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# taz.de -- Sven Regener von "Element of Crime": "Ich war ein Riesenarsch"
> Tanzen oder weinen, das sind die Angebote, die Sven Regener seinen
> Zuhörern macht. Der Sänger der Band Element of Crime über Erdbeereis,
> David Bowie und das neue Album.
Bild: "Wir machen Musik, und ihr fahrt drauf ab und müsst tanzen oder weinen":…
taz: Herr Regener, auf dem neuen Element-of-Crime-Album gibt es den Song
"Am Ende denk ich immer nur an dich". Da wird eine Spielplatzszene mit
einem klecksenden Erdbeereis beschrieben. Sind das die Beobachtungen eines
Vaters, der zu viel Zeit auf Spielplätzen in Berlin-Prenzlauer Berg
verbringt?
Sven Regener: Bei Element of Crime gibt es keine echten Beobachtungen. Wir
machen immer zuerst die Musik. Die Chance, dass eine echte Beobachtung in
die Lieder hineinfließt - unverfälscht, textlich, sich reimend und dann
auch noch genau auf unsere Musik passend -, die ist gleich null. Eher geht
das Atomkraftwerk Krümmel in die Luft.
Warum ist das so?
Ich finde es viel schöner, in der Kunst die Wirklichkeit zu dehnen, zu
biegen und zu brechen. Wir sind schließlich schöpferisch tätig, wir sind
nicht dazu da abzumalen. Aber natürlich: Ich bin kompetent, was das
Spielplatzthema angeht. Mehrere Jahre auf Spielplätzen verbracht zu haben,
verschafft mir, was dieses Thema angeht, eine gewisse Kernkompetenz. Aber
das ist ja gar nicht wichtig, ob ich diese Kompetenz nun habe oder ob das
alles einfach erlogen ist. Wichtig ist mir, dass der Hörer das versteht.
Dass der Song für ihn funktioniert. Uns wird komischerweise die Fähigkeit,
schöpferisch tätig zu sein, immer irgendwie abgesprochen.
Inwiefern?
Es wird einem immer die Frage gestellt, wo denn das reale Vorbild für einen
Liedtext ist. Und das würde ja bedeuten, dass man nicht Schöpfer dieser
Kunst ist, sondern es nur irgendwo abgemalt hat. Da drüben, das Bild zum
Beispiel (zeigt auf eine bemalte Hausfassade) - niemand wird den Maler
jemals fragen, wo er das Bild abgemalt hat. Aber uns fragt man das immer:
Wo hast du das erlebt? Wann ist das passiert? Schriftsteller und Musiker
fragt man das immer.
Sie sind beides, Autor und Musiker. Und offenbar genervt.
Ja, ich empfinde das auf eine gewisse Weise als Kränkung. Weil ich im
Grunde reduziert werde auf die Fähigkeiten eines Reporters. Ich bin ja eben
nicht nur für eine Reportage gut.
Ist das nicht ein wenig übertrieben, Herr Regener?
Man wird ja noch etwas zuspitzen dürfen.
Selbstverständlich, dafür werden Sie ja geschätzt. Aber es muss doch ein
Kompliment für Sie sein, wenn Ihre Songs so stark sind, dass sich Fans an
Stationen ihres eigenen Lebens erinnert fühlen.
Ja, es ist ein Kompliment. Aber es ist eine Beleidigung für meine
Kreativität, wenn sie deshalb glauben, dass ich es auch genau so erlebt
haben muss.
Das haben wir jetzt verstanden.
Mir reicht es einfach, wenn die Leute sich durch die Songs glücklicher
fühlen. Es macht mir großen Spaß, meine Texte zu singen (singt): "Warum
blutet Mutter aus der Nase?" Das ist doch herrlich.
Sie sind Familienvater, Romanautor und der Sänger einer Rock-n-Roll-Band.
Es gibt nicht wenige Menschen, die sich fragen: Wie schafft er das alles?
Immer eins nach dem anderen! Kennen Sie den Film "Zazie in der Metro" von
Louis Malle? Da besucht ein Mädchen mit Namen Zazie ihren Onkel in Paris.
