# taz.de -- Volkstümliches Brasilien: "Gestern hat es chuvadet" | |
> Im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina spricht man Deutsch und | |
> wirbt mit "deutscher Kultur", mit Folklore, Umzügen, Dirndln. Und dazu | |
> dudelt "Rosamunde" aus dem Radio im Dschungel | |
Bild: Deutscher Volkstanz auf der "Urwald-Wiesn" in Blumenau, Brasilien | |
Brasilien. Samba, Caipirinha, Dschungel, Exotik. Exotik, die gibt es hier | |
fürwahr, doch sieht sie anders aus als gedacht. Hier, das ist in Santa | |
Catarina, einem südlich von São Paulo gelegenen Bundesstaat mit | |
Schwarzwälder Kirsch im Café "Tortenparadies", Fachwerkhäusern und 14 | |
Brauereien, die nach dem bayerischen Reinheitsgebot brauen. "Das sei ihr | |
Ehr und Preis, das Leinen blütenweiss …", ist in Timbó im Immigrantenmuseum | |
auf einem bestickten Tuch zu lesen. Die pfiffige Elisabeth Gerwer spricht | |
perfekt Deutsch und führt mit Begeisterung durch das Museum. | |
Weil von 1820 an Auswanderer vor allem aus dem Hunsrück und aus Pommern | |
hierherkamen, spricht man Deutsch: Zum Beispiel in Blumenau, 1850 von Dr. | |
Hermann Blumenau aus Hasselfelde gegründet. Gestorben ist er in | |
Braunschweig, seine sterblichen Überreste und die seiner Familie aber ruhen | |
hier im Mausoleum Dr. Blumenau. Alljährlich wird in Blumenau in Trachten | |
und bei Blasmusik drei Wochen lang Oktoberfest gefeiert. Länger als in | |
München. Aus ganz Lateinamerika strömen die Touristen in Scharen herbei. | |
Exotik pur. Natürlich gibt es im Ort ein Biermuseum, das "Museu da | |
Cerveja", und das mächtige Rathaus ist im Fachwerkstil erbaut. | |
Man wirbt mit der "deutschen Kultur": Folklore, Umzüge, Dirndl, Lederhosen, | |
Fassbier, Tanz. "Zum größten Erstaunen wird man nun gewahr, dass alle diese | |
schon durch die Farbe sichtbar voneinander abgezeichneten Rassen in | |
vollster Eintracht miteinander leben und trotz ihrer individuellen Herkunft | |
einzig in der Ambition wetteifern, die einstigen Sonderheiten abzutun, um | |
möglichst rasch und vollkommen Brasilianer, eine neue und einheitliche | |
Nation zu werden", so Stefan Zweig im 1941 erstmals erschienenen Buch | |
"Brasilien. Ein Land der Zukunft". | |
Auf Feldwegen, die im hiesigen Deutsch Erdstraßen genannt werden, geht es | |
über die Dörfer. Autos sind selten zu sehen. Und wenn, dann sind es häufig | |
VW Käfer. Fusca oder Fusquinha heißen sie hier. Die brauchen manche auch, | |
denn rundherum in den Bergen liegen die nur schwer zu erreichenden | |
Einsiedlerhöfe. Wir passieren ein Gehöft an einem Bachlauf, der sich durch | |
Wiesen schlängelt. "Der Besitzer ist bestimmt Deutscher!", sagt Dimas. | |
Warum? "Weil hier alles sauber und gründlich aussieht." | |
"Deutscher" bleibt man im Bewusstsein der anderen immer, auch wenn die | |
Vorfahren bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eingewandert sind. | |
"Italiener" bleibt man auch immer. So wie eben Dimas, der gar kein | |
Italienisch mehr spricht. | |
Als wir fast in Pomerode sind, tauchen immer mehr Fachwerkhäuser auf und | |
ein Schild "Rota do Enxaimel" (Fachwerkstraße). Vor einem der putzigen | |
Ziegelhäuschen treffen wir Frau Sievert. "Mit v schreibt man das heute und | |
nicht mehr mit Doppel-v!", wie sie betont. So, wie die Nachbarn sich auch | |
schreiben. Sind denn hier alle verwandt? Das versteht sie nicht. Und woher | |
ihre Vorfahren kommen, weiß sie leider nicht. "Die sind von Frankfurt | |
abgefahren, damals, mitm Schiff!" Von Hamburg aus vielleicht? "Ach ja, das | |
