# taz.de -- Softsex-Film von 1976 erstmals im Kino: Der liebe Gott duscht mit | |
> Scharfe Männlichkeitskritik, Schwulenbefreiungsaktionismus und | |
> Katholenkitsch: Derek Jarmans erster Langfilm, "Sebastiane", kommt 32 | |
> Jahre nach seiner Entstehung in deutsche Kinos. | |
Bild: Softsex und Sandalenhumbug: Szene aus "Sebastiane". | |
Wer mitten in der Wüste duschen will, braucht einen Kübel Wasser und muss | |
ihn über seinen Kopf heben und ausgießen. In "Sebastiane", dem ersten | |
langen Film von Derek Jarman aus dem Jahr 1976, geschieht es zunächst wie | |
beschrieben: Sebastian, der Heilige in spe, steht nackt im Sand und leert | |
kühles Nass über seinen Körper. Er setzt den Kübel ab - und ist in der | |
nächsten Sekunde doch wieder unter Wasserschwällen zu sehen, diesmal hat er | |
jedoch beide Hände frei, um seine wohlgebräunte Athletenphysis im Close-up | |
abzufahren. | |
Continuity-Fehler!, wird der Cineast rufen und spötteln, hier sei Derek | |
Jarmans Libido mit ihm durchgegangen. Der Jarmanianer wird sagen: Nein, | |
dass das Wasser auch ohne Kübel strömt, ist ein Hinweis auf Sebastians | |
Auserwähltheit. Der liebe Gott sendet seinem Märtyrer eine sinnliche | |
Erfrischung aus dem Himmel - und duscht gleich mit! | |
"Sebastiane", von Derek Jarman selbst als ein "huge muddle", als ein | |
"Riesendurcheinander" bezeichnet, bietet auf den ersten Blick tatsächlich | |
einen recht kruden Mix aus Schwert-und-Sandalen-Humbug, Katholenkitsch, | |
schwulem Softsex und kaum versteckten Anspielungen auf Fellinis "Satyricon" | |
und Pasolinis "Trilogie des Lebens". Man könnte das auf Sardinien gedrehte | |
Werk also leicht als ulkige Fußnote zu Jarmans sonstigem Oeuvre, als | |
Kuriosum der Filmgeschichte abtun. | |
Dennoch ist "Sebastiane" ein hochinteressantes Werk. Es ist eine scharfe | |
Reflexion über Male Bonding in der Abwesenheit von Frauen und über die | |
unerbittliche Logik von Hackordnung. | |
Im Jahr 303 nach Christus wird Sebastian, der bis vor kurzem Hauptmann der | |
Prätorianergarde am kaiserlichen Hofe Diokletians war, verstoßen, denn er | |
ist ein bekennender Christ. Er versucht erst gar nicht, sich in dem | |
Wüsten-Außenposten, in den er verbannt wird, zu behaupten. Während Severus, | |
der sadistische Hauptmann des Lagers, ihn lüstern beim Duschen beobachtet | |
und ihm eindeutige Avancen macht - Sebastian verweigert sich -, und während | |
die Soldatenkollegen in der Freizeit das machen, was Soldaten in ihrer | |
Freizeit eben so tun - sich beim Gelage im Schatten eines Baums Spinnen | |
über die Finger laufen lassen, Flöte spielen, markige Sprüche klopfen -, | |
spricht Sebastian schwülstige Liebeslyrik zum Herrgott im Himmel und | |
verweigert sich dem täglichen Schwerttraining. | |
So viel Verhaltensauffälligkeit bleibt nicht ungestraft: Die Soldaten | |
spotten über den Christenweichling bald mit immer grimmigerem Faustballen. | |
Tumbenpatriarchat in a nutshell. Sex haben die Soldaten zwar auch, | |
miteinander, aber das ist im Grunde nur Ersatzsex, sie reden dabei ständig | |
von Frauen, die irgendwo weit weg sind. | |
"Sebastiane" eilt der Ruf voraus, der einzige komplett auf Latein gedrehte | |
Film der Kinogeschichte zu sein. Und er gilt auch als erster britischer | |