Aber dort ist die Metro im Streik. Sie kann sich also nicht frei in der
Stadt bewegen und soll zu Hause beim Onkel bleiben. Der hat viele Kinder,
und die sollen immer ruhig sein, weil der Onkel tagsüber schläft und nachts
arbeiten muss. Und dann stellt sich irgendwann heraus, dass der Vater
nachts als Transvestit in einer Bar auftritt und damit seine Familie
durchbringt. So in etwa müssen Sie sich auch mein Leben vorstellen. (lacht)
Also ein Doppelleben?
Es gibt von Angela Bowie, der Exfrau von David Bowie, ein Buch über ihre
gemeinsame Zeit. Ein schlechtes Buch, aber es gibt eine gute Sache darin:
Sie beschreibt das Leben der ganzen Lords der englischen Rockszene, mit
denen sie befreundet waren: The Who und wie sie alle heißen. Die lebten
alle wie die Wikingerfürsten. Die hatten sich alle so englische Landsitze
gekauft und waren das ganze Jahr über damit beschäftigt, in Gummistiefeln
die Rosen zu beschneiden, den Garten umzugraben und so weiter. Und einmal
im Jahr zogen sie die Gummistiefel aus, die Lederschuhe und -jacken an,
zogen raus und legten eine Spur der Verwüstung durch die Welt. Und dann
kamen sie wieder zurück in ihr Schloss zur Familie. Dieser Lebensstil hat
mich immer sehr beeindruckt. Sehr englisch!
Man darf nur nicht durcheinandergeraten.
Richtig, man muss dabei sehr pragmatisch vorgehen.
Das neue Album klingt wie ein typisches Element-of-Crime-Album. Einzige
Ausnahme ist das Titelstück "Immer da, wo du bist, bin ich nie". Das hört
sich wie eine Boogierocknummer an. Wie entstehen solche Lieder?
Das Gute an unseren Platten ist, sie klingen immer nur so spontan. Aber das
ist nicht wirklich so. Das ist unser großes Geheimnis. Wir haben sehr viel
Kontrolle über das, was wir machen. Wir sind keine Dödel! Wir wissen, was
wir wollen, und vor allem wissen wir, was wir nicht wollen: keine sterile
Musik. Beim ersten Hören klingen bei Element of Crime immer die groben
Signale. Aber nur weil sich dahinter viele subtile Signale verbergen, kann
unsere Musik die Zeit überdauern. Das ist das Geheimnis einer Platte, die
lange wirkt. Sie muss mehrere Ebenen haben. So wie eine gute
Kriegsoffensive mehrere Angriffswellen hat. Erst zum Schluss kommen die
Veteranen, die richtig draufhauen. Wie bei den Römern.
Wir reden aber nicht von der Songreihenfolge, sondern von Soundebenen,
richtig?
Genau. Man muss auch beim zehnten Mal Hören noch etwas entdecken können.
Das ist, was wir wollen. Wir müssen keine Kontrollfreaks dafür sein. Wir
müssen es nicht steuern. Es passiert einfach! Ich habe übrigens etwas
Angst, dass diese Art von Musik ausstirbt. Tatsache ist doch: Wenn das Geld
für solche Aufnahmen einer Band in einem großen Tonstudio nicht mehr da
ist, dann wird nur noch zu Hause aufgenommen. Aber zu Hause kann man solche
Aufnahmen gar nicht machen.
Man kann den Sound nur noch imitieren?
Ja, die Musik wird auf diese Weise ja auch immer steriler. Da werden wir
als Musiker gefragt sein, wie man in der Zukunft mit wenig Geld solche
Platten produziert. Die luxuriösen Produktionsmittel der Vergangenheit
werden uns nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn die Leute eben nicht mehr
bereit sind, Geld dafür auszugeben. Das ist natürlich schade.
… dass die Qualität der Musik immer schlechter wird?
Es geht uns tatsächlich darum, den Rock n Roll zu retten. Das wird mit
Samples und Heimrecording nicht gehen. Das sind Simulationen. So was klingt
nicht toll und ist nicht glamourös. Das kann höchstens noch über eine
"trashige" Herangehensweise funktionieren. Aber eine, die irgendwie "sexy"
ist. Das wäre dann die Herausforderung.
Aber den Mainstream werden Sie nicht aufhalten können.
Klar, der Mainstreampop wird schmerzfrei und ohne Probleme auf Computern
zusammengeschustert werden. Wie in Zahnarztlaboren. Das wird noch schlimm:
Das Produktionsniveau, das man heute von der Schlager- und Volksmusik
kennt, das wird den kompletten Popmarkt überschwemmen.
