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# taz.de -- Schnauf, schnauf, den Brocken hinauf
> Die Brockenbahn im Harz sucht Nachwuchs. Ein Tag mit Dampf, den Brocken
> hoch
Bild: Als zukünftiger Lokführer braucht man Leidenschaft – und Kraft
Von Timo Lehmann
Dampf ist gut, denn er kann einen nach ganz oben bringen, auf den Gipfel,
näher zu den Sternen. Was es dafür braucht ist menschliche Finesse, eine
Wundermaschine, wie sie es seit 1712 gibt. Eine Idee revolutionierte damals
die Welt, und sie bringt bis heute jedes Jahr eine Million Menschen auf
Norddeutschlands höchsten Gipfel, auf den Brocken. Diese Reportage erzählt
von der Dampfmaschine im Harz und den Menschen, die sie lieben.
An einem nebeligen Septembermorgen auf dem Bahnhof der Brockenbahn in
Wernigerode. 8 Uhr, Schichtbeginn für Lars Fischer, 46 Jahre alt, und Hans
Reichelt, 26. Es brummt und bollert, Ölschmieren und Kohlebrocken liegen
rund um das Gleis, die beiden schwarz gekleideten Männer umlaufen schnellen
Schrittes die große Maschine. Mit ihren Tüchern putzen und ölen sie die
Einzelteile der „99-236“; der schwarz-roten Lok, seit 62 Jahren in Betrieb.
Schön soll sie aussehen, wenn die Touristen an den Bahnsteigen mit ihrem
Smartphones und Kameras fotografieren, sagt Hans Reichelt. Er ist der
Lokführer der traditionsreichen Brockenbahn. Fischer ist dafür zuständig,
die Bahn zu heizen. Drei Tonnen Kohle schütten sie mithilfe eines Krans in
die Bahn, acht Kubikmeter Wasser füllen sie ein.
Die „Brockenbahn“ fährt seit 1898 auf der einen Meter breiten Harzer
Schmalspurbahn, dem mit 140 Kilometer längsten Streckennetz Europas, auf
dem noch eine Dampflok fährt. Zwei Stunden braucht sie für die Fahrt. Für
die eher strukturschwache Region ist die Bahn wichtig: Einer Studie der
Hochschule Harz zufolge wird jeder achte Euro von der Schmalspurbahn oder
ihren Gästen in der Region umgesetzt. Wenig verwunderlich also, dass eine
Nachricht im Frühling in der Region für Aufregung sorgte: Der
Schmalspurbahn fehlt Personal, insgesamt sechs Dampflokheizer.
Lars Fischer sitzt in einem wenige Quadratmeter großen Führerraum der Lok.
Er könne sich nichts anderes vorstellen, sagt er. Die Bahn nimmt langsam
Fahrt auf. Fischer und Reichelt drehen an Rädern, rütteln an den Hebeln. Es
rattert und zischt. Zwischendurch schauen sie aus dem Fenster, sie müssen
die Strecke im Blick behalten.
Lars Fischer arbeitet seit sechs Jahren als Heizer, vorher war er
Kfz-Mechaniker. Von einem Nachbarn erfuhr er, dass sie bei der Brockenbahn
Heizer suchen. Fischer, ein wortkarger Mann, stieg zur Probe ein, er
interessierte sich schon sein ganzes Leben für Dampfmaschinen. Heiß,
dreckig, laut: Er wusste sofort, das ist es.
Reichelt ist mit 26 der jüngste Lokführer im Unternehmen. Er machte die
Ausbildung bei einer historischen Dampfbahn als Industriemechaniker nach
der Schule. Im Normalfall müssen die Absolventen einige Jahre in der
Werkstatt arbeiten, dann als Heizer, dann die Weiterbildung zum Kesselwart
absolvieren und schließlich zum Lokführer. Reichelt, ein kräftiger, großer
Mann, stieg schneller auf.
Wann muss man Kohle nachlegen? Die Männer zeigen auf das Ziffernblatt, das
den Druck im Kessel anzeigt. Aber vor allem: „Reine Gefühlssache“, sagt
Reichelt und legt den Hebel um, der die Klappe zum Ofen öffnet. Fischer
sticht mit lautem Scheppern in den Kohleschacht. So hell ist es, man kann
kaum in den Ofen schauen, es wird heißer. Fischer blickt rein, ein
Schweißtropfen perlt auf seiner Stirn: Je nachdem, wo ein Loch im Kessel zu
sehen ist, ist die Steinkohle abgebrannt, muss neue aufgeschüttet werden,
erklären sie. An manchen Tagen steigt die Temperatur im Führerraum auf 70
Grad. Kohle rein, Klappe zu. Was heißt nach Gefühl?
