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# taz.de -- Schimmerndes Polarlicht: Faszinierend gleichförmige Einsamkeit
> Wer ins Wildnisdorf Solberget an den Polarkreis fährt, entscheidet sich
> für ein Leben fernab gewohnter Zivilisation. Dafür gibt es absolute
> Stille, unendliche Winterlandschaften und einen anderen Lebensrhythmus
Bild: Eisblumen am Fenster
Es ist dieser Moment frühmorgens. Kurz nachdem man sich aus dem wohligen
Schlafsack geschält hat. Rund um das längst erkaltete Feuer im gusseisernen
Ofen hat es gerade mal zehn Grad. Morgenlicht dringt durchs Fenster,
gebrochen von Eisblumen. Man tritt aus der Türe und am dämmernden Horizont
über den fernen Nadelwäldern hängt der halbe Mond. Das einzige Geräusch ist
das Knirschen des pulvrigen Schnees unter den Füßen. In kleinen Schwaden
steigt der trockene Atem in die klare Luft auf, es mag fünfzehn Grad unter
Null haben. Und doch ist es auf der Haut angenehm frisch.
Nein - es ist nicht die ganze Zeit finster hier am Polarkreis in
Schwedisch-Lappland, nicht einmal im tiefsten Winter. Ehe die Sonne das
erste Mal wieder über der Lichtung zu erahnen ist, Ende Januar, da geht die
Morgendämmerung noch nahtlos in jene des Abends über. Gegen drei Uhr
nachmittags wird es dunkel.
Wildnisdorf Solberget nennt Dirk Hagenbuch sein weitläufiges Ensemble aus
verstreuten schwedenroten Holzhäuschen, entstanden auf dem ältesten Hof
Lapplands, auf acht Hektar Land. Es ist der einzig bewohnte Ort im Umkreis
von gut 20 Kilometern. Ein Ort für Einsamkeitssucher und Bücherleser,
Wochenaussteiger und Skandinavienbegeisterte, Selbstbauigluschläfer und
Skifahrer. Bis auf den heutigen Tag gibt es hier keinen Stromanschluss,
kein fließend Wasser, keine Zentralheizung, keine Badezimmer. Dafür
absolute Stille, richtigen Winter, unberührte Natur, entlegene
Landschaften. Ein Dasein fernab jeder städtischen Zivilisation und Hektik.
Eines, das entschleunigt, dem Leben alsbald einen anderen Rhythmus
vermittelt. Natürlicher, nachhaltiger. Alles, was zu Hause
selbstverständlich erscheint, braucht, nein, nimmt sich hier seine Zeit.
Trinkwasser etwa. Es fließt nicht einfach aus irgendeiner Leitung. Also
nimmt man seinen Kanister, dazu den hölzernen Schlitten. Und zieht in den
Wald, vorbei an all den Rentieren, einem liebevoll ausgebauten
Holzfällerbauwagen, einem Örtchen, das wirklich still ist. Vorbei an den
Eiszapfen am Saunahaus, dessen Fenster ein wenig aussieht, als kämen sie
aus einer Jugendstilkirche. Ein Stück weiter führt ein verschlungener Pfad
zwischen tief verschneiten Bäumen hinab zu einer Quelle. Langsam fließt das
glasklare Wasser an die nur leicht gefrorene Oberfläche.
Bis 1960 wurden auf dem Hof 170 Jahr lang Pferde, Kühe und Ziegen gehalten,
Kartoffeln angebaut. Die letzte Bewohnerin lebt heute in Nattavaara, dem
benachbarten Dörfchen, mehr als 20 Kilometer entfernt, auf halber Strecke
zwischen Luleå und Kiruna gelegen. Jenseits dessen gibt es hier nichts als
Wälder, Moore und Schotterpisten und Einsamkeit. Und wenn doch mal ein
Fahrzeug vorbeifährt, ist das ein Ereignis. Meist wird es ein Gigaliner
sein, hinten dran zwei Auflieger, voll mit Baumstämmen aus den umliegenden
Wäldern. Eine Erinnerung an die Brüchigkeit dieses Idylls.
