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# taz.de -- Schweiz finanzierte NS-Kriegsführung
> Eine Studie der US-Regierung richtet schwere Vorwürfe an die Schweiz:
> Neutralität sei nur ein Vorwand gewesen, Schweizer Goldankäufe hätten den
> Weltkrieg verlängert  ■ Aus Washington Peter Tautfest
Die USA haben der Schweiz vorgeworfen, durch den Ankauf von Gold aus
Nazideutschland während des Zweiten Weltkriegs die Kriegsmaschinerie des
Deutschen Reiches finanziell gestützt zu haben. Der am Mittwoch
veröffentlichte sogenannte Eizenstat- Bericht, benannt nach
US-Außenhandelsstaatssekretär Stuart Eizenstat, hält der Schweiz vor, von
allen neutralen Ländern, darunter Schweden, Spanien und Portugal, die
direktesten Verbindungen zu Deutschland unterhalten zu haben.
Dabei war schon vor Kriegsbeginn abzusehen, daß Deutschland sich in die
Pleite gerüstet hatte. „Gold- und Devisenreserven sind bei der Reichsbank
nicht mehr vorhanden“, schrieb Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht am 7.
Januar 1939 an Hitler. Und das war auch den Schweizer Banken kein
Geheimnis. Dort ging man davon aus, daß sich die deutschen Goldreserven
Mitte 1939 noch auf 186 Millionen Dollar beliefen – dennoch nahm die
Schweiz zwischen 1939 und 1945 von Deutschland Gold im Werte von 415
Millionen Dollar in Zahlung. Die Schweiz müsse gewußt haben, meint Stuart
Eizenstat, daß das Gold nur geraubt sein konnte.
Deutschland, dessen Währung nicht konvertibel war, war auf den Verkauf von
oder die Zahlung mit Gold angewiesen, um kriegswichtige Rohstoffe und
Halbfabrikate wie Wolfram aus Portugal, Kugellager aus Schweden und Chrom
aus der Türkei kaufen zu können. Die Alliierten hatten von diesen
Transaktionen Kenntnis und versuchten sie zu verhindern.
Der Skandal geht aber noch weiter. Nach Sichtung von über 15 Millionen
Dokumenten können die Experten der Eizenstat-Kommission nachweisen, daß es
sich bei einem Teil des Goldes auch um solches Gold handelt, das ermordeten
Juden in den Konzentrationslagern abgenommen worden war. Die SS lieferte
das Gold an die Reichsbank, und diese hatte für den Verkauf zu sorgen. Die
erste Lieferung wurde am 26. August 1942 von SS-Hauptsturmführer Bruno
Melmer in einem Lastwagen in die Reichsbank gebracht. Ab der zehnten
Lieferung im November enthielten die Sendungen auch Goldzähne, Zahnkronen
und -füllungen.
Bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch nachmittag zeigte Eizenstat
Beweise: „Hier haben wir die Vergrößerung einer Unterlage der
Edelmetallabteilung der Reichsbank. Wir haben sie selbst erst vor einigen
Wochen im Mikrofilmarchiv entdeckt. Es ist ein Tagesauszug des Melmer-
Guthabens. Oben links der Name Melmer und unten die Positionen: 854 Ringe,
1 Kiste mit Silbergegenständen, 1 Kiste Zahngold.“
Eizenstat konstatiert, unter den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs seien
Moral und Neutralität in einigen der neutralen Länder in einen schwierigen
Konflikt geraten: Neutralität sei oftmals ein Vorwand gewesen, um
moralische Überlegungen zu vermeiden.
Dabei war die Situation der Schweiz besonders prekär. Der Eizenstat-Bericht
unterscheidet drei Phasen der Neutralität: Die erste reichte bis zur
Schlacht um Stalingrad 1942. In dieser Zeit hatte die von Achsenmächten
umstellte Schweiz wahrscheinlich keine andere Wahl, als mit Deutschland
wirtschaftlich zusammenzuarbeiten. Nach Stalingrad aber begann sich das
Blatt zu wenden, und seit der Landung alliierter Truppen in Italien und
dann in der Normandie 1944 bestand für die Schweiz keine Gefahr mehr,
überrannt zu werden – kein Grund mehr, Deutschland über Goldkäufe weiter zu
stärken.
Am schwersten verständlich aber ist das Verhalten der Schweiz nach dem
Krieg. Die Schweiz leugnete zunächst, überhaupt geraubtes Gold von
Deutschland angenommen zu haben, und wenn es Raubgold war, so habe die
Schweiz es in gutem Glauben angenommen. Dann verschanzte sie sich hinter
dem Argument, das Gold sei nach internationalem Recht Eigentum der
siegreich kriegsführenden Macht gewesen, die es mit ebensoviel Recht als
Zahlungsmittel verwenden, wie die Schweiz es annehmen könnte. Schließlich
bestritt die Schweiz die Höhe der angenommenen Goldmengen.
Die Verhandlungen in Washington zogen sich hin, und das Washingtoner
Abkommen von 1946 war schließlich vor allem ein politischer Kompromiß, der
den gewandelten internationalen Bedingungen zu Beginn das Kalten Kriegs
Rechnung trug. Darin einigte sich die Schweiz mit den alliierten
Westmächten auf die einmalige Zahlung von 250 Millionen Franken in Gold zum
Abgleich aller Ansprüche – wollte aber von dieser Verpflichtung schließlich
nichts wissen. Der Vertrag mußte 1952 neuverhandelt und die
Restitutionssumme abermals heruntergesetzt werden.
9 May 1997
## AUTOREN
Peter Tautfest
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