Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unser Israel (11): Wir Israelkritiker
> Kein anderer Staat wird so stark dämonisiert wie Israel. Ihn mit dem
> NS-Staat gleichzusetzen gehört zum Antisemitismus. Darin spiegelt sich
> eine Täter-Opfer-Umkehr.
Googelt man "Israel", wird man schnell fündig: Im Internet wimmelt es von
Karikaturen, die Juden als hakennasige Drahtzieher oder Spinnen darstellen,
darauf aus, von Israel aus die Welt zu beherrschen oder das Blut
palästinensischer Kinder in Matzenbrot zu verbacken. Beliebt ist es auch,
jüdische Israelis als Nazis darzustellen: Solch antisemitische Motive
finden sich in vielen Variationen - von Collagen einer deutschen Website,
die Ehud Olmert in SS-Uniform zeigt, bis zur Behauptung der spanischen
Zeitung El Mundo, Israel beginge einen "zweiten Holocaust". Die Rede vom
"Konzentrationslager Gaza" hat es mancherorts in Europa sogar in den
Mainstreamdiskurs geschafft. Umso erstaunlicher, dass manche meinen, Kritik
an Israel werde unterdrückt.
In Wirklichkeit wird kein anderer Staat so dämonisiert, indem seine
Bevölkerung mit Nazis gleichgesetzt wird, wie Israel und seine jüdischen
Bürger. Diese Gleichsetzung, die den Holocaust verharmlost und seine Opfer
verhöhnt, hat die EU mit gutem Grund als antisemitisch klassifiziert. Der
Umstand, dass solche Gleichsetzungen nicht "zwingend antisemitisch
motiviert" sind, wie Armin Pfahl-Traughber reklamiert (taz vom 16. 7.),
sagt dabei nichts über ihren judenfeindlichen Sinngehalt aus.
Vergiftetes Meinungsklima
Solche Gleichsetzungen sind grotesk, dennoch sind sie verbreitet. Eine
Studie des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung von 2004
hat ergeben, dass über zwei Drittel der Deutschen glauben, Israel führe
einen "Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser. Und 51,2 Prozent
stimmten der Aussage zu: "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern
macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten
Reich mit den Juden gemacht haben." Mag sein, dass die Medien hierzulande
mit NS-Vergleichen vorsichtiger sind, als dies anderswo der Fall ist. Doch
offenbar gibt es eine Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter
Meinung. Wenn Daniel Bax (taz vom 27. 7.) aber behauptet, "viele Deutsche"
seien für die "Propaganda" von Israels rechter Regierung empfänglich,
stellt er die Tatsachen auf den Kopf.
Es gehört zum demokratischen und kosmopolitischen Selbstverständnis,
Regierungen zu kritisieren und gegen jede Diskriminierung von Minderheiten
- ob in Deutschland oder im Nahen Osten - einzutreten. "Israelkritik" -
gibt es eigentlich eine äquivalente "Ägyptenkritik"? - ist manchen jedoch
zur Obsession geworden und ihr "Antizionismus" ein Medium, um
Antisemitismus auszudrücken. Der Nahe Osten wird so zur Projektionsfläche
von Freizeitantisemiten, Rechtsradikalen, Antiimperialisten und Islamisten.
Die vielen NS-Vergleiche sind der stärkste Indikator dafür. In ihnen
spiegelt sich eine historische Täter-Opfer-Umkehr, die der Sehnsucht nach
postnazistischer oder postkolonialer Schuldentlastung entspringen kann,
frei nach dem Motto: Seht her, die Juden sind doch auch nicht besser (als,
je nach Perspektive, die Deutschen oder die europäischen Kolonialmächte).
Selbst Terrorakte der Hamas gegen die Zivilbevölkerung werden dann als
unvermeidliche "Reaktion" auf den israelischen "Staatsterrorismus"
gedeutet. Sogar für den Antisemitismus werden damit "die Juden"
verantwortlich gemacht. Denn Judenfeindschaft, so die antizionistische
Sicht, sei heute schlicht eine Folge von Israels Politik. Würde jemand
behaupten, das Verhalten eines afrikanischen Diktators sei die Ursache von
Rassismus, würde man diese Denkweise zu Recht rassistisch nennen. Beim
Blick auf Israel ist sie aber gängig.
Verdrehter Orientalismus
Vergleiche mit den Verbrechen der NS-Zeit hinken eigentlich immer, wie wir
aus der vergleichenden Genozidforschung wissen. Dies gilt auch, wenn
Benjamin Netanjahus Regierung den Iran mit Nazideutschland vergleicht.