Dirk Hagenbuch lebt seit mehr als zehn Jahren hier draußen. Mit seinem
Vollbart, der schmalen Brille, seinen langen braunen, zum Pferdeschwanz
gebundenen Haaren sieht der 39-Jährige noch immer ein wenig aus wie der
Sozialpädagoge, der er einst war. Anfang der Neunziger reiste der gebürtige
Badener das erste Mal nach Solberget. Und dann noch mal als Leiter von
Öko-Freizeiten und noch mal als Helfer. Er sah und wollte bleiben, wanderte
aus, kaufte das Gehöft vor nunmehr sieben Jahren. Und betreibt jetzt
Öko-Tourismus. Was er macht, soll nachhaltig sein, was er kauft, aus der
Region kommen. Für den Strom etwa gibt es eine Solaranlage auf dem Dach,
und, ja, sie funktioniert sogar im Winter. Und wenn er mit seinem alten
Volvo-Kastenwagen nach Nattavaara in den Supermarkt fährt, dann nicht nur,
weil es eben der einzige ist im Umkreis von gut 50 Kilometern. Sondern um
die hiesige Wirtschaft zu unterstützen. Er kämpft für die Lebensbedingungen
der Menschen hier draußen, dafür, dass die kleine Schule und der nahe
gelegene Kindergarten bleiben.
Die Rentiere, die mit ihm hier eingezogen sind, die hat er selbst gezähmt -
etwas, was sonst kaum einer mehr kann hier oben. Trotzdem bleiben sie wilde
Tiere, auch wenn man sie im Geschirr, fünf Ponys gleich, vor fünf
Holzschlitten spannt. Ein energischer Ruck am Halfter, ein lautes "Jiu!
Jiu! Jiu!" versetzt diese Rentierkolonne in Trab. Doch die Kontrolle hat am
Ende doch Amor: das Leittier. Wenn er stehen bleibt, bleiben sie alle
stehen. Verfällt er ihn Galopp, dabei mit die Beinen elegant nach links und
rechts schwingend, dann galoppieren sie alle. Herdentiere eben. Nach vorne
blickt der Kutscher auf ein kuschelige Schwänzchen, ein mächtiges Geweih,
hinten sieht man in das schnaufende Gesicht des nachfolgenden Rentiers. Und
drumherum die Unendlichkeit unberührter Kiefern- und Birkenwälder in einem
Meer aus funkelnden Schneekristallen.
Dirk hat die Tiere von seinem Nachbarn Lars gekauft, einem lange ergrauten
samischen Rentierzüchter, der gut 40 Kilometer entfernt wohnt. Manchmal
kommt er noch vorbei, im traditionellen Gewand mit Rentierfellschuhen und
im Pick-up. Er erzählt dann am Feuer von den alten Rentierzüchterzeiten.
Abends trifft man sich zumeist in der Sauna, die einem zugleich das warme
Duschen im Schein einer Petroleumlampe ermöglicht. Und während drüben in
der großen Küche des Gästehauses noch, sagen wir mal: hausgemachter
Elchbraten oder Lachs auf Salzkruste serviert wird, muss einer aus der
Runde schon mal den Saunaofen anheizen. Eineinhalb Stunden und viele
Scheite gespaltener Birke wird es dauern, ehe es dort drinnen rund um das
prasselnde Feuer 80 Grad hat. Kalt duschen erübrigt sich. Man geht einfach
vor die Türe.
Vielleicht hat man Glück. Im Norden schimmert das Polarlicht. Ein
Schleiertanz der Farben. Grün, violett, rot. Feuernebel. Und der Schnee
glänzt kalt in die klare Nacht, alles ist frostscharf umrissen. Der
schillernde Himmel sternenklar. Schweigen.
9 Jan 2010
## AUTOREN
Jan Zier
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