Film, in dem schwule Erotik zelebriert wurde. Ersteres mag stimmen, auch | |
wenn sich das, was hier gesprochen wird, aufgrund des britischen Akzents | |
der Akteure selten wie Latein anhört. Letzteres ist ein Gerücht: Zwei Jahre | |
früher, 1974, gab es bereits Jack Hazans "A Bigger Splash", die halb | |
dokumentarische, halb fiktive Biografie David Hockneys, in der Jungs | |
fröhlich nackert im Pool planschten und aneinander herumrubbelten. | |
Von der jugendlichen Unschuld, die Hazans "A Bigger Splash" auszeichnete, | |
ist in Jarmans "Sebastiane" freilich nichts zu spüren. Im Gegenteil: Jarman | |
gerät der Sex besonders sadomasochistisch und von Fatalismus überschattet. | |
Dabei wendet Jarman im Prinzip bereits denselben Kunstgriff des höchst | |
subjektiven schwulen Re-Readings an, mit dem er später auch aus anderen | |
historischen Biografien - Caravaggio, Wittgenstein, Edward II. - Homoerotik | |
herauskitzelte, oder vielleicht auch nur in sie hineinlas. Auf alle Fälle: | |
Während Geschichtsbücher und Christenlexika zum Heiligen Sebastian | |
lediglich verzeichnen, dass dieser zum Tode verurteilt und unmittelbar | |
danach hingerichtet wurde, dass er aber nach seinem Martyrium den Lebenden | |
mehrfach wieder erschien - als christlicher Zombie gewissermaßen -, | |
interessiert sich Jarman für den Auferstehungsmythos nicht. Stattdessen | |
fantasiert er, was zwischen Todesurteil und Hinrichtung passiert sein | |
könnte. So beschert er Sebastian ein paar schrecklich schöne Tage an der | |
Sonne. | |
Das Martyrium am Schluss ist die unfassbarste Szene des Films - nicht nur, | |
weil sie wie die völlig logische Konsequenz aus Sebastians Sonderlichkeit | |
wirkt und die Soldaten keiner Order, weder von Diokletian noch von | |
Hauptmann Severus, mehr bedürfen, um ihn freudig zu eliminieren. Sebastians | |
Sterben wird vor allem unfassbar erotisiert, in schwelgerischen Bildern | |
geradezu ausgekostet, als ginge es um die einvernehmlichste, schönste | |
Hinrichtung der Filmgeschichte. | |
Die Pfeile bohren sich in seinen Leib, ohne dass Sebastiane einmal sein | |
entrücktes Lächeln ablegt. Ein Pfeil schießt geradewegs in seinen rechten | |
Oberschenkel und bleibt stecken. Man fragt sich: Wo, bitteschön, ist hier | |
der Special Effect, wo der Stuntman? War der Hauptdarsteller, Leonardo | |
Treviglio mit bürgerlichem Namen, etwa Masochist und die restlichen | |
Adonis-Darsteller zertifiziert treffsichere Bogenschützen? Was sagte die | |
Produktionsversicherung zu dieser Szene? | |
Vermutlich gab es gar keine Versicherung. Derek Jarman erklärte in | |
Interviews zu "Sebastiane", das Budget für den Film sei derart schmal | |
gewesen, dass er immer wieder einen anonymen italienischen Gönner, der mit | |
dem Film namentlich nicht in Verbindung gebracht werden wollte, anpumpen | |
musste. | |
"Sebastiane" vereint so mit heiligem Ernst und völlig unapologetischem | |
Blick zwischen die Lenden scharfe Männlichkeitskritik, | |
Schwulenbefreiungsaktionismus und wilde Wüstensexhalluzinationen zu großer | |
Politkunst und zugleich hohem Camp - und zu einem Film, der es verdient | |
hat, jetzt, mit 32 Jahren Verspätung, in Deutschland einen Kinostart zu | |
bekommen. | |
15 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Jan Kedves | |
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