# taz.de -- Sexuelle Übergriffe sind Alltag: „Ich bin kein Opfer“ | |
> Im taz-Blog „Heimweg“ berichten Frauen von sexuellen Übergriffen. Der | |
> Redebedarf ist immens. | |
Bild: Silvester 2016 war kein Einzelfall | |
von [1][KATRIN GOTTSCHALK], stellvertretende taz-Chefredakteurin | |
„Ich habe über den Blog eine Sprache gefunden. Und es ist ein Ort im Netz, | |
den ich teilen konnte, ohne meine eigene Geschichte zu erkennen gegeben.“ | |
Sätze wie diese sind am vergangenen Mittwoch im taz Café immer wieder | |
gefallen – und sollen die Relevanz des „Heimweg-Blogs“ betonen. | |
Dabei sollte die Veranstaltung ein Abschluss sein. Vor einem Jahr startete | |
die taz das Blog, auf dem mittlerweile über 150 Geschichten veröffentlicht | |
wurden, die von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung erzählen. | |
Das Blog begann als Reaktion auf die Silvesternacht in Köln 2015. „Ich war | |
persönlich beleidigt“, berichtet taz-Redakteurin Waltraud Schwab während | |
der Publikumsdiskussion im taz Café. Mit den Übergriffen auf Frauen sei | |
sexualisierte Gewalt plötzlich thematisiert worden, allerdings nur deshalb, | |
weil sie mit Rassismus verknüpft wurde. Geschichten wurde Gehör geschenkt, | |
die man sonst täglich in Deutschland erzählen könnte. Denn sexualisierte | |
Gewalt sei so alltäglich wie der Weg nach Hause. | |
Also bat Waltraud Schwab eine Kollegin, sie solle einfach einmal über ihren | |
Heimweg schreiben. „Die Resonanz darauf war überwältigend.“ Mehr | |
taz-Autor_innen schrieben ihre Geschichten auf – und schließlich auch die | |
Leser_innen. So entstand das „Heimweg-Blog“. | |
## Das Darüberreden fällt schwer | |
Das Darüberreden oder in diesem Fall das Darüberschreiben: Vielen | |
Betroffenen fällt es schwer. Weil sie lückenlose, widerspruchsfreie | |
Geschichten erzählen sollen. Weil es ganz bestimmte Vorstellungen davon | |
gibt, wie sexualisierte Gewalt aussieht. Über diese Bilder schreibt die | |
Autorin Mithu Sanyal in ihrem Buch „Vergewaltigung“, aus dem sie an diesem | |
Abend vorliest. Sie schreibt etwa von Natascha Kampusch, die die | |
Öffentlichkeit verwirrte, weil sie nicht als der gebrochene Mensch in den | |
Medien auftrat, den man sich nach Jahren der Gefangenschaft vorstellen | |
würde. | |
Auch Frauen im Publikum, die ihre Erlebnisse an das Blog schickten, wollen | |
nicht als Opfer gesehen werden. „Wir brauchen ein neues Wort“, meint Mithu | |
Sanyal. Wäre „Betroffene“ besser? Ein Opfer ist passiv. Eine Blogautorin | |
im Publikum sagt explizit: „Ich bin kein Opfer.“ Und auch Lea Wagner, die | |
alle bisher veröffentlichten Heimweg-Texte gesichtet hat, betont: Sie habe | |
da keine Opfergeschichten gelesen, sondern Geschichten von Empowerment. | |
## Geschichten von Empowerment | |
Genau deshalb wollen viele an diesem Abend nicht, dass das Blog geschlossen | |
wird. Mindestens als Archiv möge es weiter bestehen. Und vor allem | |
sichtbarer werden. Gefragt wurde auch, ob es nicht helfen könnte, | |
Geschichten über Gerichtsprozesse zu sammeln? Schließlich würden Übergriffe | |
immer noch zu selten angezeigt. | |
Empowernd ist auch die Veranstaltung im taz Café, mit konkreten | |
Handlungsideen. Was etwa tun bei anzüglichen Blicken im Bus oder im Park? | |
Nora Lessing, Wissenschaftsjournalistin und ebenfalls Heimweg-Blogautorin, | |
berichtet auf dem Podium von einem Erlebnis im Sommer auf dem Berliner | |
Tempelhofer Feld. Während sie auf der Wiese lag und las, holte sich ein | |
Mann nebenan einen runter. Ihre Frage „Sag mal, wichst du da?“ habe ihn so | |
irritiert, dass er verschwand. „Ich hatte das Gefühl, er war verwirrt, weil | |
das Objekt plötzlich gesprochen hat.“ | |
An diesem Abend sitzen viele Subjekte im taz Café. Was ihre Geschichten | |
gemeinsam haben, ist der schlichte Fakt, dass sie erzählt wurden. Und sie | |
sollen weiter erzählt werden. In welcher Form das „Heimweg-Blog“ sich dabei | |
entwickelt, wird sich zeigen. | |
[2][Hier gibt es das Heimweg-Blog zum Nachlesen. ] | |
9 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Katrin-Gottschalk/!a249/ | |
[2] https://blogs.taz.de/heimweg | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
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