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# taz.de -- Schaulager Basel: Kontrollwahn schlägt Klaustrophobie
> Hier die Ingenieurin des perfekten Lebens, dort die Abbruchexpertin
> historischer Zukunftsträume: Eine Doppelausstellung mit Andrea Zittel und
> Monika Sosnowska.
Bild: Concrete Ball" der polnischen Künstlerin Monika Sosnowska.
Es wäre untertrieben zu sagen, dass Andrea Zittel Ordnung schätzt - sie ist
geradezu besessen davon. Saubere Lösungen für ein besseres Leben, perfekte
Organisation, das ultimative Regelwerk - das ist es, was die amerikanische
Künstlerin seit Mitte der 90er-Jahre umtreibt. Und Zittel wäre nicht
Zittel, würde sie ihrem unüberschaubaren Werk nicht längst eine eigene
Geschäftsform gegeben haben. "A-Z Administrative Services" heißt das
Ein-Frau-Unternehmen - präziser lassen sich die Initialen der Künstlerin
kaum mit dem Weltverbesserungsanspruch ihres Werks zur Deckung bringen.
Wie weit dieser reicht, lässt sich zurzeit in der Jahresausstellung des
Schaulagers Basel verfolgen, in der Direktorin Theodora Vischer das Werk
der 42-Jährigen in einen programmatischen Dialog mit den Installationen der
polnischen Künstlerin Monika Sosnowska verwickelt. Eigentlich eine
vielversprechende Kombination - hier die Ingenieurin des perfekten Lebens,
dort die Abbruchexpertin historischer Zukunftsträume -, doch der Dialog
will nicht richtig funktionieren. Er hakt an vielen Enden, und das hat auch
mit dem enormen Sog zu tun, den Zittels Kunst entfaltet. Denn so viel steht
fest: Dieses Werk ist nicht auf Dialog angelegt. Im Gegenteil. Alles an ihm
ist Regel, Manifest, Gesetz.
Schon die frühesten Gouachen aus den 90er-Jahren, mit denen die Ausstellung
im Schaulager startet, verraten Zittels Lust an der Kontrolle. Sie zeigen
Entwürfe für Teppiche, in die bereits die exakte Position des Mobiliars
eingeknüpft ist, das einmal auf ihnen stehen soll: Grundrisse von Sesseln,
Lampen, Tischen, Stühlen. An den Wänden darüber hängen Stoffbilder, die
sich mit einer Sicherheitsnadel kurzerhand zu Kittelschürzen
umfunktionieren lassen, und im Nebenraum erzählt eine ganze Armee von
Schneiderpuppen in Häkelkleidern die Geschichte eines Selbstversuchs, den
Zittel als Galerieassistentin in den frühen 90er-Jahren unternommen hatte.
Als Reaktion auf den Modewahn in der Kunstwelt war sie damals ein halbes
Jahr lang Tag für Tag in ein und demselben Kleid zur Arbeit erschienen.
Anschließend machte sie sich daran, das perfekte Kleid zu entwerfen: eine
auf Malewitschs Schwarzem Quadrat beruhende Uniform, die sowohl Kleid als
auch Decke, Zelt oder Sattel sein konnte.
Etwas Endgültiges formulieren! Dinge entwickeln, die keine Wünsche offen
lassen. Das Leben nach Dogmen organisieren. Andrea Zittel liebt solche
Herausforderungen. Ihre Motivation dazu ist verblüffend. Nur die perfekte
Regulierung, sagt sie, ermögliche maximale Freiheit. Die einzige Bedingung:
Die Regeln müssen selbst gesetzt sein. Damit entlockt sie der
Zwanghaftigkeit ihres Tuns ein utopisches Potenzial, das die von den
historischen Avantgarden angestrebte "Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis"
ebenso spiegelt wie das Credo jedes Designers: Eine bessere Welt ist
möglich - man muss sie nur gestalten!
