| # taz.de -- Unmut in Island über US–Abhängigkeit | |
| > ■ Gipfel offenbart die Grenzen der Selbständigkeit des Gastgeberlandes | |
| > Island / Die NATO–Basen im Land ohne Streitkräfte sind wichtig im | |
| > U–Boot–Überwachungskrieg der Großmächte und ein bedeutender Arbeitgebe… | |
| > Proklamation der Atomwaffenfreiheit hilflose Reaktion | |
| Von Reinhard Wolff | |
| Kassel (taz) - Island wurde nicht lange gefragt, ob es bereit sei, | |
| Gastgeber für den Gipfel zu spielen. Seine Regierung wurde nur einen Tag | |
| früher als die Weltöffentlichkeit informiert. Für viele Isländer nur ein | |
| weiteres Steinchen im Mosaik: Die Grenzen der Selbständigkeit. Es gibt | |
| vermutlich nicht viele Gewässer, in denen es so von Atom–U–Booten wimmelt, | |
| wie das Meer um diese Insel im Nordatlantik - von daher sicherlich ein | |
| sinnvoller Platz für einen Abrüstungs–Gipfel. Und Island schwimmt | |
| tatsächlich fast wie ein Flugzeugträger mitten in diesem strategisch | |
| wichtigen Gebiet: von hier aus können die USA bequem den Zugang der im | |
| eisfreien sowjetischen Hafen Murmansk stationierten U–Boot–Flotte in die | |
| Weltmeere kontrollieren. Trotzdem wäre es ungerecht, das Land nur als | |
| NATO–Trägerschiff zu sehen. Daß dieses Bündnis aber seine Grenzen hat, | |
| erfuhren die USA im vergangenen Jahr, als Island - im Gefolge Chinas und | |
| Neuseeland - ein Verbot für atomwaffenbestückte Fahrzeuge in seinen | |
| Hoheitsgewässern erließ. Zu diesem einstimmigen Parlamentsbeschluß war es | |
| gekommen, als der amerikanische Friedensforscher William Arkin ein | |
| Geheimpapier veröffentlichte, das ihm ein Pentagon–Angestellter zugespielt | |
| hatte. In diesem Papier hatte Präsident Reagan seinen Militärs die | |
| Erlaubnis erteilt, 48 atomare U– Boot–Minen im Krisenfall auf Island zu | |
| lagern. Die isländische Regierung reagierte erstaunt, sie wisse von nichts, | |
| sei auch zu kei nem Zeitpunkt informiert oder gar gefragt worden. Das | |
| Papier stellte sich als echt heraus, aber zu einer Rücknahme oder auch nur | |
| befriedigenden Erläuterung konnte sich Reagan nicht entschließen. Der | |
| daraufhin gefasste Parlamentsbeschluß, die sowieso schon Jahre vorher | |
| proklamierte Atomwaffenfreiheit auch auf die Küstengewässer zu erstrecken, | |
| erscheint vor diesem Hintergrund schon fast hilflos: Wie will Island eine | |
| tatsächliche Stationierung von Atomwaffen verhindern, zumal sich die | |
| Amerikaner auf ihrem Stützpunkt Keflavik nur teilweise vom NATO–Verbündeten | |
| in die Karten schauen lassen. Keflavik war der Eintrittspreis, den Island | |
| für seinen NATO–Beitritt zahlen mußte. Das 220.000 Einwohner– Land ohne | |
| eigene Streitkräfte braucht der NATO keine Truppen zu unterstellen, dagegen | |
| dürfen bis zu 3.000 US–Soldaten auf Island stationiert sein und die | |
| dortigen Stützpunkte - hierunter Keflavik als größter und modernster - | |
| benutzen. Gegen diese 1951 vereinbarte US–Präsenz auf der Insel ist zwar | |
| von der Opposition seit den siebziger Jahren protestiert worden, aber ohne | |
| Erfolg. Im Gegenteil: Die gleiche Parlamentsmehrheit, die im vergangenen | |
| Jahr die allzu offensichtliche Verletzung der Souveränität des Landes durch | |
| die Reagan–Regierung mit dem totalen Atomwaffenverbot beantwortete, | |
| beschloß einige Monate spä ter einen weiteren Ausbau der NATO–Anlagen. Der | |
| Hauptgrund dafür, daß man den USA nicht wirklich weh tun will und kann, ist | |
| ökonomischer Natur. Die NATO–Basen sind nicht nur ein bedeutender | |
| Arbeitgeber, die gesamte isländische Wirtschaft ist darüberhinaus vom | |
| US–Markt abhängig. Dies wurde gerade in diesem Jahr wieder deutlich, als | |
| die Isländer beschlossen, ihren kommerziellen Walfang „einzustellen“ - sie | |
| wollen jetzt nur noch „wissenschaftlichen“ Walfang betreiben. Einige Sätze | |
| von Präsident Reagan und eine Boykottdrohung der US–Importeure von | |
| isländischem Fisch hatten sehr schnell das bewirkt, worum die | |
| Umweltschützer seit Jahren vergeblich gekämpft hatten. Solange diese | |
| Abhängigkeit besteht, wird es eine Außenpolitik gegen die Interessen der | |
| USA nicht geben können. Bezeichnend daher ist auch die Haltung der | |
| isländischen Parteien zur Frage einer atomwaffenfreien Zone in Nordeuropa. | |
| Die konservativen Parteien sind sowieso dagegen, aber auch die | |
| Sozialdemokraten Islands brachen aus der gemeinsamen Linie der | |
| skandinavischen Schwesterparteien aus. Zumindest die Fortschrittspartei - | |
| sie repräsentiert den linken Flügel im isländischen Parteienspektrum - hat | |
| sich die Forderung der Parlamentsmehrheiten der übrigen nordischen Länder | |
| zueigen gemacht, verschiebt aber die Realisierung erst einmal auf den | |
| Sankt–Nimmerleins–Tag. Die Fraktion der Frauenliste, die mit drei | |
| Abgeordneten im Allting vertreten ist, hat als erste einschlägige | |
| Initiative Ende des letzten Jahres einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der | |
| ein Verbot der Entwicklung und Produktion von Waffensystemen auf Island zum | |
| Inhalt hatte. Svava Jakosdottir, Schriftstellerin und aktives Mitglied der | |
| Volksbewegung gegen die NATO–Basen bedauert dies. Sie, deren Bücher die | |
| isländische Frauenbewegung wesentlich mitgeprägt haben und die für die | |
| Fortschrittspartei einige Jahre im Parlament saß, spricht für einen großen | |
| Teil der außerparlamentarischen Opposition, wenn sie die Abhängigkeit ihres | |
| Landes von den USA brandmarkt: „Wir sind immer brav Washington gefolgt, bei | |
| allen Abstimmungen der UN. Auch wenn es um Rassismus und unser Verhältnis | |
| zur Dritten Welt ging. Dies ist eine feige und verantwortungslose Politik.“ | |
| 10 Oct 1986 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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