Indes: Wenn die Hamas die antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion"
als "Wahrheit über jüdische Weltherrschaft" propagiert, Karikaturen aus dem
"Stürmer" kopiert und Kinder indoktriniert, sie müssten als Märtyrer "die
Juden töten", oder wenn das iranische Regime den Holocaust leugnet und zur
Vernichtung des Judenstaates aufruft, dann stellen sie sich selbst in diese
Tradition. Der islamistische Judenhass ist auch keine Schimäre, und es ist
notwendig, seine Gefahren zu benennen. Ihn als reinen "Vorwand" für einen
Angriff auf den Iran abzutun, suggeriert, dass Ahmadinedschads
Vernichtungsdrohungen gegen Israel reine Rhetorik seien.
Manche Linke spielen den islamistischen Antisemitismus jedoch herunter. Sie
schauen weg, wenn islamistische "Märtyrer" judenfeindliche Gesänge
anstimmen oder einem Gewaltkult frönen, und fühlen sich selbst dann noch
moralisch überlegen, wenn sie mit türkischen Rechtsradikalen in einem Boot
sitzen. Dies kündet von einem "verdrehten Orientalismus" unter
postkolonialen Vorzeichen, der die Leiden der Palästinenser
instrumentalisiert. In Reproduktion romantisierender Vorstellungen vom
"edlen Wilden" erscheinen die Palästinenser als grundsätzlich gut und immer
als Opfer, nicht aber als handelnde Subjekte mit eigenen Ideen und eigener
Verantwortung. Solche Schwarz-Weiß-Malerei führt zwangsläufig zu
Zerrbildern - nicht nur von der israelischen, sondern auch von der
palästinensischen Gesellschaft mit ihren inneren Konflikten, Widersprüchen
und Akteuren. Wem es aber um die Rechte der Palästinenser geht, der muss
auch die Hinrichtungen von Dissidenten, die Entrechtung von Frauen und
Schwulen durch die Hamas in Gaza oder die systematische Ausgrenzung der
Palästinenser im Libanon erwähnen.
Der kosmopolitische Blick
Klare Feindbilder haben noch keinen Konflikt gemildert. Eine
kosmopolitische Sicht muss die Perspektive der Anderen einnehmen. Sie darf
aber keine Kompromisse bei elementaren Menschenrechten und der Ablehnung
von Antisemitismus und Rassismus machen und nicht mit zweierlei Maß messen.
Wer Israel angesichts der teils menschenverachtenden Diktaturen in der
Region zur "größten Bedrohung im Nahen Osten" stilisiert und den
Antisemitismus und Autoritarismus von Hamas, Hisbollah und Ahmadinedschad
verharmlost, der ist kein guter Ratgeber, wenn es um Frieden im Nahen Osten
geht.
***
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][Krieg der
Worte] von Isolde Charim, [2][Wir Israelversteher] von Daniel Bax, [3][In
Reichweite der Raketen] von Chaim Noll, [4][Kritik ist nicht gleich Kritik]
von Armin Pfahl-Traughber, [5][Gottes verheißenes Land] von Georg
Baltissen, [6][Das Gespenst des Zionismus] von Klaus Hillenbrand, [7][Eine
komplizierte Geschichte] von Micha Brumlik, [8][Keine innere Angelegenheit]
von Tsafrir Chohen, [9][Deutsche nach Gaza?] von Muriel Asseburg und
[10][Feiger Hass] von Stephan Kramer.
8 Aug 2010
## LINKS
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/krieg-der-worte-2/
[2] /1/debatte/kommentar/artikel/1/wir-israelversteher/
[3] /1/debatte/kommentar/artikel/1/in-reichweite-der-raketen/
[4] /1/debatte/kommentar/artikel/1/kritik-ist-nicht-gleich-kritik/
[5] /1/debatte/kommentar/artikel/1/gottes-verheissenes-land/
[6] /1/debatte/kommentar/artikel/1/das-gespenst-des-zionismus/
[7] /1/debatte/kommentar/artikel/1/eine-komplizierte-geschichte/
[8] /1/debatte/kommentar/artikel/1/keine-innere-angelegenheit/
[9] /1/debatte/kommentar/artikel/1/deutsche-nach-gaza/
[10] /1/debatte/kommentar/artikel/1/feiger-hass/
## AUTOREN
Lars Rensmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.