# taz.de -- Sendestart US-Serie "Breaking Bad": Its the web, stupid! | |
> Am Samstag startet auf Arte ein neuer TV-Erfolg made in USA (22 Uhr). Die | |
> Serie ist super. Aber vermutlich wird sie kaum jemand sehen, vor allem | |
> nicht die junge Zielgruppe. | |
Bild: Zur Prime Time hat es für die hochgelobte US-Serie nicht gereicht. | |
Die Pistole drückt an meiner Schläfe. Wo zum Teufel bin ich? Wer ist der | |
Typ im weißen Kittel? "Wenn du nur ein Sterbenswörtchen von dem erzählst, | |
was du heute hier gesehen hast, bringe ich dich um", sagt er. Obwohl ich | |
keine Ahnung habe, wovon der Mann redet, möchte ich schreien: "Ich werde | |
ganz bestimmt nichts sagen!" Aber ich kann nicht sprechen. Der Mann | |
schwitzt, rennt in dem Schuppen hin und her. Mein Blick versucht ihm zu | |
folgen. Was macht er jetzt? "Meine Frau und ich bekommen ein Baby, das | |
nicht geplant war und für das wir auch kein Geld haben; mein Sohn ist | |
behindert und ich werde in wenigen Monaten sterben; ich habe nichts mehr zu | |
verlieren", zischt er, nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. | |
Die Pistole kommt näher. Nein, bitte nicht ? Peng… | |
Und dann zeigt der Computerbildschirm wieder die Website | |
[1][www.waltswarning.com]. Auch wenn es nur ein Video ist, mit dem der | |
amerikanische Fernsehsender AMC seine Erfolgsserie "Breaking Bad" im | |
Internet bewirbt, fühlt sich dieser kafkaeske Albtraum, in den man eine | |
Minute lang eintaucht, erstaunlich real an. Das liegt sicher daran, dass | |
Walter White, Protagonist der Serie, direkt in die Kamera spricht - in die | |
Kamera, bei der man das Gefühl hat, direkt dahinter festzusitzen. Und | |
daran, dass man mit Maus und Curser den eigenen Blickwinkel auf das | |
Szenario verändern kann. | |
Dieser Walter White ist übrigens Chemielehrer und erfährt in der ersten | |
Folge von "Breaking Bad", dass er Lungenkrebs hat und bald sterben muss. | |
Weil er seine schwangere Frau nicht mittellos zurücklassen will, sucht er | |
nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen. Und wird zum besten | |
Drogenkocher, den New Mexico je gesehen hat. | |
Der Mann, den Freunde als "Keith Richard mit einem Glas Milch in der Hand" | |
bezeichnen, bricht aus seinem weichgespülten Normalo-Dasein aus und gerät | |
auf die schiefe Bahn. Natürlich bleibt Walters Wandlung zum Drogenbaron | |
nicht ohne Folgen, er versinkt immer tiefer in einen Strudel aus Lügen. | |
"Breaking Bad" besticht vor allem durch schwarzen Humor: Walter White, der | |
sich, als er erfährt, dass er sterben muss, nur um den Senffleck auf dem | |
Kittel seines Arztes sorgt. Und der zu Hiphop-Beats einen totgeglaubten | |
Mann jagt, den er zuvor versucht hatte zu vergiften. | |
Die US-Presse nennt die Serie "das Beste, was dem Fernsehen seit der ersten | |
Staffel von ,The Sopranos' passieren konnte" - am Samstag startet sie bei | |
Arte. | |
Schade nur, dass sie wahrscheinlich kaum jemand sehen wird. Schade auch, | |
dass die, die es sehen werden, wahrscheinlich das altgediente | |
öffentlich-rechtliche Publikum ab 50 sein werden. Dabei sind gerade | |
amerikanische Serien für junge Menschen attraktiv - und könnten den Sendern | |
neue Zuschauer bringen. "Mad Men" erreichte am Mittwochabend mit 0,4 | |
Prozent Marktanteil zwar ordentliche Zahlen für ZDFneo - bei der | |
Hauptzielgruppe der 14- bis 19-Jährigen lag der Anteil aber nur bei 0,2 | |
Prozent. | |
Maue digitale Marktanteile | |
Der Digitalkanal, der für das ZDF ein explizit junges Publikum - also in | |
öffentlich-rechtlicher Terminologie die unter 50-Jährigen - anspricht, fiel | |
aber bereits mit einer anderen Serie auf die Nase: Die Reichweite der | |
ersten Folge von "30 Rock" war so gering, dass sie im nichtmessbaren | |
Bereich lag. Zwar liegt der durchschnittliche Marktanteil des | |
Digitalsenders, der nur circa 40 Prozent der deutschen Haushalte erreicht, | |
bei 0,3 Prozent. Doch zum Vergleich: Die Sendung "Inspektor Barnaby" im | |
August hatte 1,7 Prozent Marktanteil. " ,30 Rock' ist zwar in Deutschland | |
angekommen, aber kaum jemand scheint davon zu wissen", vermeldete das | |
Portal Serienjunkies. | |
Verschlafen die Sender also gerade die Möglichkeit, sich endlich mal wieder | |
auch bei der jungen Zielgruppe zu profilieren? ZDFneo bewirbt seinen Coup | |
"Mad Men" klassisch mit Zeitschriften-, Plakat- und Onlinewerbung - sowie | |
dem Chauvi-Spruch: "Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr | |
auf den Arsch glotzt." Das mag inhaltlich die sexistische Einstellung der | |
