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# taz.de -- UnsereneuenNachbarn
> Die taz zieht um. Von der Rudi-Dutschke-Straße nur ein paar hundert Meter
> weiter an die südliche Friedrichstraße – und doch in eine andere Welt.
> Dort gibt es rund um den Mehringplatz einen gewachsenen Kiez. Und in der
> nahen Nachbarschaft ein neues Kunst- und Kreativquartier. Was können die
> Zugezogenen den Alteingesessenen geben?
Bild: Jetzt hat die taz lauter neue Nachbarn: das neu gebaute taz Haus mit sein…
VonSusanne Messmer(Text) und Karsten Thielker(Foto)
Ein Engel namens Daniel, den niemand sehen kann, mäandert ziellos durch die
Stadt. Er gerät in einen kleinen Zirkus, wo eine Trapezkünstlerin mit
Engelsflügeln aus Hühnerfedern trainiert. Der Direktor ist sauer, weil sie
eher baumelt als fliegt. Sie rauscht beleidigt raus und setzt sich vor
ihren Zirkuswagen, der Blick geht in die Ferne. Dann philosophiert die
Trapezkünstlerin ein wenig über dies und das, stets in Begleitung des
Engels, der schon längst verliebt ist in sie, den sie ja aber nicht einmal
sehen kann.
Wim Wenders muss begeistert gewesen sein von der Schönheit der Brache, die
er für die nun folgende Szene seines Films „Der Himmel über Berlin“, des
wohl poetischsten Berlinfilms aller Zeiten, gefunden hatte. Gras und Staub,
Brandmauern, unendliche Weiten, der Blick geht aufs kunterbunte
Tommy-Weisbecker-Haus. Es ist noch zwei Jahre hin bis zum Mauerfall, und
die melancholischen, verloren wirkenden Gestalten, von denen Wenders
erzählt, spiegeln sich perfekt in der Agonie der Frontstadt, in ihrer
Zerrissenheit, ihren Wunden und Narben.
An diesem Wochenende beginnt der Umzug der taz in die Südliche
Friedrichstadt (siehe Kasten). Das neue Haus befindet sich 100 Meter weiter
nördlich von der Brache, auf der vor über 30 Jahren Wim Wenders seinen
Zirkus drehte. Der Umzug verschlägt die taz nur einen halben Kilometer
weiter weg vom alten Haus, aber in eine völlig neue, ganz andere Welt.
Bis vor Kurzem mussten wir Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit noch am
Checkpoint Charlie vorbei. Oder durch die neue, hochglänzende
Friedrichstraße im Norden mit ihren noblen Shops, den vielen Touristen.
Nun sind wir täglich mit den Verwerfungen im Süden der Straße konfrontiert,
wie sie Wim Wenders gezeigt hat und wie sie nach wie vor spürbar sind. Hier
war mal ein lebendiges Zeitungsviertel, hier wurde bei einem Bombenangriff
im Februar 1945 fast alles zerstört. Lange nach dem Mauerfall, eigentlich
bis heute, blieb die Gegend ein wenig beachtetes Stück der Friedrichstraße.
Eine Art Niemandsland.
Ein Durchgangsort mit Spielhöllen, Souvenirläden, mit einem
Nobelrestaurant, einem angesagten Café, einem Textildiscounter. Mit einem
Laden voller neobarocker Kitschmöbel und dem Trödelladen des
Obdachlosenmagazins Motz.
Es ist ein Nachmittag in diesem endlos langen Spätsommer. Der Blick vom
Nachbarschaftscafé MadaMe geht direkt auf den runden Mehringplatz, jenen
Platz am U-Bahnhof Hallesches Tor, in das die Friedrichstraße nicht weit
vom neuen taz Haus mündet. Am Mehringplatz gibt es mehr Kinderarmut als
überall sonst in Berlin. 64,4 Prozent der unter 15-Jährigen sind Empfänger
von Transferleistungen, laut Quartiersmanagement, das seit 2005 am Platz
arbeitet, gehen viel zu wenige Kinder in die Kita, und die Hälfte von ihnen
zeigt bei der Einschulung Sprachdefizite, ein Viertel motorische Defizite.
Fast 20 Prozent sind übergewichtig. Den Eltern geht es kaum besser. 70
Prozent der Leute hier sind eingewandert, die meisten aus der Türkei und
dem Nahen Osten. 22 Prozent der erwerbsfähigen Bewohner sind, auch drei
Jahre seit in dieser Zeitung die letzte Reportage über den Kiez erschien,
nach wie vor arbeitslos.
20 Oct 2018
## AUTOREN
Susanne Messmer
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