalke 04. Der Fußballverein aus dem Stadtteil Gelsenkirchen feierte | |
zwischen 1934 und 1942 sechs Deutsche Meisterschaften. War Schalke 04 ein | |
Nazi- Club? Dietrich Schulze-Marmeling schreibt in seinem Buch „Der | |
gezähmte Fußball“: „In welchem Ausmaß die zeitliche Parallelität von | |
Schalker Erfolgsära und Nazi- Herrschaft Zufall und inwieweit sie ein | |
Produkt bewußter sportpolitischer Intervention war, ... läßt sich nicht mit | |
letzter Sicherheit klären.“ Fakt ist, daß die intellektuellenfeindlichen | |
Nazis Schalkes Erfolg als „Sieg der Arbeiterklasse“ feierten. Die | |
hervorgehobenen Eigenschaften der Kicker – Siegeswille, Kameradschaft, | |
bedingungslose Einsatzbereitschaft, Preisung des Kollektivs zu Lasten des | |
Individuums –, waren ganz im Sinne nationalsozialistischer Ideologie. Der | |
Mikrokosmos Schalke 04 galt den Nazis als blühendes Beispiel für ein ganzes | |
Land. „Gerade die Mannen um Kuzorra und Szepan haben gefühlt, welche Kräfte | |
in der Begeisterung einer ganzen Gemeinschaft stecken. Schalke wurde | |
Deutschland, irgendwie Deutschland“, schrieben Heinz Berns und Hermann | |
Wiersch 1936 in einem Fußballbuch über die Schalker Idole Ernst Kuzorra und | |
Fritz Szepan. | |
Unklar bleibt, inwieweit die Spieler selbst dem NS-Regime und seiner | |
Ideologie huldigten. Es existieren Bilder einer Schalker Mannschaft, die | |
geschlossen den rechten Arm zum Hitlergruß reckt. „Die Schalker Spieler der | |
damaligen Zeit waren keine politisch interessierten oder infiltrierten | |
Männer“, relativiert Schalke- Kenner Hans-Josef Justen. „Angesichts ihrer | |
sportlichen Erfolge sind sie aber von den Nazis natürlich gefördert | |
worden“, erklärt andererseits Stefan Goch, Mitarbeiter am Institut für | |
Stadtgeschichte in Gelsenkirchen. Die Spieler seien ehrenhalber in die SA | |
aufgenommen worden, „und wenn bestimmte Spiele gewonnen wurden, dann wurde | |
ihr Rang erhöht“. Nach den Finalsiegen bei der Deutschen Meisterschaft | |
wurden die Schalker Spieler stets in Gelsenkirchen von SA-Ehrenabordnungen | |
empfangen, das Horst- Wessel-Lied wurde gesungen, „nicht enden wollende | |
Heil!-Rufe erschallten aus aller Mund“ (Berns/Wiersch). | |
Nicht nur Schalke wurde vor den Karren nationalsozialistischer Propaganda | |
gespannt. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin gelten als Musterbeispiel | |
für den Mißbrauch der Sportler zu Propagandazwecken. Und als die deutsche | |
Fußball-Nationalmannschaft am 6. April 1941 ein Match gegen Ungarn | |
auszutragen hatte, ließ Reichssportführer von Tschammer und Osten den | |
Elitefußballern bestellen: „Spielt ja fair! Es liegt etwas Besonderes in | |
der Luft! Das Spiel ist mehr als ein Fußballspiel. Es ist eine | |
Demonstration der Freundschaft.“ Er meinte damit: Ungarn wird bald an der | |
Seite der Achsenmächte Deutschland und Italien in den Krieg eintreten. | |
„Sport und Propaganda – wo lagen die Grenzen?“ überlegte Fritz Walter in | |
seinem Buch „Elf Rote Jäger“. Die Antwort schob er hinterher: „Wir waren | |
froh, wenn wir spielen durften. Wir fragten nicht nach den Hintergründen.“ | |
6 May 1995 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Fischer | |
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