# taz.de -- Tribute-Album für Hank Williams: Wie ein Gott verehrt | |
> Verletzlichkeit zeigen - das brachte der Sänger Hank Williams in die | |
> weiße populäre Musik. Bob Dylan gibt jetzt das Tribute-Album "The Lost | |
> Notebooks" heraus. | |
Bild: Der Country-Sänger Hank Williams starb 1952 mit 29 Jahren. Bis heute wir… | |
Vor 15 Jahren trat Woody Guthries Tochter Nora an den britischen Songwriter | |
Billy Bragg und die Chicagoer Band Wilco heran - mit Songtexten ihres | |
Vaters, die er nicht mehr vertonen konnte. Sie wollte Woody Guthrie einer | |
Generation von Hörern vorstellen, die noch nie etwas vom Urvater des | |
politischen Folksongs gehört hatten. | |
Nora Guthrie ließ den beteiligten Musikern freie Hand, war sogar erpicht | |
darauf, dass diese die Lyrics in ein zeitgenössisches musikalisches Idiom | |
übertragen sollten. Das ging auf: "Mermaid Avenue", 1998 erschienen, war | |
gerade deshalb eine Hommage, weil es sich nicht zu tief verbeugte vor dem | |
1967 verstorbenen Songwriter. | |
In diesen Tagen ist ein Album veröffentlicht worden, das ähnliche | |
Entstehungsbedingungen hatte und doch ganz anders geworden ist. Der | |
Countrysänger Hank Williams, der 1952 mit nur 29 Jahren nach exzessivem | |
Alkohol- und Pillenkonsum einem Herzversagen erlag, nahm zu Lebzeiten | |
lediglich 30 Singles auf, wird aber bis heute verehrt wie ein Gott. Vier | |
Notizbücher mit teils fertigen und teils fragmentarischen Songtexten hat | |
Williams hinterlassen. | |
Die "Lost Notebooks" sind auf verschlungenen Wegen nach Jahrzehnten zu Bob | |
Dylan gelangt, und damit zum genau richtigen Nachlassverwalter. Dylan hat | |
aus seiner Verehrung für Hank Williams nie einen Hehl gemacht. In seiner | |
Autobiografie "Chronicles" schreibt er, dass ihm Hanks Stimme "wie ein | |
Elektroschock durch und durch" ging. Nicht nur die Stimme, auch das | |
Songwriting des Countrysängers hat ihn geprägt: | |
"Nach und nach merkte ich, dass in den Aufnahmen der Songs von Hank die | |
archetypischen Regeln der Kunst zu finden waren, wie man einen poetischen | |
Song schreibt. Die architektonischen Formen sind wie Marmorsäulen, und sie | |
waren unverzichtbar. Sogar in seinen Texten ist die Silbenaufteilung | |
mathematisch perfekt. Man kann viel über die Grundlagen des Songschreibens | |
lernen, wenn man seine Alben hört, und ich hörte sie oft und hatte sie | |
verinnerlicht." | |
## Aufrichtiges Sentiment | |
Die Songs von Hank Williams handeln von Gefühlszuständen, die im | |
Nachkriegs-Amerika zwar eine ganze Generation am Wickel hatte - Einsamkeit, | |
Zweifel, Verlustängste. Die aber kaum jemand, und schon gar kein | |
Countrysänger, mit solch aufrichtigem Sentiment auszudrücken verstand. Mit | |
Hank Williams hielt in der populären weißen Musik etwas Einzug, was bislang | |
verpönt war: Verletzlichkeit zu zeigen. | |
"Im so lonesome I could cry" war mehr als nur ein Topos der Liebesrhetorik. | |
Der Song öffnete Schleusen. Die von Bob Dylan kuratierten "Lost Notebooks" | |
werden deshalb nicht ohne Absicht mit einer Ehrerbietung an diesen Song | |
eröffnet. "Youve Been Lonesome, Too" von Alan Jackson klingt wie eine | |
Fortschreibung des Klassikers. | |
Ton, Rhythmus, Instrumentierung, selbst der Gesang scheinen dem Geiste Hank | |
Williams entsprungen zu sein. Auch Bob Dylans charmanter Walzer "The Love | |
That Faded" bedient sich nicht nur des lyrischen, sondern auch des | |
musikalischen Erbguts von Hank Williams. | |
Norah Jones, die sich schon durch ihr Williams-Cover "Cold Cold Heart" auf | |
ihrem Debütalbum als Beiträgerin aufdrängte, lässt "How Many Times Have You | |
Broken My Heart" wie einen Countrysong erscheinen, der sich gleich auflöst | |
- so beseelt und hauchend und ätherisch trägt sie ihn vor. | |
Enkelin Holly Williams macht "Blue Is My Heart" zu einem nett | |
dahinschunkelnden Country-Schlager, und im Background darf auch Hank | |
Williams jr., der in seinen immer mal wieder geäußerten politischen | |
Ansichten die Tea Party noch rechts überholt, mitsingen. | |
## Ehrfurchtsvoller Umgang mit dem Erbe | |
Es klingt auf "The Lost Notebooks" gleichwohl alles sehr nach Hank Williams | |
sen. Man könnte sagen, die Musiker sind mit den überlieferten Texten | |
äußerst respektvoll umgegangen. Niemand - weder Jack White noch Lucinda | |
Williams, weder Levon Helm noch Merle Heggard - bewegt sich allzu weit weg | |
von der Aura des Originals. Das mag mit Bescheidenheit zu tun haben. Mit | |
Ehrfurcht. | |
Vielleicht liegt es aber auch an der Hinterlassenschaft selbst: Alan | |
Jackson erzählt, dass die Melodie einfach aus dem ihm anvertrauten Text | |
herausgesprungen sei. "Ich wollte das Lied als Huldigung verstanden wissen, | |
ich wollte es möglichst nach Hank klingen lassen." | |
Sheryl Crow berichtet von einer ähnlichen Erfahrung - schon beim Lesen der | |
Zeilen sei ein Rhythmus entstanden, der ihr sehr genau vorgab, wie sie den | |
Song singen sollte. "Ich konnte das Tempo fühlen, ich konnte hören, wie er | |
das Lied gesungen hätte, an welcher Stelle er vielleicht gejodelt hätte. | |
Ich hab mir vorgestellt, mit Hank oder der Carter-Familie zusammenzusitzen, | |
um mich in die richtige Stimmung zu versetzen." | |
"The Lost Notebooks" stellt ganz behutsam die Frage, wie es weitergegangen | |
wäre, wenn Hank Williams nicht am 1. Januar 1952 auf dem Rücksitz eines | |
Autos zusammengebrochen wäre. Seinem schmalen Oeuvre werden noch ein paar | |
neue Songs hinzugefügt. Ob dieses Tribute-Album den Mythos Hank Williams | |
auf irgendeine Weise vergrößert, ist fraglich. Aber es kratzt ihn zumindest | |
nicht an. | |
13 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
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