# taz.de -- Schöne neue Arbeitswelt: Selbstausbeutung oder Freiheit? | |
> Die Plattformökonomie: eine gefährliche Entwicklung in der Welt der | |
> Arbeit oder eine Chance? Darüber scheiden sich die Geister, auch auf dem | |
> taz lab. | |
Bild: Wie verändert die digitale Arbeitswelt das Handwerk? | |
Von [1][JANN-LUCA ZINSER] | |
Den Marktplatz von morgen gibt es schon heute. Gab es gestern schon. Nur | |
zeigt sich die Politik reichlich unvorbereitet, was neue Arbeitsmodelle, | |
gerade plattformbasierte angeht. Obwohl sie im Kommen sind, schon lange, | |
ist das Ende der Erfolgswelle kaum absehbar, ebenso wenig wie ihr Anfang. | |
Längst werden sie munter genutzt: von Studenten, von qualifizierten | |
Handwerkern, von Putzkräften. Und auf der anderen Seite von Verbrauchern | |
jedweder Art. | |
Diese neue Ökonomie hat ein dickes Fell, braucht sie auch, denn von überall | |
hagelt es Kritik. Dabei gibt es so verschiedene Ansätze und Systeme, dass | |
man schnell den Überblick verlieren kann und sie aus Unwissenheit über | |
einen Kamm schert. So auch im Mai 2017, als die damalige Arbeitsministerin | |
Andrea Nahles im Rahmen des Evangelischen Kirchentags zur Generalkritik | |
ausholte und mit ihrem Rundumschlag MyHammer, eine Vermittlungsplattform | |
von Handwerksdienstleistungen, erwischte. | |
Anfangs unterboten sich die Handwerker von Systemwegen gegenseitig, die | |
Qualität litt und, wie der Anwalt des Unternehmens Matthias Niebuhr sagt, | |
„man zahlte blutiges Leergeld“. Also krempelte man weiter und in kürzester | |
Zeit das Modell um. Heute zahlen angemeldete Handwerker 60 Euro im Monat | |
und suchen sich ihre Aufträge aus. Über 20.000 Betriebe sind registriert, | |
eine Menge denkt man, verglichen mit der absoluten Zahl an | |
Handwerksunternehmen in Deutschland aber gerade so ein Tropfen auf den | |
heißen Stein. | |
## Es regt sich Widerstand | |
Doch es zahlt sich aus: MyHammer ist börsennotiert, und auf der anderen | |
Seite profitieren Betriebe wie jener von Gerd Artmann, der seit der Nutzung | |
der Plattform vier Leute angestellt hat, um der Auftragslage Herr zu | |
werden. Andrea Nahles entschuldigte sich übrigens im Nachgang in einem | |
Brief, welcher der taz vorliegt. | |
Sie hatte aber keineswegs pauschal Unrecht: Anders strukturierte | |
Plattformmodelle, wie zum Beispiel die Putzkraftvermittlung Helpling, | |
bewegen sich rechtlich wie moralisch mindestens in Grauzonen, es wird mit | |
vernünftigem Stundenlohn geworben, aber wohl in Scheinselbstständigkeit | |
gearbeitet. Solche Tricks sind nicht neu und sicher nicht der | |
Plattformökonomie eingefallen, die Unternehmen prädestinieren sich aber | |
dafür. | |
Mächtig in der Kritik stehen auch Kurier- und Lieferdienste wie Foodora und | |
Deliveroo, die sich in ihren Beschäftigungsangeboten aber auch wieder | |
unterscheiden. Unter den vielen Studenten, die teilweise auch angestellt | |
sind, regt sich jedoch seit Längerem Widerstand, der bislang, sehr zum | |
Missfallen der Unternehmen, in gewerkschaftlicher Organisation und der | |
Gründung von Betriebsräten mündete. Aber hier wie anderswo gilt es auch die | |
unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wenn schlecht qualifiziertes | |
Personal sozialversicherungsunpflichtig scheinangestellt wird, ist das eine | |
gefährliche Entwicklung, und die Politik sollte schleunigst dagegen | |
vorgehen. | |
## So viele Tücken wie Chancen | |
Wird jedoch Schülern und Studenten ein Minijob mit flexibler | |
Arbeitszeiteinteilung oder Handwerkern die Chance auf Expansion geboten, so | |
ist das eine gute Sache. Zenjob beispielsweise ist ausschließlich Studenten | |
zugänglich. Nach einer Blitzeinarbeitung können sich Interessierte per App | |
für kurzfristige Kleinsttätigkeiten vom Spüldienst bis zum Promojob auf der | |
Messe bewerben. Die erste Hälfte des Gehalts gibt es – für Studierende | |
nicht unpraktisch – gleich am nächsten Tag. Und die zweite am Monatsende | |
gegen digitale Einreichung der Unterlagen, die man zu jedem Auftrag | |
bekommt. Immer mindestens 11 Euro die Stunde. So viel gab es früher beim | |
Zeitungsaustragen kaum. | |
Die Quintessenz bleibt, dass die Politik sich intensiv mit | |
Plattformökonomie auseinandersetzen sollte, sich auf weiteren Zuwachs | |
vorbereiten muss, um bei Fehlentwicklungen frühzeitig eingreifen zu können. | |
[2][Gig Economy], so der aus Amerika stammende Begriff dafür, ist ein | |
riesiger Markt, der beständig und vor allem schnell wächst. Er bietet | |
mindestens so viele Tücken wie Chancen, vor allem wenn die Politik, ob | |
eigener Unwissenheit, unfähig ist, regulatorisch einzugreifen. | |
Verfluchen sollte man sie aber ebenso wenig. Studenten verdienen oft mehr | |
als beispielsweise Hilfskräfte in Universitäten, und auch wenn nicht alles | |
glatt läuft, lernen sie früh, selbst als geringfügig Beschäftigte, sich | |
gewerkschaftlich zu organisieren. Eine tragende Säule unserer | |
Sozialsysteme, die zuletzt gerade von jungen Menschen schmerzlich | |
vernachlässigt wurde. Und wo in der Arbeitswelt läuft schon alles glatt? | |
Über Gig Economy diskutieren wir auf dem taz lab mit [3][Mathias Niebuhr], | |
Justiziar der MyHammer AG, und [4][Georgia Palmer], Fahrradkurierin. | |
26 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jann-Luca Zinser | |
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