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# taz.de -- Sigalit Landau-Austellung in Berlin: Das Grauen des Alltags
> Mit "The Dining Hall" zeigen die Berliner Kunst-Werke die erste große
> Einzelausstellung der israelischen Künstlerin Sigalit Landau in
> Deutschland.
Bild: Der Döner als sichtbarster Ausdruck von "East meets West"
Die israelische Künstlerin Sigalit Landau zoomt sich direkt hinein in das
Grauen des Alltags, versteht sich als Archäologin verdeckter, verschütteter
Gefühle. Zwei Jahre lang formte sie aus jedem Titelblatt der Tageszeitung
Haaretz (Das Land) eine Kugel, damit sie so zu bleibenden Zeugnissen der
ersten beiden Jahre der zweiten Intifada 2000 werden. Ein in Rot getränktes
Archiv, Kriegstagebücher.
Schmerz vermittelt sich dem Betrachter ganz direkt, ob die Künstlerin mit
einem Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht ihre verletzliche Körpermitte
umkreist oder beim Anblick der gehäuteten, gepeinigten Gestalten, die ihr
Werk durchziehen.
Sigalit Landau ist Bildhauerin, Installations- und Videokünstlerin, die
ihre künstlerischen Wurzeln im Tanz hat. Sie sammelt Indizien - in der
Arbeitsweise ihrem Vater, einem Kriminologen, nicht unverwandt - für eine
soziale, kosmopolitische, von Terror und Erniedrigung befreite
Gesellschaft. Sie nimmt dafür Anleihen in Literatur, Philosophie,
feministischen Theorien, in der Body- und in der Land-Art. Ikonografisch
greift sie zurück bis auf Ikarus und St. Sebastian. Auch ihre Sätze sind
skulpturale Setzungen: "A figure is like a frozen performance", und: "Kunst
ist die Möglichkeit, die Tragödie meines Landes zu überleben."
In der Ausstellung der Kunst-Werke, dem Berliner "Institute for
Contemporary Art", folgen wir mit Sigalit Landaus Installationen und
Skulpturen verschiedenen Stationen des uneingelösten Verlangens. Die Räume
sind angeordnet wie die Kapitel einer Erzählung.
The Dining Hall
Der Speisesaal als der zentrale Lebensraum jedes Kibbuz ist der räumliche
Ausdruck der Idee von Gemeinschaft, Gleichheit und des Für- und
Miteinanders, das die PionierInnen der Kibbuzbewegung verband. In ihm
manifestierte sich das ersehnte Ende von Vereinzelung in der Diaspora,
wurde die gemeinsamen Belange einer gemeinsamen Zukunft verhandelt. Die
Mahlzeiten und der Gang danach zum Geschirrband rhythmisierten den Tag
aller. Gabeln wurden zu Gabeln, Messer zu Messern, Teller zu Tellern
gelegt, die gemächlich durch die Waschstraße bewegt wurden, mit dem immer
gleichen tröstlichen Geräusch. Kontrapunkt zum Stimmengewirr im Speisesaal.
Diese Geschichte erzählt Landaus Installation, ein Geschirrband aus einer
der verwaisten Küchen der Kibbuzim. An deren Stelle die Reprivatisierung
des Lebens trat, vor allem für die Frauen. Die Utopie der Intimität hat
sich an die Stelle des kollektiven Wissens der Frauen gesetzt, das, in den
Augen Sigalit Landaus, die Kraft gewesen war, die die Kibbuz-Bewegung stark
gemacht hat.
Mit der Regierungsübernahme durch den Likudblock wurde die staatliche
Unterstützung der Kibbuzim drastisch reduziert und in die Landnahme für die
Siedlungsbewegung gesteckt, was das Ende der Idee des Teilens bedeutete.
Rund 30 von 150 Kibbuzim überlebten, einige wenige ökonomisch erfolgreich.
"Die Kämpfer aus dem Ghetto, die Überlebenden von Warschau verwandelten
sich in Aktionäre des Nahrungsmittelmarkts", bemerkt Sigalit Landau
lakonisch.
Vorbei die Hoffnung auf einen sozialistischen Aufbau des Landes, auf
unhierarchische Geschlechterverhältnisse und friedliche Koexistenz.
Verblasst die Idee der Lebensreformbewegung, das Projekt Israel
gemeinschaftlich zu entwerfen und zu tragen. Die Klangskulptur "The Dining
Hall" singt ihre Weise klagend und leise durch das Tal.
Im nächsten Raum hängen oder liegen dann Dutzende Lüster aus perlendem
Weiß. Trotz ihrer Schwere schweben sie. Zunächst. Erst der zweite Blick
legt den Stacheldraht unter der Salzkruste der Lüster frei und das
Erschrecken darüber.
To cook words and sounds
Wie die Spülmaschine im Kibbuz hat der Herd im privaten Heim der
Einwanderergeneration seine Funktion verloren. Er wärmt und ernährt nur
noch Erinnerungen, die nicht satt machen. Die Herdplatten sind
Lautsprecher, aus denen die Stimmen von vier Frauen dringen, die von
vergangenen Leben und Hoffnungen berichten.
