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# taz.de -- Sprachlos über den Körper
> ■ Eine Bremerin untersuchte C.G. Jung: ein Fall für die Psychoanalyse
Was bringt eine überzeugte Feministin dazu, sich acht Jahre lang intensiv
mit einem Mann auseinanderzusetzen, in dessen Leben und Werk sich
zahlreiche frauenfeindliche Handlungen und Definitionen finden? „Es ging
mir eigentlich nicht um Jung“, sagt Renate Höfer über ihre Untersuchung
„Die Hiobsbotschaft C.G. Jungs — Folgen sexuellen Mißbrauchs“. Ihr Ziel …
vielmehr, die lebenslangen Folgen sexueller Ausbeutung von Kindern und
Jugendlichen (zumeist durch Männer aus dem engsten Bekanntenkreis) deutlich
zu machen.
Die feministische Therapeutin, seit '76 Lehrbeauftragte in Oldenburg und
Bremen und nun an der Weser praktizierend, zeigt dies am Beispiel von
C.G.Jung selbst: Dieser war als Kind von einem „homosexuellen Attentat“
betroffen; die Verdrängung dieses Ereignisses führte bei dem Begründer
einer der beiden großen tiefenpsychologischen Schulen letztlich zu
lebenslanger Frauenverachtung.
Humoriger Freud
In einem Brief an den väterlichen Freund Siegmund Freud beklagt der
32jährige Jung, daß ihn die Erinnerung an das Ereignis als „böser Geist“
heimsuche und entsetzlich bedränge. Freud empfiehlt, den „mißlichen
Erlebnissen mit Humor“ zu begegnen und kommt Jungs Tendenz entgegen, die
Erniedrigung zu verdrängen. Die Ausblendung von Wirklichkeit bestimmt nicht
nur dessen Leben, sondern auch seine therapeutische Praxis und seine
wissenschaftlichen Positionen.
Noch der 76jährige ringt in seiner Schrift „Antwort auf Hiob“ mit der
Schuld des Vaters bzw. des Sohnes, ohne zu benennen, worum es wirklich
geht. Jung entschied, daß „Erinnerungsarbeit“ in der Therapie, als
Auseinandersetzung mit Kindheitserfahrungen, Zeitverschwendung sei.
Sein Leben lang fand Jung keine Sprache für die Beschreibung kindlicher
Sexualität. Das Trauma des sexuellen Mißbrauchs versuchte er, durch
Mythologisierung zu bewältigen: Inzest wird nur noch „symbolisch“ gesehen,
als ein wichtiges Element im von Jung entwickelten Begriff des „kollektiven
Unbewußten“. Dessen Quellen seien, nach der Auffassung Jungs, archaisch und
überindividuell — Märchen, Mythen, usw. spielten dabei eine Rolle.
In seinen Frauenbeziehungen verhielt sich Jung nicht nur im traditionellen
Sinne ausbeuterisch (“Der Mann ist polygam veranlagt“ war seine
Überzeugung, nach der er auch lebte); sein Prinzip der Ent-Wirklichung
leibhaftiger Menschen wirkte auch hier, wie Höfers tiefschürfende Analyse
ans Tageslicht bringt.
So verwandelte er die Anregungen seiner ehemaligen Patientin und Geliebten
Sabina Spielrein in eine „weibliche Stimme“ in ihm selbst, die ihm geholfen
habe, die Idee seines berühmten Anima- Archetypus für die Psychoanalyse zu
entwickeln.
Renate Höfers Buch ist keine Abrechnung. Es ist eine — auch mit dem nötigen
Mitgefühl geführte — Analyse C.G.Jungs. Das Ergebnis der Untersuchung aber
stellt den Mythos eines der Gründerväter der Psycholanalyse doch etwas in
Frage. Höfers Arbeit entzieht so dem Gesamtwerk Jungs den Anspruch auf
universelle Gültigkeit. Andrea Schweers
Renate Höfer, Die Hiobsbotschaft C.G.Jungs — Folgen sexuellen Mißbrauchs.
Zu Klampen, Lüneburg 1993.
12 Jul 1993
## AUTOREN
andrea schweers
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