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# taz.de -- Sauna-WM in Finnland: Leidenschaftlich brodelnde Körpersäfte
> In der ersten Augustwoche beginnt in Finnland die Sauna-WM. Hier wird das
> kollektive Kulturgut Saunieren mit der Lust zum absurden Wettbewerb
> verknüpft.
Bild: Zeitung lesen ist in der finnischen Sauna total verpönt.
BERLIN taz | Da sitzen sie mit hochroten Köpfen nebeneinander auf dem
Mäuerchen. Die nackten Bäuche der Männer und Frauen wölben sich unbekümmert
überm oder unterm Frotteehandtuch, in der Hand halten sie ihre Bierchen:
mitten in der Stadt, mitten in Helsinki. Neben ihnen lümmeln Kinder, auch
sie kommen gerade aus der Sauna. Vollständig angezogene Städter laufen mit
ihren Einkaufstüten vorbei, die Halbnackten beachten sie nicht weiter.
Jeder hier kennt die seit achtzig Jahren betriebene Kotiharjun-Sauna.
Die Lässigkeit, mit der hier urbane Codes durchbrochen und Jeans gegen
Badehandtücher ausgetauscht werden, die Selbstverständlichkeit, mit der
sogar Babys mitgenommen werden, das alles zeigt: Für die Finnen ist ein
Leben ohne Sauna schlicht nicht vorstellbar.
Das Schwitzen gehört von Anfang an dazu, es ist fester Bestandteil des
Familienlebens und also auch des jeweiligen individuellen Körpergefühls und
der emotionalen Balance. Mindestens ein Mal pro Woche möchte man ganz warm
werden, möchte nur noch das Fließen der Körpersäfte spüren, sich dem
Nacktsein und einer anderen Zeitrechnung überlassen.
Für die meisten erwachsenen Finnen steht beim Saunieren weniger die
Gesundheitspflege im Vordergrund. Vielmehr ist es die Möglichkeit, sich für
eine kurze Zeit vom modernen Leben abzuwenden.
Entsprechend verpönt ist etwa die schwedische Sitte, in einer nur moderat
erhitzten Sauna Zeitung zu lesen und Orangensaft zu trinken. Im Land der
vielen Seen und der Matjesfilets geht man in die Sauna, damit sich die Welt
da draußen für eine kleine Weile allein weiterdreht.
Käme jemand auf die abwegige Idee, den Rückzug in diese entschleunigte
Parallelwelt zu verbieten, brächen mit Sicherheit Massenproteste aus -
selbst im stets auf Konsens bedachten Finnland. Aber an derlei Angriffe auf
den finnischen Lifestyle denkt hier glücklicherweise niemand. Im Gegenteil:
Ungebrochen gilt die Sauna als kollektives Kulturgut.
Am kommenden Wochenende etwa verquickt man in der Kleinstadt Heinola die
nationale Leidenschaft für brodelnde Körpersäfte mit der gleichfalls
verbreiteten Liebe zum absurden Wettbewerb: 110 Grad gilt es bei der
Saunaweltmeisterschaft so lange wie möglich auszuhalten.
Doch trotz der Superlative hält sich das Interesse der Landsleute an diesem
internationalen Wettbewerb in Grenzen. Halt mal wieder so eine Spinnerei,
wie das Frauentragen in Sonkajärvi. Man grinst und zuckt mit leichtem
Kopfschütteln die Schulter; Selbstironie ist Ehrensache.
Da nun mittlerweile jedes halbwegs solide Mietshaus über eine
Gemeinschaftssauna und auch so gut wie jede in den letzten zwanzig Jahren
gebaute Wohnung über eine eigene Hitzezelle verfügt, müssen die
öffentlichen Saunen etwas Besonderes bieten, wenn sie überleben wollen.
Für die Helsinkier Kotiharjun-Sauna ist das kein Problem: Sie ist ein Ort,
wie aus der Zeit gefallen, auf besondere Weise pflegt sie die Erinnerung an
die Arbeiterkultur. Nur so ist zu erklären, warum hier sämtliche
Hygienestandards missachtet werden.
So blitzsauber und liebevoll die Holzumkleiden aus den Dreißigerjahren auch
ausgestattet sind, keine einzige Kachel in der Sauna bestünde eine
Hygienekontrolle. Alles ist dunkel und karg und trotzdem sofort anheimelnd.
Die grauen Steinstufen erinnern an ein winziges, halb fertiges
Amphitheater; der Ruß des Holzofens und die vielen Füße haben ihre Spuren
hinterlassen. Auch die als Rückenlehnen oder Sitzfläche genutzten, aus
Holzlatten zusammengenagelten Brettchen wurden schon unzählige Male
benutzt, mit den umherliegenden Wasserschläuchen spritzt man sie kurz ab.
In der Ecke steht ein eiserner, etwa zwei Meter hoher, inzwischen fast
schwarzer Holzofen, daneben lehnen die Scheite locker gegen das Sims eines
geschlossenen Fensters. Hier herrscht Ruhe, die Besucherinnen plaudern,
wenn überhaupt, nur leise miteinander. Männer und Frauen sind im
öffentlichen Bereich übrigens immer getrennt.
Und es riecht gut. Zum einen nach Kaminfeuer, zum anderen nach
Birkenblättern. Die gibt es büschelweise am Eingang zu kaufen. Mit den
Blättern schlägt man sich auf Arme, Beine, den Rücken, den Bauch, selbst
den Kopf und vorsichtig auch aufs Gesicht. Die aufbrechenden Blätter
sondern Saft ab, und der wiederum öffnet die Hautporen und lässt den
Geschlagenen besser schwitzen. Und duften.
In den Pausen geht man wie oben beschrieben hinaus, trinkt auf dem
Mäuerchen sein Bier und schaut den Passanten zu. Nach einigen Saunagängen
schließlich kommt das Einseifen. Es ist wesentlicher Bestandteil der hier
gepflegten schnörkellosen, proletarischen Körperkultur. Da man im
ehemaligen Arbeiterviertel Kallio nun mal kein Bad hatte, wurde Kotiharjun
genutzt, um sich einmal pro Woche waschen zu lassen.
Tätowierte Bademeisterin
Heute wechseln sich zwei Frauen mit der Ganzkörperreinigung ab. Es obliegt
dem Gast, den Härtegrad der Bürsten zu wählen, dann geht es los: Man legt
sich auf eine Liege aus Waschbeton, über die ein Wachstuch gebreitet ist.
Die muskulösen und stets tätowierten Damen seifen den Körper mit kräftigen
Schwüngen ein und schrubben, was das Zeug hält.
Es macht Spaß, sich ihren Händen auszusetzen, auch wenn Wellness anders
geht. Erinnerungen an die Kindheit kommen hoch - an damals, als Mutter oder
Vater einen wuschen. In aller Ruhe wird man abgeduscht. Wer will, kann sich
auch massieren oder Finger- und Fußnägel maniküren lassen. Die meisten
belassen es beim Einseifenlassen. Und kehren mit dem Gefühl kompletter
Sauberkeit von ihrer Zeitreise zurück in die Stadt.
1 Aug 2009
## AUTOREN
Ines Kappert
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