| # taz.de -- Übriggebliebene Märchentorte | |
| > ■ „Kevin – allein in New York“ nochmal aufgebacken | |
| Der Christbaum steht beim Happy-End nicht in der häuslichen Wohnzimmerecke | |
| wie in Teil eins. Er thront vor dem New Yorker Rockefeller-Center, mit | |
| 25.000 Lichtern geschmückt und von überdimensionalen Rauschgoldengeln | |
| umrahmt. Ein Teil zwei muß immer noch eins draufsetzen. | |
| Kevin, der süße Sauberbub aus Chicago, ist wieder mal allein. Das | |
| verwundert niemanden, steht doch das zwei Jahre alte Original auf Platz | |
| drei in den Top ten der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Diesmal wird | |
| das altkluge Kind nicht zu Hause vergessen, sondern auf dem Flughafen. | |
| Vorher bleibt alles wie gehabt. Abreisetrubel im properen Einfamilienhaus | |
| mt Eltern, Onkel, Tante und der Kinderschar. Nein, nicht nach Paris, nach | |
| Florida soll es dieses Jahr gehen. Der Wecker streikt, der Flughafenbus | |
| wartet, gehetztes Gerenne auf dem Airport. Die Szenen sind wirklich alle | |
| neu gedreht, das läßt sich leicht am veränderten Alter der Kids und an | |
| Mutters neuer Frisur ablesen. | |
| Dann passiert's. Kevin landet zuerst im falschen Flugzeug und dann in New | |
| York. Dort läßt er es sich zuerst einmal im vornehmen Plaza Hotel gut | |
| gehen. Welche Tricks er dabei anwendet: siehe Teil eins. Natürlich hat es | |
| auch die tumben Gangster Harry und Marv in den Big Apple verschlagen. Also | |
| kann alles in bewährter Weise weitergehen. Sie werden durchs Haus gejagt, | |
| diesmal ist es eine verfallene Stadtvilla. Nur die Brutalität in | |
| Comicmanier ist einen Zacken schärfer. Die kriminellen Blödiane bekommen | |
| Stromstöße, glühende Bügeleisen fallen ihnen ins Gesicht, und der Kopf wird | |
| mit der Lötlampe angezündet. Schmackes für TV-gewohnte Kids. Der Realfilm | |
| versucht den Zeichentrick zu übertrumpfen. Leider wirkt es immer ein | |
| bißchen makaber, wenn echte Menschen aus dem sechsten Stock fallen, auch | |
| wenn sie unten nur leicht zerfleddert wieder aufstehen. Sadistischen | |
| Folterspaß mit dem altmodischen Wort „Slapstick“ zu bezeichnen, wie es | |
| Drehbuchautor und Produzent John Hughes tut, ist eine Beleidigung für die | |
| gesamte Zunft derer von Laurel und Hardy. Die feine Kunst, einen einfachen | |
| Umstand zum Auslöser für das totale Chaos zu machen, handelt immer auch von | |
| der Anarchie der Dinge. Hier geht es nur noch um Hau-den-Lukas, je fester, | |
| desto besser. | |
| „Kevin – allein in New York“ wirkt wie eine übriggebliebene Märchentorte | |
| aus der Reagan- Ära, der zwecks Geschmackserhalt nochmals extrasüße | |
| Moralsauce über den angegammelten Teig gegossen wurde. Die ganze Stadt, von | |
| der man kaum etwas zu sehen bekommt, ist ein einziges Konsum-Wunderland. | |
| Selbst Penner können glücklich sein, wenn sie eine positive Einstellung zum | |
| Leben haben. „Du mußt nur dem Stern in deinem Herzen folgen“, rät die zur | |
| obdachlosen Taubenlady mutierte Zauberfee dem weltmännischen Kleinen. Sie | |
| ist die peinlichste der wenigen Figuren- Neuzugänge. | |
| Kevin II ist eine neue Dimension im amerikanischen Mainstream-Kino. Die | |
| Dreistigkeit, mit der hier ideenloses Plagiat als augenzwinkerndes | |
| Selbstzitat verkauft wird – bis hin zu identischen Kamerapositionen an | |
| identischen Schauplätzen – gab es bisher nicht. Das Gesetz der Serie | |
| manifestiert sich nicht mehr in einer Fortsetzung mit gleichen Mustern. Die | |
| Kopie des erfolgreichen Vorgängers, bisher dem B-Film vorbehalten, hat | |
| A-Status erreicht. Die Zeitspanne für ein Remake ist von 20 auf zwei Jahre | |
| geschrumpft. Offensichtlich spekulieren die Macher auf die Vergeßlichkeit | |
| der bilderüberfluteten Konsumenten. In den USA zumindest scheint die | |
| Rechnung aufzugehen: Die Besucher strömen. Gerd Hartmann | |
| „Kevin – allein in New York“. Regie: Chris Columbus. Mit Macaulay Culkin, | |
| Joe Pesci, Daniel Stern u.a. USA 1991/92. | |
| 10 Dec 1992 | |
| ## AUTOREN | |
| gerd hartmann | |
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