# taz.de -- Verfassungsrichter über Versammlungsfreiheit: "Die Bürger werden … | |
> Bayerns Versammlungsgesetz gefährdet die Versammlungsfreiheit, meint | |
> Verfassungsrichter Klaus Hahnzog. 13 bayerische Organisationen haben | |
> Verfassungsklage gegen das Versammlungsgesetz eingereicht. | |
Bild: Neonaziaufmärsche ließen sich kaum per Gesetz verhindern, so Hanzog. | |
taz: Herr Hahnzog, Baden-Württemberg und Niedersachsen nehmen sich ein | |
Vorbild am umstrittenen bayerischen Versammlungsgesetz. Sehen Sie das | |
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Deutschland gefährdet? | |
Klaus Hahnzog: Das sehe ich so, wenn Bundesländer im Zuge der | |
Föderalismusreform Gesetze wie die in Stuttgart, Hannover und München | |
erlassen oder erlassen wollen. Da kommen Beschränkungen, äußerst | |
bedenkliche Vorschriften. Eine Unzahl von Straftatbeständen und | |
Ordnungswidrigkeiten runden die Sache ab. | |
Wie bedenklich denn? | |
So bedenklich, dass 13 bayerische Organisationen in Karlsruhe gegen das | |
Versammlungsgesetz klagen, darunter auch die bayerische | |
Polizeigewerkschaft. Mir ist dabei extrem wichtig: Es geht nicht um | |
einzelne Vorschriften, sondern um das System dieser Gesetze, das nur die | |
Behörden bevorzugt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die | |
Versammlungsfreiheit als zentrales Grundrecht unserer Demokratie darf nicht | |
durch Maßnahmen beschränkt werden, die einschüchtern. Die Bürger müssen | |
unbefangen ihre Meinung äußern können. | |
Und das können sie mit den neuen Versammlungsgesetzen nicht mehr? | |
Demonstranten dürfen danach zum Beispiel keinen paramilitärischen Eindruck | |
wecken, etwa durch Trommeln. Dieses Verbot verstößt gegen den Grundsatz der | |
Normenklarheit: Jeder muss in einem Gesetz erkennen können, warum er vom | |
Staat beschränkt wird. Auch die Behörden müssen wissen, wo ihre Grenzen | |
sind. Der Höhepunkt ist, dass jeder Demonstrationsteilnehmer, der diese | |
völlig unklaren Vorschriften verletzt, in Baden-Württemberg mit bis zu zwei | |
Jahren Gefängnis oder Geldstrafe bedroht wird. Bayern hat da immerhin nur | |
eine Ordnungswidrigkeit eingeführt. | |
Noch mehr Beispiele? | |
Nehmen Sie das absolute Anwesenheitsrecht der Polizei. Sie will auf jeden | |
Fall bei Versammlungen in geschlossenen Räumen dabei sein dürfen, auch wenn | |
keinerlei Sicherheitsbedenken bestehen. Das ist ein Verstoß gegen die | |
Unbefangenheit der Leute. Wenn sie wissen, dass Polizei da ist, werden | |
manche ihre Meinung nicht äußern. Die Veranstalter müssen wiederum ihre | |
persönlichen Daten und die der Ordner den Landratsämtern angeben. Das Amt | |
kann mit den Daten nichts anfangen, ohne einen Austausch mit anderen | |
Behörden bis hin zum Verfassungsschutz. Das wird einfach vorausgesetzt. Von | |
den insgesamt 22 Vorschriften des bayerischen Gesetzes stellen allein 14 | |
Verschärfungen dar. | |
Hat Bayern oder hat Baden-Württemberg das rigidere Gesetz vorgelegt? | |
Die gleichen sich in den Repressionstatbeständen aus. Bayern hat anders als | |
Baden-Württemberg telefonische Anmeldungen bei Eilversammlungen zugelassen. | |
Ein Verstoß gegen eine Bannmeile kostet den Versammlungsleiter in Bayern | |
3.000 Euro, in Baden-Württemberg 20.000. Dafür dürfen sie nur in Bayern | |
verdeckte Filmaufnahmen auch in geschlossenen Räumen machen. | |
Eigentlich sollten die Gesetze Aufmärsche von Neonazis verhindern. Sie | |
sehen Demonstrationsverbote an historisch belasteten Tagen und Orten vor. | |
Am 9. November gab es in Bayern keine Verbote, obwohl das neue Gesetz | |
bereits in Kraft ist. Die Gerichte haben die Verbote der Behörden wieder | |
kassiert und gesagt: Gesinnung kann nicht bestraft werden, es müssen | |
konkrete Sicherheitsrisiken vorliegen. Stattdessen behindern die Gesetze | |
die, die sich gegen die Neonazis wenden. | |
Wie sollte man rechten Aufmärschen denn gesetzlich Einhalt gebieten? | |
Wenn sie nicht gerade öffentlich den Hitlergruß zeigen, kann man | |
Neonaziaufmärsche nicht per Gesetz verhindern. Damit muss sich eine | |
Demokratie abfinden. Die Bürger sind aufgerufen, sich dagegen zu wenden, | |
das ist viel wichtiger. Man kann die Verantwortung nicht auf Behörden | |
abladen. | |
INTERVIEW: INGO ARZT | |
14 Dec 2008 | |
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