Zu viel künstlicher Groove?
Ja, aber es gibt ja Hoffnung. In den USA ist ja die Neofolk-Welle sehr
stark: Devendra Banhart, Coco Rosie und so weiter. Folk ist der neue Punk!
Am Ende wird die aufregende Musik wieder die von Hand gemachte sein.
Der Rest kommt weiterhin aus den Laboren?
Ja, aber es ist einfach nicht schön, Sex mit einem Automaten zu haben,
oder?
Also zurück in die Zeit vor der Plattenindustrie?
Nein, damit hat das nichts zu tun. Es geht hier um Sound, um Entwicklungen
und Gegenentwicklungen. Ende der Siebziger gab es mit der Entstehung von
Punk ein großes Befreiungsmoment. Die Rockmusik war progrockmäßig so weit
verkopft, dass man quasi Musik studiert haben musste, um Rock n Roll zu
spielen. Aber dann kam die Sache mit dem Punk und es hieß: Ihr könnt uns
mal! Wir haben drei Akkorde, das reicht, und deshalb machen wir das jetzt
mal. Und da denke ich heute eben: Der Folkmusiker ist der neue Punk.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass es sich bereits bei Zatopek,
Ihrer ersten Band Anfang der Achtzigerjahre, um Postpunk gehandelt hat?
Wenn das kein Postpunk war, was dann? Wir waren damals alle Postpunks. Wir
kamen ja genau zu dieser Zeit nach Berlin: Zwischen 1981 und 1985. Die Zeit
von No Future, No Wave, No Jazz, Funk Punk …, das ganze Programm.
In einem Fernsehbeitrag über die Westberliner Subkultur von 1983 heißt es:
"In den Hinterhöfen haben sich Maler, Musiker, junge Leute aus der ganzen
Republik einquartiert, weil sie hier mehr Möglichkeiten zur
Selbstentfaltung zu haben glauben."
"Zu haben glauben", das ist sehr schön gesagt. Nein, aber es war eine sehr
tolle Zeit, natürlich hauptsächlich, weil wir damals noch jung waren! Aber
man muss heute sagen: Die erste Hälfte der Achtziger war wirklich gut, die
zweite Hälfte war schwierig. In der ersten Hälfte war es einfach eine
riesige Aufbruchstimmung: Jeder kann Kunst machen, jeder kann dabei sein,
jeder kann eigentlich alles machen. Eine Stunde üben, um im Anschluss
danach sofort aufzutreten.
Aber Sie waren keiner von den sogenannten genialen Dilettanten, Sie konnten
ordentlich Trompete spielen.
Ja nun, ich habe mit fünfzehn angefangen, dieses Instrument zu erlernen.
Ich habe im Spielmannszug des KBW, des Kommunistischen Bundes
Westdeutschland, gespielt. Zatopek war nach dem Spielmannszug meine erste
richtige Band. Aber ob ich da gut war? Ich denke mal nicht. War aber auch
nicht wahnsinnig wichtig, das waren ja nicht die Philharmoniker.
Es ging direkt mit der Musikerkarriere los: Mit Plattenvertrag, Tour und
allem. Das nennt man wohl einen Glücksfall!
Das war tatsächlich der Hammer. Ich kam im Sommer 1982 nach Berlin. Nur
wenige Wochen später lernte ich einen Saxofonisten namens Karl Peter
kennen, bei einem Vorspiel für eine Reggaeband. Der meinte nur, er kenne
ein paar Leute in Neukölln, die würden einen Trompeter suchen, und das
waren eben Zatopek. Es hieß nur "Zieh dir einen Anzug an und du kannst
mitspielen". Und dann gleich Plattenvertrag, Aufnahmen, Tournee …
Haben Zatopek mit ihrer experimentellen Musik zwischen Jazz, Punk und Funk
auch in der Provinz funktioniert?
Was heißt schon Provinz? Wir hatten eine gut besuchte Tour, hatten
Fernsehauftritte und haben auch Platten verkauft. Mein erstes
Spex-Interview habe ich damals übrigens auch gegeben. Da kam gleich die
Frage: "Warum macht ihr keine politische Musik mit politischen Texten? So
wie UB40 und BAP?" Man glaubt es nicht. Auch das war Spex - 1983: "UB40 und
BAP"! Jedenfalls waren Zatopek mein Eintritt in den Rock n Roll für immer.
