| # taz.de -- Scorsese als Gangster | |
| > ■ Der erste Höhepunkt der Biennale Venezia: „Goodfellas“ von Martin | |
| > Scorsese mit Robert de Niro | |
| Sie sehen aus wie Vater und Sohn, dabei sind sie gleich alt: Martin | |
| Scorsese und Robert de Niro. Seine Vorbilder in der Kindheit, sagt | |
| Scorsese, seien Priester und Gangster gewesen. Als er Die letzte Versuchung | |
| Christi drehte, hatte er noch einen Bart und auch sonst das gepflegte | |
| Outfit eines Priesters. Jetzt ist der Bart ab, seine Haare sind glatt und | |
| glänzend nach hinten gekämmt: Scorsese als Gangster. | |
| Robert de Niro, stand in der Zeitung, wohnt nicht am Lido. Er verstecke | |
| sich in Venedig und habe Angst, auf die Straße zu gehen, Angst vor den | |
| Fans. Ich halte das für Unsinn. Kein Mensch erkennt de Niro auf der Straße. | |
| Auf der Pressekonferenz zu Goodfellas präsentiert er sich wie der Junge von | |
| nebenan, mit T-Shirt und strubbeligem Haar. Das eigene Gesicht als die | |
| beste Verkleidung. | |
| Er stottert, zögert, räuspert sich und sagt: „I agree with Marty.“ Später | |
| langeweilt er sich, betrachtet die versammelte Jorurnaille, schneidet | |
| Grimassen, tuschelt mit Scorsese, zeigt ihm was im Saal - sie lachen. | |
| Wahrscheinlich ist es wie Kino für sie. Scorsese reißt den Mund auf und | |
| lacht tonlos, de Niro zeigt kaum die Zähne, aber seine Augen lachen, die | |
| Falten drumherum und das ganze Gesicht, und doch wäre es falsch zu sagen, | |
| er würde eine Miene verziehen. Im Film ist er am Anfang 27, am Ende über | |
| 50. De Niro kann seinem Gesicht jedes Alter geben. Später wird er beteuern, | |
| wie schön es war, wiedermal mit Marty und den anderen zu arbeiten. | |
| Filmemachen als eine Art Familientreffen: „Familie“ - so nennt sich die | |
| Mafia selbst. | |
| Goodfellas beruht auf einer wahren Geschichte und erzählt die | |
| Mafia-Karriere des Italo-Amerikaners Henry Hill (gespielt von Ray Liotta, | |
| de Niro spielt seinen besten Freund Jimmy) - kein Boss, sondern eine der | |
| kleineren Nummern - von 1955 bis 1980, dem Jahr seiner Verhaftung. Er weiß, | |
| daß er zuviel weiß. Also läßt er sich vom FBI ins amerikanische | |
| Kronzeugenprogramm aufnehmen, bekommt eine neue Identität und packt aus. | |
| „Ich wollte die Geschichte der kleinen Gangster erzählen“, sagt Scorsese, | |
| „ihren Alltag, ihre Art sich zu kleiden, wie sie Spaghetti kochen, ihr | |
| Familienleben, ihre Liebesgeschichten.“ Aber das eigentlich Frappierende an | |
| Goodfellas ist das Tempo. Sekundenschnelle Filmschnitte, unendlich lange | |
| rasante Kamerafahrten (Michael Ballhaus), man spricht, streitet sich, | |
| kommt, geht, heiratet, tötet, ißt, stiehlt und feiert - zweieinhalb Stunden | |
| keine ruhige Minute. Daß Kino eine körperliche Erfahrung ist, lassen mich | |
| immer nur die Amerikaner spüren. | |
| Christiane Peitz | |
| 10 Sep 1990 | |
| ## AUTOREN | |
| christiane peitz | |
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