# taz.de -- Täuschender Avantgardismus | |
> ■ Fotos von Lotte Jacobi im Verborgenen Museum, Berlin | |
Die Fotografin Lotte Jacobi war in verschlossene Menschen verliebt. Sie muß | |
dabei eine anstrengende und fordernde Liebhaberin gewesen sein, die auf ihr | |
Gegenüber nur wenig Rücksicht nahm. Ihr dunkles, erotisches Bild von Lotte | |
Lenya, das 1928 während den Proben zur „Dreigroschenoper“ im Theater am | |
Schiffbauerdamm entstand, verrät viel von dieser hemmunglos | |
besitzergreifenden Beziehung. Den Arm schützend vor das Kinn gelegt, wehrt | |
sich die Schauspielerin mit dem harten Blick der Seeräuber- Jenny gegen die | |
Verführung durch die Kamera – nur um sich ihr doch im Moment des Auslösens | |
noch hinzugeben. | |
In den zwanziger Jahren war Lotte Jacobi die Starfotografin der Berliner | |
Kulturbohème. Lotte Lenya und Kurt Weill, Heinrich George und Emil | |
Jannings, Käthe Kollwitz und Kurt Tucholsky – ihre ebenso rätselhaften wie | |
unnahbaren Modelle traf sie auf den Probebühnen oder im „Romanischen Café�… | |
manche wurden auch zu Sitzungen in ihr Atelier eingeladen. Eine Auswahl von | |
rund 80 Fotografien Lotte Jacobis, überwiegend aus den Zwanzigern und | |
Dreißigern, zeigt jetzt das Verborgene Museum in Berlin (nicht weit von | |
Jacobis Studio am Kurfürstendamm 35 gelegen, das die Fotografin 1933 | |
bezog). Gleichzeitig erscheint statt eines Katalogs der Band „Atelier Lotte | |
Jacobi. Berlin–New York“, der Leben und Werk der Fotografin ausführlich | |
dokumentiert. | |
Lotte Jacobis Eltern hatten 1920 ein klassisches Porträtatelier im Berliner | |
Stadtteil Charlottenburg eröffnet, das die Tochter einige Jahre später | |
übernahm. Die Fotografie war noch jung. Sie besaß noch nicht das volle | |
Selbstbewußtsein eines eigenständigen Mediums und diente weitgehend als | |
zeitgemäßer Ersatz für die Porträtmalerei. Eine Dienstleistung für das | |
städtische Bürgertum: Der Fotograf erstellte Familienbildnisse. | |
Die 1896 geborene Lotte Jacobi löste sich schnell von der Tradition, die | |
Fotografien zu bloßen Abziehbildern der Leinwandmalerei machte. Auf einen | |
glatten Bruch verzichtet sie allerdings, indem sie sich ebenfalls gegen den | |
revolutionären Gestus ihrer Kollegen vom „Neuen Sehen“ sperrt. Man Ray und | |
Rodschenko ließen in den zwanziger Jahren erfolgreich den Menschen hinter | |
den Darstellungsmöglichkeiten des neuen Mediums verschwinden. Das | |
Individuum wurde der Kunst zunehmend suspekt, Gegenständliches wurde in | |
Strukturen aufgelöst, der Mensch immer mehr als Abbild der Masse | |
stilisiert. Lotte Jacobi wollte diese Konsequenz nicht ziehen, beherrschte | |
aber dennoch meisterhaft die moderne Formensprache. Ihr Porträt der | |
Tänzerin Niura Norskaya (1929) mit dem schlichten Titel „Head of a Dancer“ | |
fügt sich begeistert der Geometrie, löst die Fläche des Prints in Kreise | |
und Bögen auf. | |
Der Avantgardismus täuscht: So hingebungsvoll ehrlich die Fotokünstlerin | |
Lotte Jacobi gewesen sein mag, den Betrachter ihrer Bilder betrügt sie mit | |
dieser Zeichensprache. In einem Doppelporträt treffen sich die Blicke von | |
Klaus und Erika Mann wie in einem mathematisch durchkomponierten | |
Salongemälde. Erika schaut dem großen Bruder spöttisch in die Augen, Klaus | |
antwortet seiner Schwester in übertrieben arroganter Pose. Der Hintergrund | |
zerfällt in schwarze und weiße Streifen, während die beiden schmale, dunkle | |
Krawatten zu leuchtenden Hemden tragen. Das Foto könnte sich in angedeutete | |
Fluchtlinien, in gerade Blicke, harte Kontraste und konstruierte | |
Linienführungen auflösen. Doch die Abstraktion ist nur ein Spiel mit der | |
Oberfläche. Weiches Licht umspielt die scharfe Geometrie, schmiegt sich in | |
die Hemdfalten und die bloßen Armbeugen. Erikas Spott und Klaus' gespielter | |
souveräner Gestus verlieren ihre Klarheit: Aus dem coolen Prinzenpaar | |
werden zwei schwarzweiße Fragezeichen. | |
Hinter Linien und großzügig aufgetürmten Flächen lauern Brüche und | |
Stimmungen, die sich am Auge des Betrachters vorbeimogeln und sich in | |
seinem Kopf festsetzen. Dort wiederum entsteht aus den Mustern und Flecken | |
ein zweites Bild, das die Fotografie überlagert. Eine Unschärfe-Relation: | |
Statt sich den abgebildeten Personen zu nähern, wirft das genaue Hinschauen | |
immer mehr Fragen auf. Lotte Jacobi, die Liebhaberin rätselhafter | |
Gesichter, liefert in ihren Fotos Menschenrätsel: „All sittings are done | |
personally“ stand zweideutig auf dem Flyer, mit dem Lotte Jacobi, die 1935 | |
emigrierte, für ihr New Yorker Atelier warb. | |
In Deutschland hatte die Jüdin nicht mehr arbeiten können: Ihr Atelier war | |
von den Nazi geschlossen worden, der Bilderdienst des gleichgeschalteten | |
Ullstein-Verlags stempelte ab 1934 den Hinweis „Achtung! Photograph | |
gesperrt“ auf ihre Fotos. In der neuen Heimat, in der Lotte Jacobi 1990 mit | |
bald 94 Jahren sterben sollte, wagte sie dann doch noch Experimente. Sie | |
probierte die kameralose Fotografie aus. Einige der abstrakten | |
„Fotogenics“, die damals entstanden, sind im Verborgenen Museum | |
ausgestellt. Es ist bezeichnend, daß Lotte Jacobi für ihre Versuche die | |
Kamera zur Seite legte und in der Dunkelkammer mit Licht aufs bloße | |
Fotopapier malte: Mensch und Kamera bildeten für sie eine untrennbare | |
Einheit. Ihr Stil, hat sie einmal gesagt, sei der Stil derjenigen, die sie | |
fotografierte. Kolja Mensing | |
Bis 23. 3. im Verborgenen Museum, Berlin (Schlüterstraße 70): Dienstag bis | |
Freitag 13-19 Uhr, Samstag und Sonntag 12-16 Uhr | |
Begleitend erscheint: Marion Beckers/Elisabeth Moortgat: „Atelier Lotte | |
Jacobi. Berlin–New York“. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1997, | |
geb., 224 Seiten, 48 Mark | |
27 Jan 1997 | |
## AUTOREN | |
Kolja Mensing | |
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