Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Samuel Huntington hat sich geirrt: Kulturkampf abgesagt
> Den "clash of civilizations" gibt es nicht. Zumindest nicht nach der
> Vorstellung von Samuel Huntington. Das zeigt eine Studie der Universität
> Heidelberg.
Bild: Samuel Huntington erlebt die Widerlegung seiner Thesen nicht mehr.
Der "clash of civilizations" findet nicht statt. Zumindest nicht so, wie
ihn sich der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington in
seinem einflussreichen Buch 1996 vorstellte. Dies belegt eine empirische
Studie, die Politologen der Universität Heidelberg jüngst vorgelegt haben.
Sie stützen mit Zahlen die vorherrschende Forschungsmeinung der vergangenen
Jahre: Huntingtons These ist wissenschaftlich nicht haltbar.
##
Dieses Ergebnis der durch die Bertelsmann-Stiftung unterstützten Studie mag
zunächst überraschen. Denn tatsächlich scheinen die medial besonders
präsenten Konflikte wie die "9/11"-Anschläge, der Irak- und
Afghanistankrieg sowie die Konflikte um den Karikaturenstreit 2006 die
These Huntingtons doch zu belegen. Die Wissenschaftler Aurel Croissant, Uwe
Wagschal, Nicolas Schwank und Christoph Trinn widerlegen die Idee eines
"Kampfs der Kulturen" dennoch.
Sie fütterten Daten zu knapp 800 politischen Konflikten, die sich zwischen
1945 und 2007 zugetragen haben, in die Conis-Konfliktdatenbank der Uni
Heidelberg - Conis steht für "Conflict Information System". Huntingtons
These einer Zunahme kultureller Konflikte zwischen Staaten konnte empirisch
nicht gestützt werden.
Aber die Zahl kulturell bedingter Konflikte innerhalb von Staaten hat im
vergangenen Vierteljahrhundert sprunghaft zugenommen. Seit Mitte der
Achtzigerjahre, also noch während des Kalten Kriegs, übersteigt die Zahl
der kulturellen Konflikte die Zahl der nichtkulturellen. Insgesamt sollen
zwischen 1945 und 2007 genau 44 Prozent aller erfassten Konflikte
kultureller Natur sein.
Was aber ist ein kultureller Konflikt? Für die Politologen "solche
innerstaatlichen, zwischenstaatlichen oder transnationalen politischen
Konflikte, in denen die beteiligten Akteure die Konfliktfelder Sprache,
Religion und/oder geschichtliche Zusammenhänge … thematisieren".
Das letzte Wort ist entscheidend. Denn nach Definition der Wissenschaftler
sind kulturelle Konflikte nicht nur die, bei denen Kulturthemen die Ursache
des Konflikts waren. Sondern auch die, die andere Ursachen hatten, aber "in
denen Kultur den Konfliktgegenstand" darstellt, also das Thema ist.
Ein Beispiel: Ähnlich dem Nordirland-Konflikt in Europa hatte der Konflikt
um die Region Aceh in Indonesien ursprünglich keine kulturellen Ursachen.
Sein Kern lag vielmehr in der Repression der Aceh-Bevölkerung in der
indonesischen Gesellschaft. Erst im Laufe der Jahrzehnte hat sich der seit
1976 schwelende Konflikt kulturell überformt, wurde aus einem Krieg um
Ressourcen auch ein "ethno-religiöser" Konflikt. Demgegenüber ist der
Karikaturenstreit einer der eher wenigen Fälle, wo Kultur, in diesem Fall:
Religion, tatsächlich die Ursache des Konflikts war.
Man kann diesen Ansatz der Heidelberger Wissenschaftler kritisieren. So
wäre etwa zu fragen, ob die genutzte Definition von Kultur (als Sprache,
Religion und geschichtlicher Hintergrund) nicht zu weit geht. Fraglich
auch, ob die Unterscheidung zwischen "Kultur als Ursache von Konflikten"
und "Kultur als Thema eines Konflikts" überhaupt praktikabel ist.
##
Diskussionswürdig sind die Ergebnisse der Studie trotzdem - etwa wegen der
Erkenntnis, dass kulturelle Konflikte besonders anfällig für Gewalt sind.
Interessant auch das Ergebnis der Studie, dass eine sprachlich und religiös
stark zersplitterte Gesellschaft nicht zwangsläufig konfliktanfällig ist.
Vielmehr seien vor allem Staaten mit einem "mittleren religiösen
Fragmentierungsgrad" gefährdet. So bleibt es in Dänemark mit einer religiös
homogenen Bevölkerung ruhig, ebenso im Viel-Religionen-Staat USA.
Konfliktträchtiger sind Staaten mit zwei oder drei großen religiösen
Lagern.
Ein weiteres Vorurteil wird widerlegt: Eine starke Migration in ein Land
ist keineswegs Ursache für besonders viele Konflikte - vielmehr wirkt die
Zuwanderung Croissant zufolge innerstaatlich meist eher konfliktmindernd.
Kulturelle Konflikte gewinnen vor allem dann an Fahrt, wenn sie
zusammentreffen mit nicht-kulturellen Faktoren, etwa einem "Youth Bulge".
Das heißt: Ein hoher Anteil junger Männer in der Bevölkerung heizt
kulturelle Konflikte auf.
Das Leben im globalen Dorf und in der multikulturellen Gesellschaft gleicht
eher einer Baustelle. Ein Schlachtfeld ist es ziemlich selten.
"Kultur und Konflikt in globaler Perspektive. Die kulturelle Dimension des
Konfliktgeschehens 1945-2007". Hrsg. v. d. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh
2009. 150 S.
23 Sep 2009
## AUTOREN
Philipp Gessler
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.