„Na ja, das muss man lernen“, sagt Fischer. Sechs Wagen hängen an der Lok,
auch die Witterung, die Temperatur und natürlich die Steigung beeinflussen
den Kohlebedarf. Auf jede Schaufel passen rund 12 bis 15 Kilo Steinkohle.
Die Loks sind 30 Tage unter Dampf, auch nachts muss Kohle nachgeschippt
werden. Um genau zu lernen, wie das funktioniert, dauerte es ein paar
Monate.
Nachdem im Frühjahr die regionalen Zeitungen über den Fachkräftemangel
berichteten, bewarben sich mehr als 150. Nicht alle waren geeignet. So
meldete sich etwa ein 72-jähriger Professor, der schon immer mal „bei einer
Dampflok arbeiten“ wollte.
Die beiden sagen, viele haben eine falsche Vorstellung von diesem Beruf.
Man brauche vor allem die Leidenschaft für die alte Technik und körperliche
Kraft.
Nach dem ersten Stopp steigt Joshua Redenz, 18, in den Führerraum. Reichelt
ist auch für die Azubis verantwortlich. Heute dürfen die vier Lehrlinge das
erste Mal mitfahren. Sie sollen abwechselnd nach vorne in den engen
Führerraum kommen. „Jetzt“, sagt Fischer und nickt Joshua zu. Er schaut
kurz irritiert umher, nimmt die Schippe in die Hand, schaufelt Kohle drauf.
Klappe auf, Blick in den Ofen, verzerrtes Gesicht, das Feuer blendet,
einige Brocken fallen von der Schippe, rein die Kohle, Klappe zu. Warum sie
keinen Blendschutz für die Augen tragen, erklären die Dampfbahner mit
Tradition: Wer mit Handschuhen und Sonnenbrille herumwerkelt, der verliere
den Kontakt zur Maschine. Joshua nickt zustimmend, noch immer kneift er
seine Augen zusammen. Später wird Fischer zu Reichelt sagen, der Joshua
mache das schon ganz gut.
Gegen Mittag trifft die Bahn auf dem nebeligen Gipfel ein. Die vier
Auszubildenden werden von Reichelt nach vorne gerufen und reihen sich auf.
Sie kriegen Lappen in die Hand gedrückt und wischen im Nieselregen los. Ein
Dutzend Rentner umkreist die Truppe mit ihren Fotoapparaten. Reichelt nimmt
die Führermütze ab und lächelt zufrieden den Touristen zu, die eifrig
knipsen. Die Showeinlagen gehören zum Beruf dazu, sagt Reichelt.
Talabwärts sitzt der Nachwuchs im Waggon. Gesprächsthema: Dampfloks. Wie
immer, sagen sie. Maximilian, 17, Karl, 18, Lukas, 19 und Joshua sind vor
einem Monat nach Wernigerode für die Ausbildung gezogen, erstmals weg von
ihren Eltern. Alle engagierten sich vorher in historischen Lokvereinen:
Maximilian und Lukas im Erzgebirge, Karl auf Rügen und Joshua in Shellburne
Falls, Massachusetts. Dort lebte er die vergangenen Jahre mit seiner
amerikanischen Mutter, er wuchs aber in der Nähe von Hamburg auf. Die
Shelburne Falls Trolley in den USA reichte ihm nicht, sagt er. Alle vier
wollten ihr Hobby zum Beruf machen. „Es geht doch im Leben darum, das zu
machen, was einem Spaß macht“, sagt Maximilian. Joshua flog eigens für das
Vorstellungsgespräch von den USA nach Deutschland. Nach mehrstündigem Test
mit Mathe- und Technikfragen und einem Vorstellungsgespräch konnten die
vier ihre Ausbildung Anfang August 2017 beginnen.
Der nächste Halt steht an, eine andere Dampflok steht auf dem Nebengleis.
Die Jungs schauen aus der Fensterluke. „Welche ist es? Die 38?“, ruft Lukas
fragend. „Ne, die 43.“
Die Bahn fährt an einem Tal vorbei, der Regen hört auf, die Sicht weitet
sich. Statt Nebel sind nun die bewaldeten Bergweiten des Harzes zu sehen.
„Regenbogen“, hört man einen Fahrgast in einem Wagon rufen. Die Gäste
reißen die Fensterklappen auf, es ruckelt. Über das Tal erhebt sich der
Bogen.
Die Ausbildung der vier wird dreieinhalb Jahre dauern. Das Ziel haben sie
schon fest vor Augen: Später möchten sie auch mal im Führerraum der Lok
sitzen, so wie Lars Fischer und Hans Reichelt, und dann den Brocken
hinaufdampfen.
7 Oct 2017
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