Werbemacher um 1960 widerspiegeln, um die es in der Serie geht. Und ist für | |
ZDF-Verhältnisse schon ziemlich provokant. Aber es bleibt Plakat und damit | |
von gestern. Immerhin: Kurz vor Sendestart kam ein Onlinespiel dazu, bei | |
dem man selbst zum Werbekreativen bei der "Mad Men"-Agentur Sterling-Cooper | |
wird. | |
Arte bewirbt "Breaking Bad" unter anderem mit Videos auf seiner Homepage. | |
"Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch wenige Monate zu leben hätten?", | |
werden da etliche Franzosen gefragt. Und sie antworten auf Französisch mit | |
deutschen Untertiteln: dies und jenes, eine Reise und Freunde treffen - das | |
Erwartbare eben. Natürlich sagt keiner: Drogen verkaufen. Daneben setzt | |
aber auch Arte vor allem auf die bewährte klassische Werbung in | |
Programmzeitschriften (die kein junger Mensch liest) und mit TV-Spots auf | |
dem eigenen Sender (der zuerst einmal eingeschaltet sein will). | |
Umfangreiche Netzkampagnen, mit denen AMC in den USA für "Mad Men" und | |
"Breaking Bad" wirbt, gibt es nicht. Neben [2][www.waltswarning.com] gibt | |
es da zum Beispiel [3][www.savewalterwhite.com]. In der Serie versucht | |
Walters Sohn seinem Vater zu helfen, indem er über eine selbstprogrammierte | |
Homepage Spenden sammelt, um seinem schlecht versicherten Vater die | |
Chemotherapie zu bezahlen. Im Netz können die Fernsehzuschauer der | |
herzzerreißenden, fiktionalen Geschichte nachspüren und auf den | |
Spendenknopf klicken - der wiederum zur höchst realen Seite der | |
amerikanischen Krebshilfe weiterleitet. | |
Aber vor allem gibt es "Webisoden", die nur im Internet zu sehen sind. Hier | |
spielen die Schauspieler ausschließlich fürs Internet und füllen so nicht | |
nur die Sendepausen zwischen den einzelnen Staffeln, sondern machen | |
spielerisch Werbung. Und das ist längst nicht alles: Der Sender baut rund | |
um die Serie ein ganzes Universum von realen und virtuellen Referenzen auf, | |
das die Zielgruppe da abholt, wo sie ist: im Netz. | |
"Die jungen Leute schauen sich die Serien auch vielfach auf DVD oder im | |
Internet an", sagt Andreas Schreitmüller, Leiter der Spiel- und | |
Fernsehfilmredaktion bei Arte in Straßburg, über "Breaking Bad". Weshalb | |
die Branche immer wieder über die Zukunft des Fernsehens rätselt. "Wir | |
können und müssen solche Programme zeitgemäßer bewerben", sagt | |
Schreitmüller. Dass man hier noch nicht weiter ist oder zumindest noch ein | |
ganzes Stück hinter den USA herhinkt, liege vor allem an den Kosten und an | |
organisatorischen Gründen, aber: "Da bewegt sich im Augenblick einiges." | |
Auch das ZDF setzt schon seit Jahren Webisoden und Zusatzhomepages ein, | |
sagt Pressestellenchef Walter Kehr. Auch die Marketingkampagne für "Mad | |
Men" sei an der Zielgruppe ausgerichtet, und natürlich nutze man | |
Erfahrungen aus den USA. Die Zuschauerschaft dort sei dabei auch keine | |
besonders junge und die Onlinenutzung mit der in Deutschland nicht | |
vergleichbar. Dabei experimentierte das ZDF schon früh mit Netzmarketing, | |
für sein erstes eScript - die Zuschauer konnten am Drehbuch eines | |
"Wilsberg"-Krimis mitarbeiten - erhielt der Sender 2001 einen Grimme Online | |
Award. Auch Arte ist längst im Netz unterwegs. 2009 lief in Zusammenarbeit | |
mit Myspace zum Beispiel die Web-Video-Reihe "Twenty Show" über die | |
Generation der 20-Jährigen. | |
Ein paar YouTube-Trailer | |
Dass solche Onlineaktionen nicht für amerikanische Serien eingesetzt | |
werden, um jüngere Zuschauer zu gewinnen, ist schade - denn Trailer auf | |
YouTube zum Serienstart und klassische Werbekampagnen reichen nicht aus. | |
Das Vertrackte: Eigentlich machen Sender wie Arte oder ZDFneo (fast) alles | |
richtig: Sie setzen auf Qualitätsserien, die jüngere wie ältere Zuschauer | |
interessieren. | |
Es nützt nur nichts, wenn die Zielgruppe unter 50 nicht zuschaut, wenn | |
Walter White, nur mit einer weißen Unterhose und einem grünen Hemd | |
bekleidet, mitten in der amerikanischen Wüste steht, seiner Familie ein | |
Abschiedsvideo hinterlässt und mit gezückter Waffe die nahende Polizei | |
erwartet. "Wenn du nur ein Sterbenswörtchen von dem erzählst, was du heute | |
hier gesehen hast …" Walters Warnung im Internet klingt so gesehen fast wie | |
eine Prophezeiung. | |
8 Oct 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.waltswarning.com | |
[2] http://www.waltswarning.com | |
[3] http://www.savewalterwhite.com | |
## AUTOREN | |
Diana Aust | |
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