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# taz.de -- Theorie des Saugens: Seeligkeit der letzten Ecke
> Der Staubsauger ist der Inbegriff der heilen Sauberwelt, des Spießertums.
> Doch das leichte Klacken des verschwindenden Drecks im Rohr zu hören,
> macht einfach glücklich.
Bild: Schluss mit störrischen Rädern, hakenden Bürsten und zu kurzen Schläu…
Dieser Streit vor laufender Kamera ist jämmerlich. In einer Folge der RTL2-
Sendung "Frauentausch" liegt BVB-Fan und Möchtergernmacho Uwe auf dem Sofa
seines in zarten Dortmundgelb gehaltenen Wohnzimmers. Der in Farbe und
Esprit blässliche Schnauzbartträger liest Zeitung und krümelt mit seinen
Keksen alles voll. Sofa, Läufer, Laminat. Da tritt die resolute wie adrette
Agnes auf. Sie hat, darum geht es in dieser Sendung, mit Uwes besserer
Hälfte die Familie getauscht, und beschwert sich über die Krümel. Sie
fordert von Uwe, die Schweinerei innerhalb von fünf Minuten zu beseitigen.
Keine Diskussion. Uwe schnippst ein paar Krümel auf den Boden und sagt:
"Normalerweise ist die Frau hier für den Willi zuständig. Und nicht ich."
Mit Willi meint er den Staubsauger.
Uwe stellt sich stur, lässt ein paar Sätze fallen, die Sexismus
suggerieren, gibt jedoch am Ende nach. Uwe nimmt den Willi und saugt seine
eigene Schweinerei auf. Es ist nicht zufällig, dass sich in dieser leicht
gestellt wirkenden Szene die Tauschpartnerin mit dem Mann, der ja noch im
eigenen Heim ist, wegen des Staubsaugens anlegt. Die Tätigkeit des
Staubsaugens, des Haushaltens überhaupt, ist mitnichten eine Banalität,
sondern erzählt uns und anderen, wer wir sind, oder eben auch sein möchten.
Staubsauger kennen auch die in Haushaltsdingen gänzlich Unbewanderten. Man
hört und sieht ihn. Staubsaugen gehört zum modernen Ideal der
industrialisierten wie individualisierten Bodenreinigung wie der Wischmob
zur Fliese. Saugen kann jeder. Das begreift meist selbst das
bildungsfernste RTL2-Opfer und besteht vor laufender Kamera auf einen
gesaugten Boden, bzw. legt im Zweifelsfalle doch selbst Hand an.
Staubsaugen beginnt mit dem, was der französische Soziologe Jean-Claude
Kaufmann in seinem Standardwerk zur Haushaltbetrachtung "Mit Leib und
Seele. Theorie der Haushaltstätigkeiten", 1997, Eröffnungsritual nennt.
Erst wird der Boden von den Resten der vergangenen Wochen befreit. Die
dreckige Wäsche, sollte sie sich auf dem Boden gesammelt haben, landet im
Wäschekorb. Die Zeitungen werden gestapelt. Eine Grundordnung wird
hergestellt. Reinliche Menschen drehen die Stühle um und deponieren sie auf
dem Tisch. Wischen gar vorher Staub. Erst dann wird der Staubsauger aus dem
Kämmerchen geholt. Das Kabel wird ausgerollt, eingestöpselt und das Gerät
angeschaltet. Warme Luft, die einen vertrauten Geruch, nämlich den der
eigenen Wohnung, verströmt pustet aus dem Gerät heraus. Die Stiftung
Warentest empfiehlt übrigens die Wattzahl herunterzudrehen. Die Leistung
wird dadurch nicht wesentlich verringert, dafür Strom gespart und Lärm
reduziert.
Was bestimmt, ob diese Tätigkeit zur Last fällt oder nicht? Es hängt
weniger davon ab, wie faul oder fleißig ein Mensch ist. Eher davon, wie
sehr das Staubsaugen schon in das Körpergedächtnis eingeschrieben wurde.
Das Saugen nämlich ist Gewöhnungssache. Für den, der seine erste eigene
Wohnung bezieht, sich aus den elterlichen Zwängen zur Sauberkeit befreit,
oder vom rigiden WG-Putzplan, muss sich erst noch eine Routine der
Haushaltstätigkeiten einstellen, auch auf der Ebene der Entscheidung. Wer
die routinierte Entscheidung fällt, jeden Dienstag zu saugen, der muss
diese eben nur einmal treffen, nicht immer wieder aufs Neue. Bei der
reflektiven Entscheidung wird noch jede einzelne Handlung, auch die
vorbereitenden Tätigkeiten, überdacht, abgewägt und geplant.