Ich hatte sofort das Gefühl: Das ist das richtige Leben! Und der Meinung
bin ich heute noch. Es ist ein großes Glück, im Rock-n-Roll-Geschäft dabei
zu sein, denn es ist wirklich das Beste was es gibt. Ein Privileg!
Wie lang ging denn das No-Gewave und No-Gejazze?
Nur bis zum Ende der ersten Tournee. Dann war ich mit der Band zerstritten
und bin ausgestiegen. Sie hatten mich um Geld betrogen. Na ja, dachte ich
jedenfalls, denn ich war auf jeden Fall ein Riesenarsch. Ich habe immer an
allem rumgenörgelt, so die Marke "Scheiß Medien, scheiß Fernsehen", und
trotzdem habe ich bei allem mitgemacht. Geschah mir alles recht! Aber, was
soll ich sagen? Es waren super Leute, zu denen ich teilweise heute noch
Kontakt habe.
Dann waren Sie Mitglied der Band Neue Liebe, aus der dann Element of Crime
hervorging.
Genau, ich habe dann irgendwann gesagt, wir sollten endlich mal aufhören
mit diesem Avantgardekram, wo alle immer spontan durcheinanderspielen, und
mal lieber richtige Songs schreiben, mit normalen Akkordfolgen und so. Und
wir fingen - anfänglich unter Protesten einiger Mitmusiker - damit an. Dann
folgte ein großes Umbesetzungskarussell bis 1985, aus dem schließlich der
Kern von Element of Crime hervorging.
Wie kam es damals zu dem Gesinnungswechsel von Postpunk zurück zur Musik
der 68er? Zurück zur Musik Bob Dylans?
Mit 68 hat das nichts zu tun. Aber tatsächlich: In der ersten Rezension
unseres allerersten Element-of-Crime-Konzerts in der taz schrieb damals
Thomthom Geigenschrey: "Der Sänger soll mal lieber wieder Trompete spielen
und nicht versuchen, Bruce Springsteen und Bob Dylan nachzumachen." Dabei
ist es im Grunde geblieben (lacht). Der Laden war übrigens rappelvoll, weil
zuvor in der taz in einer Ankündigung gestanden hatte: "Neue Band mit
Leuten von Neue Liebe und Fehlfarben." Uwe Bauer, unser erster Drummer, war
vorher Schlagzeuger der Band Fehlfarben gewesen.
Also ist Dylan der Anfang von allem?
Rock n Roll will never die! Wir machen Musik, und ihr fahrt drauf ab und
müsst tanzen oder weinen. So einfach ist das. Darum gehts.
Eine YouTube-Userin schreibt zur Musik von Element of Crime: "Wunderbar,
traurig, aber nicht depressiv. Ein Eiertanz zwischen Melancholie und
Kraft." Herr Regener, warum machen traurige Lieder die Menschen glücklich?
Weil das das Geheimnis der Kunst ist. Insbesondere der Musik. In der Musik
ist das Traurige auch schön. Die Kunst versöhnt uns mit dem Leben. Mit
unserer Existenz. Mit unserer Vergänglichkeit und allem … Um die Ramones zu
zitieren: "Gabba Gabba Hey!" Genau das wollen wir - mehr nicht! Da fällt
mir ein: Es gab mal ein Interview mit dem Schauspieler Wolfgang Neuss, als
er fast schon vergessen war. Das war so eine "Panorama"-Reportage. Er saß
wie ein alter Indianer ohne Zähne in seiner Wohnung auf dem Fußboden,
kiffte und sagte: "Ihr lieben Linken, eins müsst ihr auch mal verstehen:
Egal wofür ihr sonst so steht und kämpft, ihr müsst endlich mal eins
kapieren: Das Leben ist auch schön, das Leben ist schön, das Leben ist
schön!" Er blickte in die Kamera und wiederholte das immer wieder und
wieder: "Das Leben ist schön!" Im Grunde wollte man ihn damit vorführen und
zeigen, wie fertig der Mann eben sei. Und danach kam auch ein
kopfschüttelnder Moderator und missbilligte das. Aber ich saß damals vor
dem Fernsehen und dachte nur: "Ja, Wolfgang! Sags ihnen! Das Leben ist
schön! Das Leben ist schön! Das Leben ist schön!"
11 Sep 2009
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