# taz.de -- Trampen ist aus der Mode | |
> Die Jugend von heute kann der etwas anderen Reiseform nicht mehr viel | |
> abgewinnen. Vorbei sind die Zeiten, als sich in Dreilinden die Tramper | |
> stauten ■ Von Christoph Seils | |
„Vier Stunden habe ich auf der Tankstelle Dreilinden gestanden, und dann | |
mußte ich auch noch von Bielefeld den Zug nehmen.“ Vom Trampen ist Julia | |
erst einmal bedient. So etwas sei ihr noch nie passiert, der ganze Tag | |
versaut, und viel Geld habe sie auch nicht gespart. Sommerzeit ist | |
Reisezeit. Doch Trampen scheint in Berlin aus der Mode gekommen zu sein. | |
Viel seltener als noch vor ein paar Jahren sieht man Anhalter an den | |
Autobahnen stehen, die aus der Stadt herausführen. Vorbei sind zumindest | |
die Zeiten, als sich freitags die Tramper stauten. Dabei war dort früher zu | |
Beginn der Sommer- und Semesterferien der Teufel los. | |
Doch trampen ist immer noch die billigste, manche meinen auch die | |
umweltfreundlichste Art des Reisens. „Am schwierigsten ist es, aus der | |
Stadt herauszukommen, danach geht alles viel einfacher“, weiß Kathrin, die | |
mit ihrer Freundin übers Wochenende zum Ausspannen an die Ostsee will. | |
Jetzt stehen sie schon seit über einer Stunde an der Auffahrt Pankow. | |
„Scheißplatz“, flucht die Kunststudentin, „hier ist überhaupt kein | |
Verkehr.“ Angst, ihnen könnte unterwegs etwas zustoßen, haben die beiden | |
nicht. „Wir sind ja zu zweit“, machen sie sich Mut. | |
Slaven schwört aufs Trampen. Ein paar Tage war er in Dänemark jetzt geht's | |
zurück nach Hause. Zwei Tage hin, zwei Tage zurück, in Deutschland läuft | |
das Trampen okay, berichtet der Tscheche. Nur „Berlin ist Scheiße“, | |
schimpft er. Am Adlergestell in Treptow habe ihn zweimal die Polizei | |
weggescheucht. Für sie ist das Adlergestell bereits Autobahn und Trampen | |
damit verboten. Schließlich habe er sich per S-Bahn und dann zu Fuß durch | |
den Wald bis zur Raststätte Waltersdorf durchgeschlagen. Über drei Stunden | |
war er unterwegs. „Die halbe Nacht war ich auf den Beinen.“ Dafür muß | |
Slaven jetzt nur ein paar Minuten warten, bevor es abgeht in Richtung | |
Dresden. | |
Schlagzeilen machen Tramper in der Regel nur als Täter oder Opfer in den | |
Polizeimeldungen. Mal rauben Anhalter die Autofahrer aus, mal ist es | |
umgekehrt. Auch von Unfallopfern, sexuellen Belästigungen oder | |
Vergewaltigungen weiß die Polizei regelmäßig zu berichten. Dabei hat eine | |
Untersuchung des BKA bereits Ende der achtziger Jahre ergeben, daß | |
Sexualverbrechen beim Trampen wesentlich seltener vorkommen, als allgemein | |
propagiert wird, und vor allem wesentlich seltener als im eigenen | |
Bekanntenkreis. | |
Vor der Wende war Trampen in Westberlin das Einfachste auf der Welt. An den | |
Kontrollstellen Dreilinden oder Heiligensee standen an manchen Tagen über | |
hundert Leute gleichzeitig und die Autos hielten teilweise im Minutentakt. | |
Selbst in kleinere Städte Westdeutschland bot sich meist innerhalb | |
kürzester Zeit ein Direkttrip an. Doch die Kontrollhäuschen sind | |
abgerissen, die Autobahnen sind begradigt, der Parkplatz zurückgebaut. Zu | |
Zeiten des rot-grünen Senats wurde in der Stadt erwogen, an den Autobahnen | |
Tramperstellen einzurichten. Zeitweilig zumindest gab es Anfang 1990 in | |
Heiligensee eine von der BVG eigens eingerichtete Tramperhaltestelle. Davon | |
will im Senat heute niemand mehr etwas wissen. Wo einst die Anhalter | |
standen, donnern heute die Autos vorbei. | |
Aber auch jetzt stehen die Tramper häufig auf der Fahrbahn anstatt auf der | |
Tankstelle Dreilinden. Regelmäßig werden sie dort von der Polizei | |
vertrieben. „Anhalter werden dort überprüft, wo sie eine Gefahr für sich | |
oder den Autoverkehr darstellen“, erklärt Petra Niekisch von der | |
Polizeipressestelle. Ansonsten habe die Polizei mit Trampern keine | |
Probleme. Die Zeiten, in denen sich die Polizei bemüßigt sah, zur | |
„Bekämpfung des Anhalterunwesens“ aufzurufen, sind offenbar vorbei. | |
In der DDR war das Bahnfahren zwar extrem billig, einige überzeugte | |
Autostopper konnten es, von der Volkspolizei in der Regel geduldet, auch | |
dort nicht lassen. Doch in Ostberlin stehen nur noch selten Tramper an den | |
Autobahnzubringern Adlergestell oder Prenzlauer Promenade und halten den | |
meist verlegen wegschauenden Autofahrern ihren Daumen oder ihr Pappschild | |
entgegen. | |
Obwohl das Semester zu Ende und das Wochenende nah ist, drücken sich auf | |
der Tankstelle in Dreilinden nur wenige Tramper herum. Jozef ist auf dem | |
Weg von Poznan nach Hannover, um „Freunde zu besuchen“. Peter ist auf dem | |
Weg nach Hause, wie jedes zweite Wochenende. „Wo sind die ganzen Extramper, | |
die heute 'ne dicke Schüssel fahren“, fragt der Medizinstudent nach einer | |
halben Stunde vergeblichen Wartens auf ein Auto nach Kassel. Dietrich will | |
nach Italien. Für ihn ist Trampen immer noch das einzig Wahre. Seit fast | |
zwei Monaten der Saarbrücker jetzt schon „on the road“. Paris, Amsterdam, | |
Oslo, Kopenhagen. Nach ein paar Tagen in Berlin hat ihn wieder der Daumen | |
gejuckt. „Du bist total unabhängig“, schwärmt er und springt hektisch von | |
einem Fuß auf den anderen. Als ein Auto hält, sollte man hinzufügen, denn | |
darauf wartet er schon viel zu lange. | |
6 Jul 1996 | |
## AUTOREN | |
Christoph Seils | |
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