Pedanten fangen an diesem Punkt an, eine "To do" Liste zu führen, die Punkt
für Punkt abgearbeitet werden muss. Oder streiten sich über die
Entscheidung, wie Agnes und Uwe. Routinierten Staubsaugerbenutzern indes
gehen die Handgriffe leichter von der Hand. Die Vorbereitungsaufgaben
schaffen einen Spannungsbogen, der bei der eigentlichen Tätigkeit jäh
implodieren kann. Kauffmann beschreibt diesen Spannungsbogen anhand der
Bügelwäsche. Die Teilnehmer seiner Beobachtung reden über die verschiedenen
Stadien der Vorbereitung, sie müssen einen geeigneten Platz suchen, das
Brett aufbauen, das Eisen einstöpsel und die Wäsche befeuchten. Nicht
wenigen vergeht schon hier die Lust, auch wegen des Wissens, vor einer
Mammutaufgabe zu stehen.
So stellt sich die Frage: Was bestimmt, wie viel Arbeit das Staubsaugen
bereitet. Ist es die Fläche? Schließlich fordert das Einzimmerappartment
weniger heraus als ein Reihenhaus. Oder liegt das Leid in der Akribie, mit
der das Saugritual vollzogen wird? Wirkliche Anstrengung bereitet das
Staubsaugen dann, wenn der Erfolg nicht lange im Einklang mit dem Bild
bleibt, das der Bewohner mit seiner Behausung abgeben zu müssen meint. Zum
spießigen Gäste-WC mit Blümchentapete und Miniaturseifen im Setkasten
passen eben keine Staubflocken. Besonders hart trifft es den zwanghaften
Perfektionisten, der auf der Suche nach dem "just-right-feeling" schon
nervös wird, wenn die Zotteln am Perserteppich nicht gerade nebeneinander
liegen. Er führt einen vierundzwanzig Stunden Kampf gegen den Dreck und die
Unordnung, und scheut keinen Konflikt mit den Nachbarn, die wenig
Verständnis haben, wenn um halb zwölf über ihren Köpfen der hellhörige
Boden gesaugt wird.
Ähnlich belastet wie der Perfektionist fühlt sich der selbsternannte
Aufräummuffel, der nur zu Weihnachten und zur Wohnungsübergabe saugt.
Ähnlich wie bei Uwe, fordert das Selbstbild des Aufräummuffels, gar nicht
erst mit dem Saugen zu beginnen, und einmal angefangen, sofort damit
aufzuhören. Ein zermürbender Konflikt. Wie sehr die eigene Wohnung das
Selbst repräsentiert hängt nicht nur von der Lebenseinstellung ab, sondern
auch von der Familiensituation. Lebt man in der perfekt gekämmten
Single-Wohnung, oder distanziert man sich nicht nur ideologisch, sondern
Abend für Abend auch räumlich von der eigenen Bruchbude, bis die Kneipen
schließen? Lebt man im lebendigen Familienheim, wie Uwe im buttergelben
BVB-Andachtsschrein oder in der herrisch geführten Museumshalle mit der
Dauerausstellung "Zwei Erwachsene, zwei brave Kinder"? Kaufmann berichtet
von einer Mutter, die froh ist, wenn ihre Kinder aus dem Haus sind, weil
sie sich dann ihrem Haushalt widmen kann.
Und warum tut sie das alles? Damit die Kinder es gut haben. Paradox. Die
regelmäßige Beseitigung des Drecks und die Auslagerung des Mülls gehört zu
den Errungenschaften unserer Zivilisation. Die Vermischung von Wohn- und
Müllablagerungsplatz zeigt somit deutlich antizivilisatorisch-regressive
Züge, die von der Gesellschaft und dem Gesundheitsamt nicht goutiert
werden. Staubsaugen mag zwar spießig sein, ein segensreiche Erfindung ist
das Gerät aber doch.
