# taz.de -- Unbekannte Urbaniten | |
> Auf der Suche nach dem neuen Stadtbürger: Im Deutschen Architekturzentrum | |
> forschten die Masterplaner nach Yuppies und fanden – nur arme Ausländer | |
> ■ Von Ulrike Steglich | |
Hans Stimmann, seines Zeichens Staatssekretär für Stadtentwicklung, wollte | |
„nicht mehr länger mit der Stange im Nebel stochern“, sondern es endlich | |
wissen. Wer ist denn nun der „neue Stadtbürger“, für den das „Planwerk | |
Innenstadt“ die Innenstadt massiv verdichten und „attraktive Wohnlagen“ | |
schaffen will? Vor allem aber, wie ist er und wo zu finden? | |
Daß der Masterplan den Anspruch hat, eine neue Identität stiften zu wollen, | |
sollte eine von Stimmanns Verwaltung organisierte Podiumsdiskussion im | |
Deutschen Architekturzentrum nun nach „Definitionssätzen für eine Berliner | |
Identität suchen, in der auch der Begriff des Stadtbürgers keine | |
Provokation mehr darstellt“. Doch offenbar waren sich die Veranstalter über | |
ein positives Ergebnis nicht ganz sicher, jedenfalls wurde der ominöse | |
„neue Stadtbürger“ vorsichtshalber schon im Vorfeld umgetauft und hieß in | |
der Debatte fortan – weniger provokativ? – „der Urbanit“. | |
Auf der Suche nach dem Urbaniten also spürte der Publizist Gerwin Zohlen | |
feinsinnig Kracauer und Döblin hinterher, um anschließend einen epochalen | |
Transformationsprozeß zu konstatieren, nach dem „Stadt nicht mehr | |
notwendig“ sei, sondern eine ästhetische, subjektive Entscheidung. Was dann | |
folgte, waren schlichte Prognosen zu Einwohnerstruktur und sozialen Daten. | |
Kurz zusammengefaßt, gaben die Vorträge von Dietrich Flicke, Referatsleiter | |
der Senatsverwaltung, Lothar Mahnke (Prognos GmbH) und des Stadtsoziologen | |
Hartmut Häußermann ein nüchternes Bild der Gegenwart und der nächsten 15 | |
Jahre: massive Wanderungsbewegungen, Wegzug insbesondere von | |
besserverdienenden Familien mit Kindern, ein Austausch von fast der Hälfte | |
der Bevölkerung, unterm Strich mehr Abwanderung als Zuwanderung, wachsende | |
Zuwanderung von Migranten in die Innenstadt. | |
Alle Innenstadtbezirke bis auf Mitte und Charlottenburg verzeichnen im | |
Sozialstrukturatlas einen negativen Index. Flicke konstatierte, daß der | |
„Urbanit“ nur noch in geringem Maße zuwandern würde, sondern vielmehr sch… | |
da sei: in den Szenevierteln von Mitte, Prenzlauer Berg und Charlottenburg. | |
Häußermann beschrieb eine wachsende Polarisierung zwischen dicht | |
nebeneinanderliegenden Gebieten – neben gentrifizierten, aufgewerteten | |
Vierteln wüchsen in anderen die Tendenzen der Verslumung. | |
Im folgenden drehten sich die Gespräche also nicht um den Urbaniten, | |
sondern um die Berliner Realitäten – insbesondere über den Ausländer als | |
solchen – und gerieten teilweise zur Groteske. Häußermanns Äußerungen, da… | |
über die Hälfte der Zuziehenden mit der Hoffnung auf Arbeitsplätze kommen, | |
die es nicht mehr gibt, und daß der Wegzug deutscher besserverdienender | |
Eltern mit Kindern auch auf den wachsenden Anteil ausländischer Kinder und | |
Jugendlicher zurückzuführen sei, riß Stimmann zu der Frage hin, ob denn | |
diese ganzen kommenden Ausländer wirklich alle so arm seien und ob es nicht | |
auch Diplomatenkinder gebe. | |
Erwünscht sind als neue Stadtbürger also, wie Flicke zugab, eher Zuwanderer | |
aus den alten als die aus den neuen Bundesländern (wegen der höheren | |
Spareinlagen) und – wenn Ausländer – dann die Intellektuellen und/oder | |
Wohlhabenden. Allein: Die Realitäten wollen nicht dem Wunschbild | |
entsprechen. Hartmut Häußermanns Konzept lautet daher, die Bedingungen so | |
zu ändern, daß Leute bleiben können. Segregation ziehe nicht als erste | |
Frage nach sich, was man bauen sollte, und sei auch kein Problem des | |
Standortmanagements. Das freilich wollte Hans Stimmann nicht einleuchten. | |
Eine solche „depressive Diskussion“ könne nur in Berlin stattfinden. Im | |
übrigen, so der Staatssekretär zum Thema politische Steuerung, sei die Zeit | |
des sozialen Wohnungsbaus vorbei, und nicht der Senat werde bauen, sondern | |
„weist bloß Bauflächen aus“. Worauf ein fassungsloser Gerwin Zohlen zu | |
Recht fragte, wozu man hier eigentlich noch debattiere, wenn der Staat | |
keinen Einfluß hätte. | |
Es ist ohnehin schon eine verwirrende Situation: Da gibt die | |
Senatsverwaltung ein Planwerk in Auftrag, das Wohnungen für den neuen | |
Stadtbürger schaffen soll, um eine neue Identität zu formulieren, da wird | |
massiv neuer Wohnraum trotz absehbarer Ab- statt Zuwanderung geschaffen, da | |
sollen attraktive Wohnungen für Yuppies entstehen, obwohl die, die kommen, | |
eher billige Wohnungen brauchen werden. | |
Höchst seltsam aber ist, wenn ein Hans Stimmann zum Schluß der | |
Veranstaltung ratlos in die Runde fragt, „was denn das eigentlich werden | |
soll am Molkenmarkt“ und „wer denn da wohnen wird“. Ja, wer soll dem | |
Auftraggeber des Planwerks diese Frage eigentlich beantworten? Aber ohnehin | |
waren die meisten Zuhörer der Diskussion schon gegangen. Und weit und breit | |
keine Urbaniteninvasion in Sicht. | |
22 Oct 1997 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Steglich | |
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