Verlassen auch das Wohnzimmer, in dem einem Bilder und Objekte
entgegentreten, die sich auch mit der deutschen Gemütlichkeit der
50er-Jahre verbinden, als Versprechen auf die Unversehrtheit eines
Zuhauses. Dort, wo in jüdischen Wohnzimmern eine Hanukkia steht, fängt eine
kleine Bronzeskulptur en miniature eine Situation ein, wie man sie zurzeit
oft im Stadtbild von Tel Aviv sieht: Durch Fallrohre an den Außenwänden der
Häuser werden Haushalte entsorgt und damit die Erinnerungen an das Leben
darin. Dazu läuft ein Fernseher mit dem Text eines Interviews, das in
Israel für Furore und Furor gesorgt hat.
Es handelt sich um Interview mit dem Schriftsteller Avraham Burg, das sich
über mehrere Ausgaben der Zeitung Haaretz hinzog. Bis er 2004 alle Ämter
niederlegte, war Burg Berater von Schimon Peres, Vorsitzender der Jewish
Agency, stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Weltkongresses,
Sprecher der Knesset und für 20 Tage Präsident Israels. Avraham Burg
verteidigt im Gespräch sein Buch, in dem er aufruft, "das zionistische
Ghetto" zu verlassen und die Vision eines kosmopolitischen jüdischen Seins
zu entwickeln. Wie Landau arbeitet der Schriftsteller gegen die Erstarrung
an, blickt schonungslos auf die alten, vergangenen Hoffnungen. Für sie gibt
es schon lange keinen gesellschaftlichen Resonanzraum mehr und keine
Schlüssel, die zu Türen und Häusern passen würden. Verlorene Utopien haben
kein Rückkehrrecht.
Döner
"Berlin" steht in blauem Neon am Ende eines schwarzen Tunnels, den man
hinabsteigen muss, um mitten in einer Landschaft von monströsen
Dönerspießen zu stehen. Die geschichteten und gepressten Fleischlappen des
Döner Kebab will Landau bei ihren Streifzügen durch Berlin als sichtbarsten
Ausdruck von "East meets West" bemerkt haben, über ihn dringe die türkische
in die westliche Zivilisation ein wie die Schawama, die arabische Variante
des Döner, in die israelische Imbissküche.
An Drastik wird in diesem Raum, der für Globalisierung, Nivellierung,
Mangel und Überfluss stehen soll, nicht gespart. Man steht in einem
surrealistischen Bühnenbild aus Tonnen von Pappmachéfleisch; in Ruinen, wie
sie von Krieg, Dürre und Hungersnot, Seuche, atomarem Fallout, Inferno oder
dem Schlachtfeld/fest des Kapitalismus rühren, Gammelfleisch inbegriffen.
Sigalit Landau spart nicht an Hinweisen; durch ein Backsteinhaus etwa mit
einer nachgebauten Tür eines Verbrennungsofens.
Lebensgroße anorektische Körper, hautlos alle, bearbeiten die Dönerkolosse,
sind kaum unterscheidbarer Teil von ihnen oder stecken in riesigen Pfannen
und Töpfen aus Kibbuzküchen, die weder Nahrung noch Schutz bieten. Die
Körper sind im Aufbäumen erstarrt. Ein schockgefrorenes Szenario, das den
apokalyptischen Fantasien und kunsthistorischen Referenzen keine Grenzen
setzt. Da flieht das Auge zur ruhigen Fläche zweier leerer Kühlschränke,
die zwar auch ihre Funktion verloren haben, aber in ihrer Umklammerung
etwas Tröstliches haben.
Sigalit Landau ist ihren Materialien treu. Immer wieder ist es das Salz,
unter dem sie Objekte erstarren lässt, das Zeitungspapier, das sie mit
Betonmischmaschinen bearbeitet, das sie rot tränkt und zu Kugeln, Köpfen,
Dönern und Körpern formt, deren Gedärme und Muskeln obenauf liegen wie
Nabelschnüre. Und schließlich die Wassermelonen, die in einigen früheren
Arbeiten ("Dead Sea" and "Standing on a Watermelon in the Dead Sea")
auftauchen und in dieser Installation radikalisiert werden. Die
Wassermelone ist das Gegenbild zur Frucht der Sabra, mit der die nach 1948
in Israel Geborenen bezeichnet werden. Die Sabres, Feigenkakteen, überleben
unter schwierigsten Bedingungen, brauchen kaum Wasser, mit süßem Fleisch
unter harter Schale und feinen Stacheln, die sich bei geringster Berührung
unter die Haut graben.
Open it and it is a wound
Ein paar Barhocker stehen um einen Tisch, der halb Zen-Garten, halb Labor
ist, auf einem weißen Salzkieselbett liegt das nackte, pralle, rote Fleisch
der Wassermelonen, das immer wieder aufs Neue mit Salz bestrichen wird. Je
nach Stadium der Austrocknung sieht es aus wie Innereien, weibliche
Genitalien und herausgerissene Zungen. Ein letztes Mahl für die
Kollektividee des Kibbuz. Die Stationen des unerfüllten Verlangens enden
bei der Skulptur eines sich übergebenden, äußerlich unversehrten Mädchens.
Angesichts des Monströsen dieser Halle ist eine Videoarbeit im Keller, die
die tägliche Feindseligkeit zwischen Palästinensern und Israelis
paraphrasiert, geradezu Erholung für Auge und Gemüt.
Bis 13. Januar, Kunst-Werke Berlin. Der Katalog erscheint im Januar bei
Hatje Cantz und kostet 30 ¤
4 Dec 2007
## AUTOREN
Adrienne Goehler
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