| # taz.de -- Solidarität mit Bomber-Anne | |
| > NEUKÖLLN Naziaufmarsch, Gegendemo: Der Konflikt um eine Piratin | |
| > kulminierte am Mittwoch vor dem Rathaus. Drinnen beschloss die BVV eine | |
| > salomonische Resolution | |
| VON MARINA MAI | |
| Die Piratenpolitikerin Anne Helm, die in Dresden mit entblößtem Oberkörper | |
| dem britischen General Arthur „Bomber“ Harris für den Luftangriff im | |
| Februar 1945 gedankt hatte, erfährt Anfeindungen – aber auch viel | |
| Solidarität aus den eigenen Reihen. Am Mittwochabend kamen knapp 500 | |
| Demonstranten zum Rathaus Neukölln, viele von ihnen mit Piratenfahnen und | |
| Transparenten, auf denen „Wir sind Anne“ stand. Hier tagte die Neuköllner | |
| Bezirksverordnetenversammlung (BVV), in der Helm sitzt. Die Demonstranten | |
| stellten sich einem Häuflein NPD-Anhänger entgegen, die gegen die | |
| 27-jährige Piratin protestierten. Zehn Rechtsextreme waren zu der von | |
| Landeschef Sebastian Schmidtke angemeldeten Kundgebung erschienen. Die | |
| Polizei musste ihnen den Platz durch die Gegendemonstranten hindurchbahnen. | |
| Dabei kam es zu zu Tomaten- und Eierwürfen und sechs Festnahmen von | |
| Gegendemonstranten durch die Polizei. | |
| In den vergangenen zwei Wochen war Helm, die auch auf dem wenig | |
| aussichtsreichen, aber nicht chancenlosen fünften Platz der | |
| Piraten-Bundesliste zur Europawahl kandidiert, massiven Morddrohungen | |
| ausgesetzt. Im Internet kursieren widerliche Drohungen wie: „Anne Helm ist | |
| einfach nur Menschenmüll und wird hoffentlich bald entsorgt“ – „Sie wird | |
| eine der Ersten sein, die im 4. Reich die gut erhaltenen Öfen von Dachau | |
| testen darf“ oder „Man sollte die Schlampe mitten in Dresden aufhängen“. | |
| Seit Tagen hält sich die Politikerin nicht mehr zu Hause auf. „Ich bin nie | |
| allein und mit wechselnden Autos unterwegs und halte mich an wechselnden | |
| Wohnadressen auf“, erzählt sie. Das Landeskriminalamt habe ihr wegen | |
| unzähliger Mord- und Vergewaltigungsdrohungen Vorsichtsmaßnahmen | |
| nahegelegt. Ihr E-Mail-Postfach und ihr Facebookprofil könne sie nicht mehr | |
| nutzen, weil täglich bis zu 1.000 Kommentare aus der rechten Ecke | |
| eingingen: „Wenn ich das löschen wollte, müsste ich das erst mal an mich | |
| ranlassen. Das will ich mir nicht antun.“ | |
| ## „Ich bedaure meine Aktion“ | |
| Die BVV-Sitzung begann mit einer persönlichen Erklärung der | |
| Piraten-Politikerin. „Ich bedaure meine Aktion in Dresden. Es liegt mir | |
| fern, die Opfer des Zweiten Weltkriegs und ihre Angehörigen zu | |
| verunglimpfen“, sagte sie. Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), | |
| der bei anderen Gelegenheiten gern gegen links genauso wettert wie gegen | |
| rechts, wurde hier erstaunlich klar: „Es kann nicht sein, dass ein Mitglied | |
| unserer BVV mit dem Tod bedroht wird. Jedem, der hier sitzt, gilt der | |
| Schutz dieses Hauses. Die Waffe der Demokraten ist das Wort.“ | |
| Der scheinbaren Harmonie war in den Tagen vor der BVV eine weit weniger | |
| harmonische nichtöffentliche Auseinandersetzung vorausgegangen. Im Internet | |
| kursiert ein Foto, auf dem sich CDU-Mandatsträger und Funktionäre der | |
| jungen Union aus Neukölln freudestrahlend das Nacktfoto von Helm | |
| präsentieren – wie eine Trophäe, die sie gerade erlegt haben. | |
| CDU und SPD hatten eine Entschließung eingebracht, in der sich die BVV von | |
| der Aktion Anne Helms in Dresden distanziert. Die kleinen Fraktionen von | |
| Grünen, Linken und Piraten wollten das nicht mittragen, weil Anne Helm | |
| nicht als Bezirksverordnete, sondern als Privatperson in Dresden | |
| demonstriert hatte, und weil die Drohungen gegen sie nicht einmal erwähnt | |
| wurden. Nachdem sich sogar die Jusos aus Neukölln gegen den ursprünglichen | |
| Resolutionstext aussprachen und sich mit der bedrohten Piratin | |
| solidarisierten, wurde hinter den Kulissen ein Kompromiss ausgehandelt: Die | |
| BVV sollte sich weiterhin von der Aktion der Piratin distanzieren, aber | |
| gleichzeitig die gegen sie gerichteten Drohungen verurteilen. Diese | |
| Resolution verabschiedete die BVV am Mittwochabend dann auch – bei | |
| Enthaltung der Grünen. | |
| Unsouverän ging die BVV mit der Pressefreiheit um. Zahlreiche Fotografen | |
| wurden nicht in den Saal gelassen. Die Mitarbeiterin der taz wurde auf die | |
| Möglichkeit verwiesen, sich auf der überfüllten Besuchertribüne einen Platz | |
| zu suchen – falls sie einen freien Platz finde. Allerdings durfte der | |
| Kollege vom Berliner Kurier, der die Diskussion über Anne Helm angestoßen | |
| hatte, auf den ansonsten frei gehaltenen Presseplätzen Platz nehmen. | |
| 28 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| MARINA MAI | |
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