kann auch sein", sagt sie. Sie erzählt in einem faszinierenden Mix aus | |
Hochdeutsch und Plattdeutsch, durchsetzt mit portugiesischen Wörtern. | |
Pomerode liegt im Vale Europeu, im Europäischen Tal. So wird es genannt, | |
weil sich hier vor allem Deutsche, Italiener und Polen angesiedelt haben. | |
Es gibt ein Restaurant namens "Wunderwald" mit deftiger Schlachtplatte und | |
Eisbein, doch auch Sahnetorten sind im Angebot: Im Café "Tortenparadies" | |
isst man Schwarzwälder Kirsch und echte pommersche Sahnetorte. Draußen geht | |
ein tropischer Schauer über dem Regenwald nieder. Die Kolonisten, wie sie | |
sich selbst nennen, verrühren die Sahne im Kaffee. Das mag seltsam anmuten, | |
und die Sprache ist es auch: Chuva bedeutet auf Portugiesisch "Regen". | |
Einer meint: "Gestern hat es auch chuvadet." | |
Pomerode wirbt für sich als "deutscheste Stadt Brasiliens" und heißt so, | |
weil es einst von Einwanderern aus Pommern gegründet wurde. Deshalb findet | |
auch jedes Jahr das Pomeranerfest statt. Ein Ereignis, das Tausende | |
anlockt. Den Fremden begrüßt ein Kirchweihbaum, Gartenzwerge lachen vor | |
Fachwerkhäusern, Bierbäuche werden spazieren getragen. Auch einen | |
"Pomerana-Jodler" gibt es. Und ganze 14 Brauereien in der Region, die nach | |
dem bayerischen Reinheitsgebot brauen, behauptet stolz der freundliche | |
Besitzer der "Brauerei Schornstein". Direkt an der Hauptstraße liegt die | |
Brauerei, wo man im angeschlossenen Lokal frisch Gebrautes zapft und | |
serviert. Ein Schoppen Bier ist hier einfach "um chopp" (sprich: Schopp), | |
und man verkostet nach einer Brauereiführung das hiesige Pils. Prädikat: | |
kühl und lecker. Der Brauer lächelt und reckt den Daumen nach oben. Eine | |
hier allseits übliche Verabschiedung. | |
Etwas außerhalb liegt "Mundo antigo", die "Alte Welt", ein Gasthaus mit | |
Ferienhäuschen auf dem Bauernhof, aus Ziegeln und Fachwerk. Deutsche | |
Volksmusik aus der Konserve ist zu hören. Der Wirt und seine Kinder sind | |
strohblond und haben hellblaue Augen. Um die Ecke parkt ein quietschblauer | |
VW Käfer. Die Fenster sind geöffnet: "In München steht ein Hofbräuhaus!", | |
dröhnt es heraus, aufgenommen von einer einheimischen Gruppe. Und danach: | |
"Schornstein Chopp!" auf Portugiesisch. Abends oder nachts ist nur wenig | |
los. Dies ist ein anständiger Ort. | |
Die Natur ist subtropisch und üppig im atlantischen Regenwald: mannshohe | |
Farne, Strelitzien, Bromelien und Orchideen. Tillandsien sitzen auf | |
Baumstämmen, Ästen und Zweigen, die Baumkronen drängen ans Licht. Unten ist | |
es schattig und feucht. Es gluckst, es gluckert. Der Boden ist glitschig. | |
Zu Fuß geht es einen Weg entlang zu einem der zahlreichen Wasserfälle. | |
Wieder treffen wir auf eines der Holzhäuschen, die oftmals als Laden, | |
Kneipe und Treffpunkt gleichzeitig fungieren. Die Besitzerin spricht das | |
hiesige Deutsch. "Schro-eder" heiße sie, so erklärt sie mir und spricht | |
dabei das "oe" nicht wie "ö" aus, sondern wie zwei eigenständige Vokale. Es | |
ist Sonntagmorgen im Vale Europeu. Devagar heißt die Devise: immer schön | |
langsam. Man baumelt in der Hängematte oder in einem Schaukelstuhl vor dem | |
Haus. Das deutsche Radioprogramm wird gesendet. "Rosamundeee, schenk mir | |
dein Herz und sag ja!", dudelt es aus dem Radio im Dschungel. | |
28 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Judith Weibrecht | |
## TAGS | |
Reiseland Brasilien | |
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