Nicht unbedeutend für die Bereitschaft zum Saugen ist auch das Gerät
selbst. Sowohl ein altes, lieb gewonnenes Gerät, aber auch ein neues, das
den Besitzer mit Stolz an seine Anschaffung denken lässt, wirken
motivierend. Das alte Gerät, soweit funktionstüchtig, wird schon seit
Langem in das Körpergefühl integriert sein. Die Unwägbarkeiten des immer zu
langen oder zu kurzen Schlauchs, störrische Räder, Bürsten, die immer
haken, die eingeschränkte Saugleistung, das alles ist vertraut und stört
nicht mehr. Zumindest so lange nicht, bis der zum Klischee gewordene
Staubsaugervertreter klingelt. Da verwandeln sich diese Nachteile in
Gefahren, die ausgemerzt werden müssen. Mit dem neuen Gerät soll alles
anders werden, einfacher, sauberer. Erst wenn der Sauger die natürliche
Verlängerung des Körpers geworden ist, kann er perfekt beherrscht werden.
Vielleicht meint BVB-Uwe das, wenn er sein Gerät "Willi" nennt.
Tatsächlich aber kann ein neu angeschaffter Staubsauger so viel Freude
bereiten, dass eine neue, grundsätzliche Bereitschaft besteht, Staub zu
saugen. Die Funktionsweise des neuen Geräts muss immerfort getestet und
bestaunt werden. Wäre der "Willi" gerade aus dem Elektromarkt gebracht
worden, Uwe hätte die Diskussion um das Staubsaugen sicher nicht begonnen,
seine Motivation, den Wohnzimmerboden von Chipskrümeln zu befreien wäre
hoch gewesen. Besonders geschickt nutzt Dyson diese Faszination mit dem
Novum aus. Der von James Dyson erfundene beutellose Sauger mit
Zyklontechnologie wird als Revolution verkauft, nur weil jetzt ohne Beutel
gesaugt wird. Diese angebliche Revolution beschreibt Dyson in seiner jüngst
bei Hoffmann und Campe erschienene Biografie mit dem bedeutungsschwangeren
Titel "Sturm gegen Stillstand".
Die zügellose Selbstvermarktung des Staubsaugerherstellers hat nur einen
Zweck, sich und sein Wundergerät im Gespräch zu halten, damit der Kunde
nicht vergisst, dass er ein hochwertiges Premiumprodukt gekauft hat.
Ähnlich geschickt funktioniert der durchsichtige Auffangbehälter als
Marketingmittel. Der Saugende kann ständig verfolgen, wie viel Dreck vom
Boden entfernt wird. Das Prinzip nennt Dyson in seinem Buch übrigens das
"deutsche Klo"- Prinzip. Man sieht den Dreck, und ist froh, dass er weg
ist. Nichts ist dies allerdings gegen das, was die britische Marke "Hoover"
erreicht hat. Diese hat ähnlich wie in Deutschland mit dem
Tempo-Taschentuch gelungen ein De-facto-Begriffsmonopol erreicht: "to
hoover" oder "to do the hoovering" hat sich für das Staubsaugen
durchgesetzt.
Staubsaugen, so Florian Schulz vom Staatsinstitut für Familienforschung der
Universität Bamberg, gehört heute zu den verhandelbaren Tätigkeiten in
einer Beziehung, die auch ein Traditionalist, der alten Rollenbildern
anhängt, übernehmen kann, ohne sich in seiner männlichen Rolle gefährdet zu
sehen. Die Geburt eines Kindes indes, so zeigt die Forschung von Schulz zur
häuslichen Arbeitsteilung im Eheverlauf, reduziert die Neigung der Männer
drastisch, sich am Haushalt zu beteiligen.
In mehr Haushalten, als offiziell zugegeben wird, fällt das Staubsaugen
ganz aus den Verantwortungsbereich der Bewohner. Die Putzhilfe erledigt
dies. Das Anstellen einer Hilfe entledigt nicht nur lästiger Arbeiten, es
ist auch ein Signalement sozialer Stellung jenseits des Spießertums.
Schließlich ist man so - im doppelten Wortsinn - distinguiert, dass man
jemand anstellen und Anweisungen geben kann. Man schafft ein
Machtverhältnis, bei dem man selbst oben steht. Zumindest solange, bis man
das Lieblingshemd nicht mehr findet und bemerkt, dass die Bücher im Regal
umsortiert wurden. Das Staubsaugen eignet sich dabei besonders gut zum
Delegieren, denn anders als beim Falten von Unterwäsche ist das
Intimitätsniveau gering.
NATALIE TENBERG, Jahrgang 1976, ist taz-Autorin und Ordnungsfanatikern. Sie
besitzt einen leicht hakenden Siemens-Staubsauger mit viel zu vollem
Beutel. Vor kurzem hat sie sich einen Handstaubsauger zugelegt.
20 Oct 2007
## AUTOREN
Natalie Tenberg
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