Zittel tut das mit einer Konsequenz, die einen einzigartigen Blick auf den
inneren Zusammenhang von Kontrollwahn und Kontrollverlust erlaubt. Das
Ergebnis sind effizient durchorganisierte "A-Z Living Units", die an
japanische Zellenhotels erinnern, Wohnwagen-artige Einpersonen-Biosphären
für die individuelle Weltflucht ins totale Glück oder Prototypen von
Teestuben, die die Künstlerin als Vorposten vollkommener Gemütlichkeit in
den unwirtlichen Steinwüsten Kaliforniens platziert. Am eindrucksvollsten
zeigt sich die gnadenlose Logik des Zittelschen Universums in der
Dokumentation eines weiteren Selbstversuchs, für den sie sich im Jahr 2001
eine Woche lang ohne Uhren und ohne Tageslicht in einen Bunker einschloss,
um herauszufinden, welche Eigenregeln Körper und Wahrnehmung entwickeln,
wenn sie ganz auf sich gestellt sind. Die bemalten Holzpanele der
28-teiligen Arbeit halten in einem hyperkomplexen grafischen Verweissystem
jede ihrer Tätigkeiten sowie ihren realen und gefühlten Zeitverbrauch fest.
Was sich daraus ablesen lässt, ist eine paradoxe Erfahrung. Gerade die
Freiheit von zeitlichen Zwängen setzte die Künstlerin unter Stress, ließ
sie kürzer schlafen und länger arbeiten als unter dem Regime der Uhr.
Die Irritationen, die diese Arbeiten auslösen, sind nachhaltig. In der
Basler Ausstellung verfolgen sie einen selbst dann noch, wenn man sich
längst ins Untergeschoss verabschiedet hat, wo Monika Sosnowska gut ein
halbes Dutzend ihrer raumgreifenden Installationen präsentiert. Die
35-Jährige ist bekannt für ortsbezogene Eingriffe, bei denen sie zu große
Kunst mit scheinbar roher Gewalt in zu kleine Architektur presst und
dadurch, wie zuletzt im polnischen Pavillon der Venedig-Biennale, eine
klaustrophobische Raumerfahrung erzwingt. Die Atmosphäre ihrer Arbeiten ist
düster, die in ihnen gefangene Tristesse der postsozialistischen Gegenwart
erdrückend. Allein, im Schaulager ist davon kaum etwas zu spüren - und das
ist mehr als schade. Grund dafür ist die kaum nachvollziehbare Entscheidung
der Kuratorin, Sosnowskas Arbeiten von den Orten zu trennen, für die sie
entstanden sind, und sie hier als etwas zu präsentieren, das sie nur im
entferntesten Sinn sind: Skulptur.
Ein zerdrückter Blechkubus, der für das Spengelmuseum Hannover entstand und
dort unbehaglich dicht über den Köpfen der Besucher schwebte, lehnt in
Basel nun dekorativ in einer Betonnische unter der Treppe. Vor zwei Jahren
stemmte Sosnowska im New Yorker MoMA ein Loch in die Decke des White Cube
und ließ die Trümmer verstreut am Boden liegen. Im riesigen
Ausstellungssaal des Schaulagers wurde diese wuchtige Situation dagegen
unter einer an Stahlseilen im Raum schwebenden Decke rekonstruiert - mit
dem Effekt, dass die museale Kulissenhaftigkeit dieses Remixes jede
ursprüngliche Bedrohung unfreiwillig ins Komische verkehrt. Fehlt
eigentlich nur noch der Papst von Maurizio Cattelan.
Besonders ernüchternd jedoch wirkt die Stahlkonstruktion "1:1", mit der
Sosnowska an der Venedig Biennale 2007 für erhebliches Aufsehen gesorgt
hatte. Dort quetschte sich das Gerüst mit aller Macht in den viel zu
kleinen polnischen Pavillon, dass man den Eindruck hatte, die Mauern würden
jeden Moment reißen. Im Schaulager gibt es keine Mauern in erreichbarer
Nähe, an denen sich das Skelett stoßen könnte. Seiner ursprünglichen
Sprengkraft beraubt und von der Innen- in die Außenperspektive verkehrt,
erstarrt es so zum Monument ohne Grund, das dem hermetischen Kosmos von
Andrea Zittel kaum mehr als seine schiere Masse entgegensetzen kann. Es
sind vor allem diese ungleichen Voraussetzungen, an denen der versprochene
Dialog zwischen den beiden Meisterinnen der Kontrolle am Ende scheitert.
Bis 21. September 2008, [1][Schaulager], Basel
4 Jul 2008
## LINKS
[1] http://www.schaulager.org/de/index.php?pfad=ausstellung/zittel_sosnowska
## AUTOREN
Dietrich Roeschmann
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